Jahresrückblick 2017

Der Januskopf der politisch korrekten Sprache

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Unsere Studiogäste (von links) Nikolaus Blome, Christina Weiss und Wolfram Eilenberger im Gespräch mit Moderator Korbinian Frenzel © Deutschlandfunk Kultur
Moderation: Korbinian Frenzel · 28.12.2017
Die freie Sprache sei immer riskant, meint der Philosoph Wolfram Eilenberger. Davon gehe angesichts einer politisch immer "korrekteren" Sprache derzeit viel verloren. Dennoch sei es nicht falsch, über Sprache gesellschaftliche Veränderungen einleiten zu wollen.
Ist, wer "Mohrenkopf" sagt, ein Rassist? Muss man "Geflüchtete" sagen statt "Flüchtlinge"? Darf die Zigeunersoße noch Zigeunersoße heißen? Oder wird umgekehrt politisch "überkorrekte" Sprache zum Problem?
Gerade im öffentlichen Sprechen laufen wir alle inzwischen wie auf Eierschalen, sagt der Philosoph Wolfram Eilenberger. Diese Entwicklung sieht er ambivalent: Einerseits sei es nicht falsch oder absurd, über Sprache gesellschaftliche Veränderungen einzuleiten, betont er unter Verweis auf Charles Sanders Peirces Satz: "Menschen und Wörter erziehen einander." Sprache sei auch kein beliebiges Medium für unsere Existenz, sondern der Kern unserer Subjektivität und präge unser Denken.

"Die freie Sprache ist immer eine riskante"

Andererseits sei die "korrekte" Sprache nicht nur positiv: "Man wird vorsichtiger, man wird unfreier, man wird auch weniger kreativ – und das ist eines der Momente, die Teil dieser Beschreibung sind: Die freie Sprache ist immer eine riskante, und von diesem Risiko verlieren wir derzeit viel."
Die Publizistin Christina Weiss und der stellvertretende "Bild"-Chefredakteur Nikolaus Blome.
Die Publizistin Christina Weiss und der stellvertretende "Bild"-Chefredakteur Nikolaus Blome.© Deutschlandradio
Die Frage der "korrekten" Sprache habe überdies das Potenzial, die Gesellschaft zu spalten, meint Nikolaus Blome: "Kann es sein – und es gibt eine Menge Indizien dafür – dass insbesondere Politiker inzwischen eine Sprache sprechen (...), die mit der Sprache der Leute, des Durchschnittsbürgers, der nicht doof ist, der nicht fremdenfeindlich ist, der sein Leben auf die Reihe kriegt etc. immer weniger zu tun hat?", fragt der stellvertretende Chefredakteur der "Bild"-Zeitung. "Wenn das der Fall ist, dann unterbrechen sie [die Politiker] die Kommunikation, von der wir alle wünschen, dass sie eher besser wird."

Sprachliche Entgrenzung von rechts

Die Kluft zwischen "Stammtisch" und "politischem Sprechen" hält auch die Publizistin Christina Weiss für problematisch: "Am Stammtisch wird sich dann ausgetobt, da nennt man dann alle diese Wörter wieder, die einem eigentlich verboten sind. Und dadurch entsteht etwas ganz Katastrophales. Das ist ein Abgrund."
Eine Frau steht mit einem Schild "Volksverräterin" am 26.08.2015 vor einer Flüchtlingsunterkunft in Heidenau (Sachsen) und wartet auf Bundeskanzlerin Merkel. Die Kanzlerin besucht die Flüchtlingsunterkunft.
Fremdenfeindliche Anwohner in Heidenau warten auf Bundeskanzlerin Merkel, die sie als "Volksverräterin" bezeichnen. Für Sachsens Politiker ist diese Beschimpfung fast schon traurige Normalität.© dpa / picture alliance / Jan Woitas
Zumal neben den sprachlichen Begrenzungsphänomenen auch Entgrenzungsphänomene des öffentlichen Sprechens von Rechts zu beobachten seien, so Eilenberger: "Da wurden auch Worte und Formulierungen wieder in den Diskurs eingespeist, die als Tabu galten. Auch da muss man sagen: es ist eine Doppelbewegung: einerseits Begrenzung, andererseits auch ganz bewusste Entgrenzung."
(uko)

Den gesamten "Studio 9"-Jahresrückblick mit Christina Weiss, Nikolaus Blome und Wolfram Eilenberger können Sie hier nachhören: Audio Player