IWF-Direktor Stein: Großer Ansturm auf IWF-Gelder

Klaus D. Stein im Gespräch mit Kirsten Lemke |
Es gebe einen Ansturm auf die Gelder des Internationalen Währungsfonds (IWF), sagte der Exekutivdirektor für Deutschland, Klaus Stein. Es sei für ihn eine interessante Erfahrung, dass der IWF in der Finanzkrise wieder stärker "in den Mittelpunkt der Geschichte" rücke. Dennoch werde das Vetorecht der USA Teil der anstehenden Reform-Diskussionen sein.
Kirsten Lemke: Beim G20-Gipfel Anfang des Monats in London haben die Vertreter der Industrienationen und der wichtigsten Schwellenländer beschlossen, angesichts der weltweiten Finanzkrise mehr als eine Billion US-Dollar bereitzustellen. Verteilen soll das Geld vor allem der Internationale Währungsfonds IWF. Dessen Bedeutung war in den letzten Jahren geschrumpft, aber wenn an diesem Wochenende die traditionelle Frühjahrstagung von IWF und Weltbank in Washington stattfindet, dann also mit einem deutlich aufgewerteten IWF. Am Telefon begrüße ich Klaus D. Stein, er ist Exekutivdirektor des IWF, der Vertreter Deutschlands, guten Morgen, Herr Stein!

Klaus D. Stein: Guten Morgen, Frau Lemke!

Lemke: Freuen Sie sich darüber, dass der IWF von der Krise profitiert?

Stein: Na ja, für Letzteres ja, dass die Krise stattfindet, natürlich nicht, aber dass der IWF etwas stärker in den Mittelpunkt der Geschichte gerückt ist, das ist natürlich für mich eine interessante Erfahrung.

Lemke: Es gibt viel Geld zu verteilen, wegen der großen Nachfrage ist ja allein die Darlehenskasse verdreifacht worden, und 250 Milliarden Dollar sollten sofort an den IWF gezahlt werden. Ist das Geld schon da oder müssen Sie das noch eintreiben?

Stein: Das Geld ist teilweise da und muss teilweise noch eingetrieben, verpflichtet werden. Es gibt einen Vertrag mit Japan über 100 Milliarden US-Dollar und dann hat – wie Sie wahrscheinlich wissen –, dann haben die Mitgliedsstaaten der Europäischen Union 75 Milliarden Euro, das sind noch mal etwa 100 Milliarden Dollar, in Aussicht gestellt. Hier müssen die bilateralen Verträge noch abgeschlossen werden. Die USA hat auch einen Betrag von 100 Milliarden in Aussicht gestellt, hier muss allerdings ein multilaterales Rahmenwerk noch angepasst werden, um das dann letztendlich zur Verfügung zu haben.

Lemke: Wie sieht es denn bei der Vergabe der Gelder aus? Ist da großer Ansturm derzeit?

Stein: Ja, in der Tat. Wir haben einen unbekannten Ansturm, jedenfalls für mich völlig unbekannten Ansturm. Seit November haben wir etwa ein Dutzend neue Programme abgeschlossen und gerade jetzt am letzten Freitag, das heißt, nicht gestern, sondern in der Woche davor, haben wir für Mexiko eine Garantie in der Höhe von 47 Milliarden Dollar zur Verfügung gestellt. Das sind natürlich enorme Beträge.

Lemke: Bei diesen enormen Beträgen, die ja alle jetzt auch in sehr kurzer Zeit abgefragt werden, wie sieht es denn aus mit Auflagen und wie sieht es aus mit den Kontrollen?

Stein: Das ist unterschiedlich, es gibt jetzt zwei Instrumente im Wesentlichen. Das eine ist ein Beistandspakt, dort gibt es bestimmte Konditionalitäten, die die Länder, die das Geld in Anspruch nehmen, auch erfüllen müssen, das ist ein Instrument, das es schon seit Jahren, Jahrzehnten gibt. Hier haben wir nur die Zugangsgrenzen erhöht. Dann gibt es ein neues Instrument, das ist so eine Art Garantie, eine Art Versicherung. Hier wird nur, in Anführungszeichen, die Anforderung gestellt, dass die Länder eigentlich wirtschaftlich gut dastehen, dass sie auch eine ordentliche Finanz- und Wirtschaftspolitik machen, die allerdings eben durch die Krise, die Finanzkrise, in Schwierigkeiten geraten sind. Und hier wird meistens auf der Basis eines potenziellen Zugriffs aufs Geld eben nicht erwartet, dass irgendeine Politikveränderung stattfindet, die kontrolliert wird, sondern es wird erwartet, dass weiterhin diese gute Politik, die bisher betrieben worden ist, weitergemacht wird.

Lemke: Aber es gab ja im letzten Jahr Kritik daran, dass der IWF Kredite vergibt auch ohne Auflagen im Rahmen der Krise. Halten Sie das für berechtigt?

Stein: Als Deutschland waren wir da sehr kritisch, als dieses Instrument entwickelt worden ist. Es ist jetzt ein Mal in Anspruch genommen worden, von Mexiko, es ist noch zwei Mal beantragt worden von Polen und von Kolumbien, und wir beobachten auf den Finanzmärkten, dass die Ankündigung, dass dieses Instrument zur Verfügung gestellt wird, eigentlich sehr positiv wirkt auf die Wechselkurse dieser Länder und insofern muss sich, glaube ich, noch zeigen, ob das wirklich ein erfolgreiches Instrument ist oder nicht. Im Augenblick kann man jedenfalls nicht sagen, es ist nicht erfolgreich.

Lemke: Die G20 haben ja in London auch eine Reform des IWF angemahnt, vor allem sollen die Stimmrechte neu verteilt werden. Bis jetzt gilt ja das Prinzip: Wer viel zahlt, der hat auch viel Einfluss. Ist das noch zeitgemäß?

Stein: Na, es gilt das Prinzip: Wer wirtschaftlich stark ist, ist auch stärker vertreten.

Lemke: Aber der zahlt ja dann auch viel.

Stein: Wer stärker vertreten ist, der muss auch mehr bezahlen. Ja, das ist eine Frage, die relativ schwer zu beantworten ist. Hier werden wir in neue Verhandlungen eintreten nach der Frühjahrstagung und werden sicherlich dieses Prinzip hinterfragen. Viele Staaten hinterfragen es. Und wir müssen aber vor allen Dingen ein neues System finden, denn, jedenfalls aus Sicht der Bundesrepublik kann ein System, wie es in den Vereinten Nationen existiert – ein Staat, eine Stimme –, in einer solchen wirtschaftsorientierten Organisation, wie der IWF es ist, bei der es ja auch wirklich um das Geld derjenigen geht, die es eben zur Verfügung stellen können, das kann dort nicht das System sein. Wir müssen uns vielleicht über ein neues System Gedanken machen.

Lemke: Derzeit ist es ja so, dass die USA 17 Prozent Einfluss haben und Entscheidungen mit 85 Prozent gefällt werden müssen, das heißt, die haben quasi die Möglichkeit, jede Entscheidung zu blockieren. Kann das so bleiben?

Stein: Das ist nicht ganz richtig. Es werden wichtige Entscheidungen mit 85 Prozent gefällt, das normale Geschäft des IWF, also auch die Vergabe der Kredite, wird mit 50 Prozent Entscheidung gefällt.

Lemke: Gut, aber wichtige Entscheidungen blockieren zu können, das ist ja quasi ein Vetorecht.

Stein: Das ist ein Vetorecht, ich denke, dieses Vetorecht wird auch mit Teil der Diskussion sein, die wir führen werden. Ob wir bei einem Stimmrecht bei 85 Prozent bleiben oder ob das möglicherweise abgesenkt wird, das ist sicherlich Teil der Diskussion.

Lemke: Vielen Dank, das war der IWF-Exekutivdirektor für Deutschland, Klaus D. Stein, im Deutschlandradio Kultur. Schönen Tag, Herr Stein!

Stein: Danke schön, Frau Lemke!