"Italien ist immer gut für Überraschungen"

02.10.2013
Italien habe den Zenit der Eurokrise überschritten, sagt der Volkswirtschaftler Stefan Collignon. Die italienischen Politiker würden zwar unverantwortlich reden, am Ende täten sie aber, "was zu tun ist".
Gabi Wuttke: Die Vereinigten Staaten haben sich gerade selbst stillgelegt, die amerikanische Notenbank hatte das vorvergangene Woche wohl eingepreist, als sie verkündete, an der Niedrigzinspolitik festzuhalten. Heute tagt der Rat der Europäischen Zentralbank, um über die Geldpolitik für die nächste Zeit zu beraten, während sich Italien womöglich auch stilllegt, Frankreich unter den hohen Arbeitslosenzahlen ächzt und die Quartalszahlen aus Portugal weiter nichts wirklich Gutes verheißen.

In Pisa lehrt Professor Stefan Collignon Wirtschaftspolitik, außerdem leitet er ein Forschungsinstitut für angewandte Wirtschaftsanalyse in Rom, das Europa fokussiert. Einen schönen guten Morgen nach Pisa, Herr Collignon.

Stefan Collignon: Hallo, guten Morgen.

Wuttke: Ist der Zenit der Eurokrise womöglich noch gar nicht erreicht oder scheint es manchmal schwärzer, gerade in diesen Tagen, als es inzwischen ist?

Collignon: Nein. Den Zenit haben wir überschritten. Es geht langsam wieder bergauf, also es ist eigentlich eher umgekehrt. Es dauert aber noch Zeit, und es gibt auch immer wieder Momente, wo man ein bisschen Angst bekommen könnte, wie zum Beispiel jetzt, was Italien betrifft, aber der wirkliche kritische Punkt war vor einem Jahr, als die Europäische Zentralbank gesagt hat, sie wird tun, was immer es braucht, um den Euro zu retten. Und diese Ankündigung und das anschließende Programm, Staatsanleihen von Mitgliedsländern zu kaufen, wenn dies notwendig ist, hat die Krise im Grunde beruhigt.

Wuttke: Beruhigt? Wenn man es mal auf der ganzen Fläche sieht, aber die Zahlen, die Wirtschaftszahlen aus Italien sehen absolut nicht gut aus. Sie haben es ja schon gesagt, heute will Regierungschef Letta in Rom die Vertrauensfrage stellen. Ich frage Sie jetzt mal ganz simpel: Sind Berlusconis Rachefeldzüge dafür verantwortlich, dass es seit seinem Rücktritt vor zwei Jahren wirtschaftlich mit Italien nicht aufwärtsgegangen ist?

Collignon: Nein. Ich glaube, es geht viel weiter zurück. Wir reden in Italien von der sogenannten Zweiten Republik, die Anfang der 90er-Jahre begonnen hat. Das war damals, nachdem auch in Berlin die Mauer fiel und so weiter, die Kommunistische Partei sich aufgelöst hat, die Christdemokratische Partei sich aufgelöst hat. Das war die Zeit, als Berlusconi an die Macht kam. Und wenn man sich die wirtschaftlichen Daten anguckt: Seitdem ist Italien wirtschaftlich in Stagnation, relativ gesprochen. Die Produktivität wächst quasi überhaupt nicht mehr. Und das hat langsam auch den Effekt, dass man sieht, es geht nur noch abwärts.

Wuttke: Und was wird passieren, wenn Italien am Ende dieses Tages keine Regierung mehr hat? Was hieße das für Europa, für die Eurozone?

Collignon: Italien ist immer gut für Überraschungen, aber im Moment sieht es so aus, im Moment heißt heute Morgen um sieben Uhr, dass Berlusconi eine Rebellion in seiner eigenen Partei hat, 40 Mitglieder seiner eigenen Partei bereit sind, die Regierung zu unterstützen. Sein ehemaliger Rechte-Hand-Mitarbeiter, Alfano, ist dabei, sich zum eigenen politischen Führer zu entwickeln …

Wuttke: Aber auch das verheißt für Europa nichts Gutes.

Collignon: Eventuell doch. Denn was man hört, hier in Italien, ist, dass diese Absplitterung von Berlusconi, von gemäßigten Mitte-Rechts-Leuten, sich mittelfristig, nicht über Nacht, mittelfristig mit Monti und einigen anderen ehemaligen Christdemokraten zusammentun könnten, eine neue Mitte-Rechts-Partei, die dann der Europäischen Volkspartei, also sprich, den Parteien, die mit der CDU im Europäischen Parlament sind, zusammen eine neue italienische Partei gründen. Und das wäre wahrscheinlich eher gut, aber dahinter stecken natürlich noch viele Probleme, und in Italien heißt das, es gibt noch viel Cabaret, bis das alles sich so entwickelt.

Wuttke: Das haben Sie jetzt sehr freundlich gesagt. Italien ist aber immer noch eine der größten Volkswirtschaften der EU. Wann kann es rauskommen aus diesem Tunnel? Und deshalb noch mal die Frage: Was, wenn es so weitergeht in Italien, das wir, mal salopp gesagt, in irgendeiner Form chaotische Zustände behalten?

Collignon: Also, ich will das mal umdrehen. Wenn man sich Italien anguckt über die letzten Jahre und Jahrzehnte, oder Europa insgesamt, dann stelle ich fest: In allen Ländern Europas reden die Politiker in der Regel höchst verantwortungsvoll und handeln unverantwortlich. Italien ist umgekehrt. Die Politiker reden unverantwortlich, aber am Ende tun sie trotzdem das, was zu tun ist.

Wuttke: Tatsächlich?

Collignon: Ja. Wenn man sich anguckt zum Beispiel die Staatsverschuldung war in Italien in den letzten Jahren geringer als in den meisten anderen Ländern, obwohl das Gerede immer in die andere Richtung gegangen ist.

"Draghi ist ein hervorragender Präsident der EZB"
Wuttke: Das heißt, Italien wird nicht verantwortlich dafür sein als Teil der Eurozone, die ganze Region, diese Wirtschaftsregion, diesen Wirtschaftsraum weiter zu destabilisieren?

Collignon: In Italien gibt es eine, wie soll ich sagen … die Wirtschaft in Italien und die politischen Führer, die eng auch mit der Wirtschaft verknüpft sind, tun am Ende immer das, was zu tun ist, um die Situation zu stabilisieren, auch wenn man dabei hart an die Grenze des Abgrundes kommt. Und das ist immer wieder so gewesen, das ist auch mit Berlusconi so gewesen, mit ihm und gegen ihn. Und nicht zuletzt Mario Draghi ist ein hervorragender Präsident der Europäischen Zentralbank, ist einer, der das italienische System von innen kennt und natürlich auch in Italien seine Kontakte hat. Und er hat bereits vor zwei Jahren bewiesen, als dann Monti Premierminister wurde, dass er eine Koalition innerhalb Italiens zusammenbringen kann, die am Ende das Vernünftige macht.

Wuttke: Ruhig Blut, liebe Europäer, so kann man zusammenfassen, was Stefan Collignon über Italien denkt, das Land, in dem er Wirtschaftswissenschaften lehrt. Vielen Dank, Herr Collignon, schönen Tag.

Collignon: Danke auch.

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