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Frauen und Minderheiten im Silicon Valley

Eine der wenigen weiblichen Ausnahmen: IBM-Chefin Ginni Rometty
Eine der wenigen weiblichen Ausnahmen: IBM-Chefin Ginni Rometty © picture alliance / dpa / Apple/Paul Sakuma
Von Nicole Markwald  · 14.07.2016
Im Silicon Valley arbeiten kaum Frauen: Unter den Facebook-Technikern sind es 15 Prozent, bei Twitter gerade mal zehn. Auch der Anteil ethnischer Minderheiten ist bei den Firmen im Silicon Valley minimal. Doch mittlerweile versuchen die Firmen, bunter zu werden.
An drei Tischen sitzen jeweils vier Mädchen, sie beugen sich über Papier, Stifte und Laptop. Es ist relativ ruhig. Konzentriert arbeiten die 13- und 14-Jährigen an ihren Projekten. Sie nehmen eine Woche lang teil am AppCamp4Girls in Portland. Es ist eine Art Ferien-Crashkurs, bei dem die Teilnehmerinnen, die hier Developers genannt werden, lernen, eine App zu bauen.
Es sei cool, dass nur Mädchen dabei seien und man mit anderen zusammenarbeite, die die gleichen Interessen hätten, sagt diese Teilnehmerin.

Tausende Konferenzteilnehmer, keine Frau darunter

Jede Gruppe hat eine Beraterin. Es sind freiwillige Helferinnen, die in der Technologiebranche tätig sind. Die Idee für das Camp stammt von Jean McDonald. Ihr Ziel: den Schülerinnen die Branche schmackhaft zu machen. Jahrelang hat sie mit anderen Softwareentwicklern zusammengearbeitet, hauptsächlich Männern - was sie nie gestört hat. Doch als McDonald erstmals bei der jährlichen Entwicklerkonferenz von Apple dabei war, hatte eine Art Erweckungserlebnis:
"Mir wurde da klar, dass ich in Konferenzsälen mit Tausenden von Leuten war, aber kaum andere Frauen sah.”
Statistiken bestätigten ihren Eindruck: Zwar sind 30 Prozent aller Google-Angestellten Frauen, aber im technischen Bereich sind es gerade mal 17 Prozent. Bei Facebook sind 15 Prozent der Technik-Jobs von Frauen besetzt, bei Twitter gerade mal zehn. Und die Branche tut sich schwer, den Anteil von Frauen zu erhöhen. Michelle Panulla ist eine der Frauen, die in dieser Woche bei dem Camp den Mädchen mit Fachwissen und guten Tipps als Volunteer zur Seite steht. Seit Jahren arbeitet sie als Softwareentwicklerin, oft als einzige Frau unter vielen Männern und hat ganz unterschiedliche Erfahrungen gemacht, gute und schlechte.
"Ich hatte mal einen Job, wo ich einen Praktikanten frisch vom College angelernt habe. Als sein Praktikum vorbei war, hat meine Firma ihm einen Job angeboten, sein Gehalt sollte doppelt so hoch sein wie meines. Er sollte mein Vorgesetzter werden, nachdem ich ihm alles beigebracht habe."

"In Diskussionen ignoriert"

Der Praktikant nahm den Job übrigens nicht an - und Michelle verließ die Firma kurz darauf. Auch Jean McDonald berichtet von ihren Erfahrungen als Frau in der Tech-Branche:
"Offensive sexuelle Diskriminierung habe ich nicht erlebt, aber zum Beispiel, dass ich in Diskussionen ignoriert wurde. Und wenn ein Mann etwas Ähnliches wie ich sagte, entstand dagegen eine Debatte. Es sind kleine, subtile Dinge, die auffallen."

Eine der ersten Frauen unter den vielen Männern war Telle Whitney. Die studierte Informatikerin kam 1986 ins Silicon Valley und war - einsam. Bis sie Anita Borg kennenlernte. 1994 riefen die beiden das Fachtreffen Grace Hopper Celebration of Women in Computing ins Leben. Bei der ersten Konferenz kamen 500 Frauen. Heute leiten Telle Whitney das nach ihrer Freundin benannte Anita Borg Institut.
Die gemeinnützige Organisation arbeitet mit Frauen im Technologiebereich zusammen und Unternehmen, die viele technische Mitarbeiter haben, und erfährt gerade enormen Zulauf, erzählt Whitney:
"Dieses Thema hat einen Schub wie nie zuvor bekommen. Und das ist sehr aufregend. Einige groteske Geschichten sind an die Öffentlichkeit geraten. Aber nur so kann man Veränderungen herbeiführen."
Die "grotesken Geschichten", auf die sie anspielt? Damit meint sie unter anderem die von Whitney Wolfe, Mitgründerin der Dating-App Tinder. Sie verklagte ihr eigenes Unternehmen wegen sexueller Belästigung. Monatelang sei sie bedrängt, schikaniert und am Ende aus dem Unternehmen gedrängt worden, weil sie eine Frau sei, behauptet Wolf.

"Nicht mehr Gehalt zu fordern, bringt gutes Karma"

Auch der Chef der Kurznachrichten-App Snapchat Evan Spiegel bekam Ärger für ein paar äußerst pikante Emails, die er noch als Mitglied einer Studentenverbindung an der kalifornischen Stanford-Universität geschrieben hat. Darin nannte er Studentinnen "Schlampen" und schrieb darüber, auf Frauen zu urinieren und Kokain einzukaufen.
Mitten in der Diskussion darum, wie man das Silicon Valley attraktiver für Frauen machen könnte, leistete sich Microsoft-Chef Satya Nadella einen verbalen Fehltritt der Extraklasse. Nach wie vor verdienen Frauen weniger als ähnlich qualifizierte Männer. Wie solle frau am besten um eine Gehaltserhöhung verhandeln, wurde Nadella gefragt. Man solle auf das System vertrauen, so der Microsoft-Chef. Und fügte hinzu: nicht mehr Gehalt zu fordern, bringe gutes Karma.
Die Aufregung im Netz war groß. Karma zahle keine Miete, schrieb eine Nutzerin. Nadella bemühte sich in einer Email an seine Angestellten um Schadensbegrenzung. Er habe die Frage "völlig falsch" beantwortet und schob nach: Wer glaube, eine Gehaltserhöhung zu verdienen, solle einfach danach fragen.

Zwei Prozent der Mitarbeiter bei Google sind schwarz

Aber Frauen sind nicht die einzige Gruppe, die im Silicon Valley auffällig unauffällig sind. Auch der Anteil Angehöriger ethnischer Minderheiten ist gering. Ein paar Zahlen:
Twitter hat in den USA knapp 3000 Mitarbeiter, davon sind 48 schwarz, macht rund 1,7 Prozent. Yahoo und Google: Hier sind rund zwei Prozent aller Mitarbeiter schwarz. Einzig bei Apple ist der Anteil höher: sieben Prozent. Zum Vergleich: Rund 13,6 Prozent aller Amerikaner sind schwarz. Und für Latinos sieht es nicht besser aus. So sind beispielsweise 55 Prozent der Facebook-Angestellten weiß, nur vier Prozent lateinamerikanischer Herkunft, dabei stellen sie die größte Bevölkerungsgruppe in Kalifornien.
Aber es gibt Menschen, die das ändern wollen.
Morgens um zehn auf dem Campus der Antioch University in Los Angeles. Hier hat das noch junge Unternehmen Sabio.la zwei Räume angemietet. Acht junge Leute stehen im Kreis zum Stand-up – einem morgendlichen Ritual. Jeder erzählt, wie weit er mit seiner Arbeit ist, was er für den Tag vorhat und wo es gerade hakt.
Vor gerade mal zwei Wochen haben diese Acht ihre Ausbildung bei Sabio.la begonnen. Gregorio Rojas leitet die Firma gemeinsam mit seiner Frau.
"Wir machen aus Leuten, die überhaupt keine technische Vorausbildung haben, Software-Entwickler. Viele in der Tech-Branche glauben, dass das nicht geht."
Die amerikanische Gesellschaft wird immer bunter: Im Jahr 2044 wird die Mehrheit der Amerikaner nicht-weiß sein. Doch der Anteil von Schwarzen und Latinos im Informatikbereich liegt bei weniger als fünf Prozent. Rojas sagt:
"Wir schaffen eine größere Vielfalt in der Branche, weil wir speziell Frauen und Angehörige von ethnischen Minderheiten ansprechen. So einfach ist das. Wir bilden sie aus und dann bewerben sie sich. Momentan gibt es ja nicht mal einen großen Pool von Bewerbern mit diesem Hintergrund."
Die Zahlen geben ihm recht. Jeden Monat werden in der US-Technologieindustrie 9.600 neue Arbeitsplätze geschaffen. Laut Prognosen wird es bis 2018 in dem Bereich 1,2 Millionen neue Jobs geben. Programmierer in den USA verdienen umgerechnet mindestens 64.000 Euro im Jahr.
Van Jones geht mit dieser Zahl hausieren. Der bekannte Bürgerrechtler hat die Organisation #yeswecode mitgegründet, bei der Jugendliche aus armen Verhältnissen lernen, zu programmieren. Van Jones unterstützt die Förderarbeit, die Unternehmen wie Sabio.la leisten.
"Wenn Schwarze, Latinos oder Native American den Zugang erst einmal haben und es erste Erfolgsgeschichten gibt, dann werden andere diesem Beispiel folgen. So lief es im Sport und auch in der Musik. Da galt lange: Schwarze können singen, aber nicht mit der geschäftlichen Seite umgehen. Bis Berry Gordy auftauchte."

"Belegschaft so bunt wie möglich machen"

Gordy gründete 1959 das Motown Plattenlabel, hier waren Stars wie The Supremes, Marvin Gaye und The Temptations zu Hause. Es braucht also den Berry Gordy für das Internetzeitalter – den Mark Zuckerberg mit schwarzen oder lateinamerikanischen Wurzeln.
Seitdem öffentlich wurde, wie stark Frauen und Minderheiten im Silicon Valley unterrepräsentiert sind, ist eine Art Wettkampf entbrannt. Chiphersteller Intel kündigte an, 300 Millionen Dollar zu investieren, um die Belegschaft weiblicher und bunter zu machen. Facebook schuf ein sogenanntes "Diversity Team": Zehn Mitarbeiter sind bei dem sozialen Netzwerk einzig und allein dafür zuständig, Strategien zu entwickeln, um mehr Frauen und Angehörige anderer Ethnien einzustellen. Maxine Williams leitet das Team. Und sie fällt auf: In Trinidad geboren, ist sie eine der wenigen Schwarzen auf dem Facebook-Campus.
"Wenn wir bedenken, dass Facebook wirklich ein globales Produkt ist und Entfernungen keine Rolle spielen, dann müssen wir es schaffen, unsere Belegschaft so bunt wie möglich zu machen. Nur so können wir Anwendungen schaffen, die überall angenommen werden und die Menschen in der ganzen Welt für nützlich halten."
Bei Google müssen alle, die mit der Rekrutierung und Anstellung neuer Mitarbeiter beschäftigt sind, ein Seminar durchlaufen. Thema: "Unconscious Bias", was so viel wie "unbewusste Voreingenommenheit" bedeutet. Die Theorie: häufig werde unbewusst diskriminiert. So ist es für Frauen beispielsweise viel schwieriger, Geld bei Investoren einzusammeln. Denn speziell die Venture-Capital-Szene, wo entschieden wird, welche Start-Ups finanzielle Unterstützung erhalten, ist eine Männerdomäne.
Hier sind im Durchschnitt nur sechs Prozent der Teilhaber weiblich. Studien haben gezeigt, dass eine Geschäftsidee besser ankommt, wenn sie von einem Mann statt von einer Frau präsentiert wird. Dabei zeigen ganz praktische Erfahrungen, dass Frauen mit dem Geld verantwortungsvoller umgehen.
Zurück in Portland, wo Jean McDonald das AppCamp4Girls leitet, bei dem Schülerinnen innerhalb einer Woche lernen, eine App zu bauen. Das teilweise problematische Arbeitsumfeld für Frauen im Tech-Sektor beschäftigt auch sie:
"Natürlich machen wir uns darum Gedanken. Wir wollen unseren Teilnehmerinnen die Arbeit ja schmackhaft machen. Aber wollen wir sie wirklich in ein Umfeld schicken, in dem sie so behandelt und zermürbt werden?”
Um zu erfahren, wie die Arbeit von Programmierern und Entwicklern aussieht, machen die Mädchen aus dem AppCamp4Girls einen Ausflug. Ihr Ziel: Panic.

"Du kannst es schaffen"

Das Unternehmen aus Portland entwickelt seit gut 15 Jahren Apps für Apple. In dem hellen Großraumbüro stehen auf einem Schreibtisch fünf silberne Quader. Es sind Apple Design Awards, eine heiß begehrte Auszeichnung in der Branche.
Die Mädchen hören interessiert zu. Für die meisten ist es der erste direkte Einblick in diese Welt. Teilnehmerin Hannah sagt:
"Mädchen werden in der Regel nicht dazu ermuntert, in diesen Bereich zu gehen. Ich weiß von Freundinnen, dass sie sich komische Kommentare anhören mussten, wenn sie sagten, dass sie daran interessiert seien. Andere haben eine falsche Vorstellung: Die denken, man sitzt nur den ganzen Tag am Computer oder würde sich ständig bei der NASA reinhacken, was jetzt beides nicht stimmt.”
Zurück im Camp geht es wieder an die Arbeit: Am Tag darauf müssen die Developers ihre Apps einem Team von Investorinnen vorstellen, wie im wahren Leben. Noch gibt es Probleme: Bei einem Team taucht auf dem Bildschirm nur die Hälfte des Textes auf, ein anderes muss noch entscheiden, wer ihre App präsentieren soll. Die Mädchen verlassen das Camp nach fünf Tagen nicht nur mit einer App, die sie selbst entwickelt haben, sondern auch mit mehr Selbstbewusstsein. Und das, so Helferin Jamie, sei besonders wichtig:
"Du hast die Möglichkeit, das zu tun, was du tun willst. Wenn du Zeit, Arbeit und viel Herz reinlegst, kannst du es schaffen.”
Für AppCamp-Leiterin Jean McDonald ist es nur eine Frage der Zeit, bis Frauen ihren selbstverständlichen Platz in der Branche finden.
"Es kommen immer mehr Frauen dazu und irgendwann kippt es. Sexistische Bemerkungen, bestimmte Parties oder Aktivitäten wird es immer seltener geben, weil es einfach so sein wird, dass die Hälfte der Belegschaft das kindisch, dumm oder widerwärtig findet."

Fotos aus dem AppCamp4Girls in Portland im Bundesstaat Oregon/USA:

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