Jagd auf Kunstschaffende in der DDR

Von Nicolaus Schröder · 15.12.2005
Für den Soziologen Wolfgang Engler markiert der 15. Dezember 1965 in der DDR schlicht "das Ende der Moderne". An diesem Tag begann in Berlin das 11. Plenum des Zentralkomitees der SED mit seinen Diskussionen. Drei Tage später war die Jagd auf Schriftsteller, Publizisten, Filmemacher und Musiker beschlossene Sache.
Eigentlich sollte es auf dem 11. Plenum des ZK der SED vom 15. bis 18. Dezember 1965 um Wirtschaftsfragen gehen. Doch in so großem Rahmen will die Parteiführung die enttäuschenden Wirtschaftsdaten nicht diskutieren lassen. So werden Jugend und Kultur zum beherrschenden Thema. Das ist Erich Honeckers Domäne. Der ehemalige FDJ-Sekretär möchte sich vor allem auch den Moskauer Genossen als kommender Mann empfehlen.

"Wir stimmen jenen zu, die feststellen, dass die Ursachen für diese Erscheinungen der Unmoral und einer dem Sozialismus fremden Lebensweise auch in einigen Filmen, Fernsehsendungen, Theaterstücken, literarischen Arbeiten und in Zeitschriften bei uns zu sehen sind. Es häuften sich in letzter Zeit auch in Sendungen des Deutschen Fernsehfunks, in Filmen und Zeitschriften antihumanistische Darstellungen. Brutalitäten werden geschildert, das menschliche Handeln auf sexuelle Triebhaftigkeit reduziert."
Damit ist die Jagd eröffnet. Eine beispiellose Hatz setzt an auf alles, was der Partei als unangepasst, kritisch und jung gilt. Exempel werden statuiert. Die Dramatiker Peter Hacks und Manfred Bieler, der Schriftsteller Werner Bräunig und der Liedermacher Wolf Biermann beschäftigen die Genossen besonders. Horst Sindermann, 1965 erster Sekretär der SED-Bezirksleitung Halle:

"Könnte ein Volk den Absturz vertragen von Goethes "edel sei der Mensch, hilfreich und gut" zu Biermanns Reimerei "es war einmal ein Mann, der trat in einen Scheißhaufen". Bei solch einem geistigen Absturz muss sich eine humanistische Nationalkultur den Hals brechen, unweigerlich. Was aber ist an Biermann zu verunglimpfen, was er nicht selbst schon längst verunglimpft hätte. Angeblich haben wir seine Seele, die als die Seele François Villon deklariert, auf der Mauer um Westberlin erschossen. Was legt er seine Seele zwischen Sozialismus und Imperialismus? Warum leidet seine Seele so großen Kummer, nur weil wir drei imperialistische Armeen in Westberlin eingemauert haben, damit sie hier nicht das gleiche machen können wie in Vietnam?"

Biermanns im Westberliner Wagenbach-Verlag erschienener Gedichtband "Die Drahtharfe" hat Horst Sindermann besonders erregt. Eine siebenseitige Interpretation liegt der Lesemappe bei, die jedem Plenumsmitglied zuvor ausgehändigt worden ist. Über 150 Seiten stark, "nur persönlich zu öffnen" und allein im ZK-Gebäude zu lesen, besteht diese Pflichtlektüre zum größten Teil aus Gutachten zu einzelnen Kunstwerken, Einschätzungen kultureller Tendenzen und Spitzelberichten über die Situation an den Universitäten. Die Abfolge der Dokumente wirkt willkürlich, wer die Mappe jedoch von vorne bis hinten durcharbeitet, muss die DDR in ihrem Bestand bedroht sehen.

Besonders hart trifft es die Filmproduktion. Festgemacht wird die Kritik an Frank Beyers "Spur der Steine" und Kurt Maetzigs "Das Kaninchen bin ich".

"Das was wir gestern gesehen haben in diesen Filmen, das ist doch der letzte Dreck, so was hat es doch noch nie gegeben."

Parteisekretäre als Ehebrecher und Zweifel an der Allwissenheit der Partei – Inge Lange, die Leiterin der Frauenkommission zeigte sich entsetzt.

Das Tribunal war gründlich vorbereitet worden. Seit September hatte Honecker Material sammeln lassen, im Oktober begann die offizielle Verfolgung von "Beatmusik" und so genannten Gammlern und ab November erschienen im Neuen Deutschland in immer kürzerer Abfolge Artikel und Leserbriefe, die sich gegen vermeintlich dekadente, antisozialistische, wenn nicht konterrevolutionäre Bücher, Theaterstücke und Filme richteten.

Der Kahlschlag war umfassend: Unterdrückte Kino- und Fernsehfilme, Bücher und Theaterstücke, Berufsverbote, Karrierebrüche und offene Verfolgung Einzelner – eine ganze Generation von Künstlern, Wissenschaftlern und Publizisten wurde mundtot gemacht. Mit dem 11. Plenum hat die DDR-Führung das Vertrauen ihrer wichtigsten Verbündeten endgültig verspielt. Staats- und Parteichef Walter Ulbricht:

"Ist alles klar, ja? Ist jetzt allen Genossen klar, frage ich, dass es nicht um Literatur geht und auch nicht um höhere Philosophie ja, sondern um einen politischen Kampf geht zwischen zwei Systemen."