Jahrestag der rechten Gewalt in Hoyerswerda

Musikalischer Aufschrei gegen Rechts

06:16 Minuten
Campino von den Toten Hosen auf der Bühne.
Immer wieder demonstrieren Musiker ihre Solidarität mit Opfern rechter Gewalt. Aus diesem Grund spielten die Toten Hosen 2018 in Chemnitz. © picture alliance / Geisler-Fotopress / Ben Kriemann
Von Philipp Kressmann · 17.09.2021
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Als 1991 Brandsätze auf Asylbewerberheime flogen, lieferten Bands aus Punk, Pop und Hip-Hop die musikalische Antwort. "Schrei nach Liebe" von den Ärzten wurde zur Hymne gegen Rechts, und die junge deutsche Hip-Hop-Szene fand zu einer klaren Haltung.
"Das erste Mal, dass ich gemerkt habe, Rassismus next level, anderer Skale, andere Größenordnung, andere Gefahr. Dann musste erstmal ganz viel aufgeklärt werden, auch für einen selbst erstmal verarbeitet werden", sagt Dennis Lisk alias Denyo von der Hamburger Hip-Hop-Gruppe Beginner.
Die rassistischen Ausschreitungen in der sächsischen Stadt Hoyerswerda im September 1991 haben ihn schockiert. Die Beginner, damals noch Absolute Beginner, griffen zum Stift. Rassismus in Deutschland wurde ein zentrales Thema in ihren ersten Songs.
Die Beginner kritisierten auch die Polizei, die sich ihrer Meinung nach zu passiv gegenüber rechter Gewalt verhielt. In einem anderen Song ging es um Solidarität mit Asylbewerbern. Nach Hoyerswerda folgten weitere Brandanschläge. Das führte bei weiten Teilen der noch jungen, überschaubaren deutschen Hip-Hop-Szene zu einer dezidiert antifaschistischen Haltung. Denyo glaubt sogar, dass sich jede Band damals positionierte.
"Wir sind auch nur davon inspiriert worden, weil so schlimme Sachen passiert sind! Wären diese Dinge nicht passiert, hätten wir vielleicht gar nichts dazu geschrieben. Also vielleicht haben die damaligen Brandstifter sogar indirekt dafür gesorgt, dass deutscher Hip-Hop anfängt zu florieren", mutmaßt Denyo.

Musikalischer Blick auf Alltagsrassismus

Das Rap-Trio "Weep Not Child" thematisierte die Pogrome in Hoyerswerda und Rostock-Lichtenhagen. Auch die Gruppe "Advanced Chemistry" spielten im Intro ihres schon zuvor verfassten Songs "Fremd im eigenen Land" darauf an. Für Denyo war die Gruppe ein Sprachrohr.
Der Song wurde ein Klassiker der deutschen Rap-Kultur. Advanced Chemistry bestand fast nur aus Migrantenkindern. Es ging um deren Blick auf Alltagsrassismus und die Identitätsfrage. Außerdem formulierten sie Vorwürfe gegenüber Politikern, die Migranten als Problem ansahen.
Auch Kutlu Yurtseven von der Rap-Gruppe Microphone Mafia rappt über geistige Brandstifter. Er erinnert an rechte Rhetorik von Politikern. "Sie haben den Rassismus salonfähig gemacht: Das Boot ist voll, Rückführung um jeden Preis. Was passiert? Mölln und Solingen."

Hymne gegen Rechts

Doch nicht nur Hip-Hop, auch Punk-Bands wie die Toten Hosen und "...But alive" meldeten sich zu Wort. Die Ärzte reagierten auf Hoyerswerda mit "Schrei nach Liebe". Der Song verzichtete auf Ironie und wurde zur Hymne gegen Rechts.
Den Goldenen Zitronen waren Punk-Parolen nicht mehr genug. Auf ihrem Album "Das bisschen Totschlag" probierte die Hamburger Punk-Band neue Ausdrucksformen aus. Textlich und musikalisch. Sänger Schorsch Kamerun ging es um Zusammenhänge:
"Anfang der 90er-Jahre brauchten wir eben auf der einen Seite eine Genauigkeit und auf der anderen Seite etwas, was komplexer beschreiben konnte. Es hat nicht gereicht zu sagen, das sind wir, das sind die. Das wäre zu einfach. In dem Fall war unsere Reaktion die Methode des Faktischen. Eine Art von Aufzählung, quasi journalistisch. Und dann wollten wir noch einen Slogan zu finden, der irgendwie greift", erzählt Kamerun.

Hoyerswerda war weder Anfang noch Ende

Die Kontinuität von Rassismus ist heute auch Thema bei der Antilopen Gang und Künstlerinnen wie Sookee oder Nura. Damals meldeten sich auch Musikgrößen wie Herbert Grönemeyer oder Die Prinzen zu Wort. Aber die Subkultur wirkte dringlicher. Rap-, Punk- und Indie-Bands sensibilisierten dafür, dass Hoyerswerda weder Anfang noch Ende von rechter Gewalt in Deutschland war.
"Das ist schon auch traurig, dass es immer diese Ereignisse braucht, um irgendwie zu verstehen, dass es diese Sachen im Alltag permanent gibt. Und das ist genau der Punkt: Es geht ja um einen Alltag."
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