Italiener lassen Neros Luxuspalast verfallen

Von Thomas Migge |
Hohe Gewölbedecken, kostbare Stuckaturen, 300 Räume: Kaiser Neros Goldenes Haus in Rom ist eine gigantische Konstruktion - und eine archäologische Stätte von Weltrang. Doch wegen einer schlampigen Kulturpolitik droht den verbliebenen Ruinen nun der endgültige Verfall.
Der Blick geht unter die Erdoberfläche des heutigen Roms unweit des Kolosseums. Dem Zuschauer öffnet sich ein zehn Meter hoher Saal mit Gewölbedecke. Die Decke ist vollständig mit kostbaren Stuckaturen verziert. Zu sehen sind Girlanden und Putten. An den Wänden ockergelbe Fresken, die schlanke Säulen mit hauchdünnen Dächern zeigen. Darunter stehen elegant gekleidete Frauen in theatralischen Posen.

In einem anderen Saal bekommt der Zuschauer der virtuellen Rekonstruktion blau bemalte Wände zu sehen, die mit Blumen und weiteren architektonischen Fantasiekonstruktionen geschmückt sind. Es folgt ein Blick auf die Fassade der großzügigen Villa an einem künstlichen See, der extra für den Park angelegt wurde. Eine gigantische Konstruktion, mit tausenden von Quadratmetern Wohnfläche. Villa und Park nahmen cirka 250 Hektar Land ein. Der Kaiser hatte 300 Räume zur Verfügung, alle aufwendig ausgeschmückt und raffiniert gestaltet.

Die Domus Aurea, das Goldene Haus von Kaiser Nero, wurde in nur wenigen Jahren nach dem legendären Brand Roms im Jahr 68 errichtet. Nach Neros Tod wurden die Räumlichkeiten mit Erdreich zugeschüttet. Darauf errichtete man neue Gebäude.
Während die antiken Römer solche Meisterwerke der Architektur schufen, scheinen die heutigen Römer unfähig zu sein, die noch verbliebenen unterirdischen Ruinen wenigstens vor dem Verfall zu schützen. Unglaublich aber wahr: die Ruinen von Neros Villa, grandios auch nach fast 2000 Jahren, sind und bleiben bis auf weiteres geschlossen. Der Grund dafür: vor wenigen Monaten stürzte ein Deckengewölbe ein, wie Umberto Croppi erklärt, damaliger römischer Kulturassessor:

"Da stürzte mit dem Gewölbe ein Teil des Parks ein, der heute oberhalb der Villa liegt. Zum Glück befand sich in diesem Moment niemand an der Unglücksstelle."

Ebenfalls unglaublich, aber wahr: Fiel denn niemandem auf - den städtischen Archäologen, der Altertümerbehörde, den Experten unter den Besuchern, die die Verantwortlichen hätten warnen können -, dass ständige Wasserinfiltrationen nicht nur Schäden anrichteten, sondern die fragile Statik von Decken und Gewölben, Sälen und Korridoren in Gefahr brachten? Anscheinend nicht, klagt Archäologe Carlo Girone, den wir, unter Umgehung der Sicherheitsabsperrungen, im Eingangsbereich der Ruinen treffen:

"Wenn man hier nicht schnell etwas tut, droht der endgültige Verfall der gesamten Domus Aurea. Dieses Gebäude zu retten, sofort zu retten, muss ganz oben auf der Tagesordnung stehen."

Genau das soll jetzt geschehen. "Jetzt" bedeutet allerdings, nach römischen Zeitvorstellungen, in den nächsten zehn oder noch mehr Jahren. Das Kulturministerium erklärte, dass die Gelder, zwischen 30 und 50 Millionen Euro, bereit stünden, um das Haus Neros zu retten – buchstäblich in letzter Sekunde zu retten, denn Statiker der römischen Altertümerbehörde warnen: Wenn nicht sofort etwas getan wird, drohen die großen Säle der Domus einzustürzen.

Carlo Girone:

"Die Rettungsarbeiten betreffen das gesamte einstmals zu besichtigende Areal, rund 10.000 Quadratmeter. Die Gewölbedecken und Kuppeln sollen einsturzsicher gemacht werden. Bis Ende September will man sie abstützen, um das Schlimmste zu verhindern. Im Oktober sollen Gerüste den größten Saal der Villa absichern. Dann wird das ganze Erdreich oberhalb des Gebäudes entfernt, dort, wo 1871 der noch heute existierende Park angelegt wurde."

Nach diesen ersten Rettungsarbeiten sollen Hunderte von Quadratmetern Fresken und Stuckaturen restauriert werden. Viele sind in den letzten Jahren durch Wassereinbrüche schwer beschädigt worden, berichtet Archäologe Girone:

"Das ist eine große Aufgabe, denn diese kunstvollen Dekorationen sind in einem wirklich desolaten Zustand."

Und dann will man ein sogenanntes schwebendes Museum einrichten. Stahlkonstruktionen sollen es dem Besucher erlauben, hoch über den Fußböden auf einer Plattform die Räume des Kaisers zu durchschreiten. Auf diese Weise, so schwärmt bereits die römische Altertümerbehörde, kann man die Decken und Gewölbe von Nahem bestaunen, mit Malereien und Stuckaturen, von denen sich in der Renaissance Künstler wie Tizian, Raffael und Michelangelo inspirieren ließen.

All das hört sich gut an – vorausgesetzt, die Regierung wird nicht im letzten Moment und wie in der Vergangenheit immer wieder geschehen auch in punkto Archäologie den Rotstift ansetzen.

Doch angesichts der katastrophalen Zustände in der Domus Aurea muss man sich eine Frage stellen, die im Kulturministerium, in der Altertümerbehörde und in der Stadtverwaltung gar nicht gern gehört wird: Wie konnte es überhaupt soweit kommen, dass eine so wichtige archäologische Stätte, eine derart gut erhaltene antike Ruine, um die alle Welt Rom beneidet, so verkommen konnte? Wusste man etwa nicht, dass unkontrollierte Wassereinläufe und mangelnde statische Absicherungen gravierende Schäden anrichten? Anscheinend nicht. Auch wenn jetzt alles besser zu werden scheint, sollte man die Verantwortlichen für diesen Kulturskandal zur Verantwortung ziehen, denn hier geht es nicht um eine x-beliebige Ruine, sondern um Weltkulturgut.