Jahresrückblick 2017

documenta 14 - zu viel Aktionismus, zu wenig Kunst

Ein Stadtreiniger kehrt am 18.09.2017 auf dem Friedrichsplatz in Kassel (Hessen) die Stufen vor dem leeren "Parthenon der Bücher" der argentinischen Künstlerin Marta Minujin. Die Weltkunstausstellung documenta 14 ist am Vorabend nach 100 Tagen zu Ende gegangen. Wegen des drohenden Defizits, schlechter Kritiken und dem Streit zwischen Gesellschaftern und Kuratoren bleibt sie aber in der Krise.
Die documenta 14 in Kassel ist zu Ende © picture alliance / dpa / Uwe Zucchi
Moderation: Korbinian Frenzel · 29.12.2017
Ist das Kunst oder Aktionismus? Das fragten sich viele Beobachter der documenta 14 in Kassel und Athen. Auch die Publizistin Christina Weiss und der Philosoph Wolfram Eilenberger vermissten bei der Kunstschau die Kunst - bis auf einige Ausnahmen.
Zu viel Betroffenheitskunst, zu viel politische Korrektheit, zu plakativ, zu überdimensioniert - an der diesjährigen documenta in Kassel und Athen ließen viele Kritiker kaum ein gutes Haar. Auch unsere Studiogäste äußerten sich sehr kritisch zu der großen Kunstschau.
"Unglaublich überkuratiert" sei die documenta gewesen, findet etwa die Publizistin Christina Weiss. 16 Kuratorinnen und Kuratoren seien einfach zu viel, um die notwendige Beschränkung für ein solches Projekt erzielen zu können.
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Kunst solle nicht politisieren, sondern die Köpfe öffnen, meint die Publizistin Christina Weiss.© Deutschlandradio Kultur
"Es gab so viele Kuratorenbetroffenheitsbekundungen, dass die Kunst über weite Strecken einfach nichtssagend blieb", kritisiert die ehemalige Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien. "Betroffenheit ist noch keine künstlerische oder poetische Offenheit." Auch funktioniere die Politisierung von Kunst nicht. Wenn Kunst überhaupt eine Aufgabe in unserer Gesellschaft habe, dann sei es das "Öffnen der Köpfe", betont Weiss.

Kunst wie aus dem philosophischen Proseminar

Auch der Philosoph Wolfram Eilenberger kritisiert die verbale Über-Theoretisierung der zeitgenössischen Kunst. "Als Philosoph habe ich das Gefühl, da werden noch mal Proseminar-Karteikarten an die Kunstwerke geschickt", meint er. "Ich habe mich von diesem Diskurs verabschiedet, weil er mir schon inhaltlich und von der theoretischen Prägung der Künstler – da zieht es einem auch die Fußnägel hoch. Das ist teilweise auch innerhalb des theoretischen Diskurses einfach so ungesättigt und falsch, dass es mich mehr frustriert als anregt."
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Zu viel Theorie - und dann noch falsch: der Philosoph Wolfram Eilenberg hält wenig von der diesjährigen documenta.© Deutschlandradio
Christina Weiss stört an der documenta auch deren "Überglobalisierung": "Ich kann nicht Kunstwerke aus jedem Winkel der Welt so zusammenzwingen, dass ich über ein Thema versuche, die gleichzumachen. Die sind nicht gleich. Die sind vollkommen divers." Der Philosoph Wolfram Eilenberger sieht das ähnlich: "Das ist wahrscheinlich, was Adorno die falsche Vollständigkeit nennt. Und dieser Anspruch hat schon manche Ausstellung in den Abgrund geführt."

Positives Gegenbeispiel: Hiwa Ks "Röhren"-Skulptur

Dennoch, so Weiss, habe es auch positive Kunstbeispiele gegeben: etwa die Röhrenskulptur von Hiwa K, einem kurdisch-irakischen Flüchtling. "Da ist ein Bild entstanden, was Heimatlosigkeit, Flucht, Ortlosigkeit, Platzangst thematisiert. Mit diesen Themen kann jeder etwas anfangen, der davor steht und sich das anschaut", sagt die Publizistin.
Installationskünstler Hiwa K. (unten, 2.v.r.) sitzt am 10.06.2017 bei der Eröffnung der documenta 14 in Kassel (Hessen) in einer Röhre seines Kunstwerks "When We Were Exhaling Images"
© picture alliance / dpa / Swen Pförtner
"Das heißt, es wird etwas ausgelöst, was im thematischen Umfeld offenbleibt. Es ist keine Betroffenheit, sondern es ist etwas, was in mir auslöst das Nachdenken über meine Heimatflucht, Ortlosigkeit."
(uko)

Den gesamten Jahresrückblick mit Christina Weiss, Wolfram Eilenberger und Nikolaus Blome können Sie hier nachhören: Audio Player

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