J wie Judentum

    Von Jürgen Liebing |
    Wagner war ein Antisemit sagen die einen, Wagner war ein geistiges Kind seiner Zeit, sagen die anderen und verweisen auf seine Verdienste um die Musik, die nachhaltiger seien als seine Äußerungen zum Judentum.
    Richard Wagner veröffentlichte 1850 seine Schmähschrift "Das Judentum in der Musik" unter dem sprechenden Pseudonym K. Freigedank. In diesem Pamphlet zitiert Wagner alle Vorurteile, die seinerzeit gegen die Juden im Umlauf waren. Er hält sie allein durch ihre Sprechweise für unfähig, Schauspieler zu sein, Singen könnten sie auch nicht, und zur Musik taugten sie ebenso wenig – überhaupt nicht zur wahren Kunst. Aber eigentlich meint er mit seinem Pamphlet im Besonderen den so erfolgreichen Kollegen Giacomo Meyerbeer. Von ihm hatte sich Wagner bei seinem ersten Paris-Aufenthalt Hilfe erhofft, indem er sich in Bittschreiben höchst unterwürfig gegeben hatte. Vergeblich, wohl auch, weil Wagner zu viel erwartet hatte. Er empfand es als Demütigung, und mit der Zeit wurde daraus eine Verschwörungstheorie, die sich gegen alle Juden richtete.

    Aber allein seine persönliche Geschichte reicht als Erklärung nicht aus, auch nicht der Hinweis, dass der Antisemitismus Mitte des 19. Jahrhunderts hoffähig war und er mit dieser Polemik in eine laufende Debatte eingriff.

    Hätte er es bei dieser einmaligen Veröffentlichung in der "Neuen Zeitschrift für Musik" belassen, die damals kaum für Aufsehen sorgte, wäre der Antisemitismus Wagners wohl eine Fußnote geblieben.

    Holger Noltze: "Das ‚Judentum in der Musik‘ ist nicht nur ein Unfall oder zeittypisch. Er hat es zweimal herausgegeben, sehr bewusst. Auch wenn Cosima vielleicht die treibende Kraft hinter der zweiten Auflage war. Aber das Erstaunliche ist ja, dass man doch nicht so richtig da drauf kommt, ob der Beckmesser im ‚Meistersinger‘ jetzt eine Judenkarikatur ist oder was mit dem Mime im ‚Siegfried‘ los ist, es bleibt eine offene Wunde."

    Holger Noltze, Musikjournalist und Professor für "Musik und Medien" an der TU Dortmund.

    Der Beckmesser im Meistersinger als antisemitische Karikatur und seine missglückten Lieder eine Parodie jüdischen Synagogengesangs? Angelegt ist der Beckmesser als Figur, die so buchstabengetreu handelt, dass sie keine eigenen künstlerischen Meisterleistungen erbringen kann.
    Im Nachwort zur Wiederveröffentlichung von "Das Judentum in der Musik" 1869 heißt es am Ende:

    "Ob der Verfall unserer Kultur durch eine gewaltsame Auswerfung des zersetzenden fremden Elementes aufgehalten werden könne, vermag ich nicht zu beurtheilen, weil hierzu Kräfte gehören müßten, deren Vorhandensein mir unbekannt ist."

    Man kann dies so lesen, dass die "Auswerfung" eine Vorstufe zum Holocaust sei, dass Wagner damit vordenkt, was im 20. Jahrhundert grausame Wirklichkeit geworden ist – Wagner gleichsam als ein Vordenker Hitlers.

    Der Regisseur Hans Neuenfels, der 2010 mit einer spektakulären "Lohengrin"-inszenierung im Festspielhaus in Bayreuth debütierte.

    Hans Neuenfels: "Wenn Kunst das Humane bewahren soll und der letzte Hort des Humanen ist, dann hat noch nie ein Genie wie es Wagner getan hat durch eine Schrift gegen das Humane verstoßen, es gibt keinen Menschen, der ein Vokabular geliefert hat, für den größten Schrecken Vorschub geleistet hat. Mit diesem unerklärlichen aber vollkommen sachlich vorhandenen Bewusstsein muss man dieses Genie Wagner auch hören und sehen. Es gibt ja Kollegen, die behaupten, Barrie Kosky behauptet das, es gibt in der Musik bei ihm absolute antijüdische Tendenzen, ich habe nichts gehört dass diese Tendenz, das ist das erstaunliche, hätte in mir aufkommen lassen."

    Es bleibt bei allem Für und Wider dabei, Richard Wagner hat gewissermaßen eine Steilvorlage geliefert, die andere dankend aufgenommen haben.

    "Die offene Wunde", von der Holger Noltze gesprochen hatte, lässt sich nicht schließen – anders als im "Bühnenweihfestspiel" "Parsifal", wo Amfortas an ihr leidet und die schließlich Parsifal mit dem Speer heilt.

    Übrigens, ausgerechnet der Dirigent des "Parsifal", dieses christlichsten Werks Richard Wagners mit seinem Karfreitagszauber, das 1882 im Festspielhaus auf dem Grünen Hügel uraufgeführt wurde, war ein Jude: Herman Levi.