Ist der Krieg im Libanon gerechtfertigt?
Der Schriftsteller Robert Menasse glaubt, dass Israels Kampf gegen die Hisbollah gerechtfertigt ist. Kein Staat der Welt lasse es zu, dass Raketen auf seine Territorium geschossen würden, sagte Menasse im Deutschlandradio Kultur. Demgegenüber meint der Orientalist Navid Kermani, dass Israel mit dem Libanon hätte verhandeln müssen, bevor es ihn angreift. Man solle versuchen, „diejenigen für sich zu gewinnen auf der anderen Seite, die zum Gespräch bereit sind.“
König: Ist der Krieg im Libanon ein gerechter Krieg? Ja, schrieb der Schriftsteller Robert Menasse schweren Herzens: „Kein Israeli hat je das Existenzrecht eines anderen Staates in Frage gestellt. Wenn aber andere Staaten die Existenz Israels in Frage stellen, dann muss Israel diesen Krieg führen. Einen – verdammt, ich bringe das Wort kaum heraus: – gerechten Krieg“. Nachzulesen in der „Süddeutschen Zeitung“ vom letzten Mittwoch. Ist der Krieg im Libanon ein gerechter Krieg? Nein, bekannte der Orientalist und Schriftsteller Navid Kermani in einem Aufruf, den er gemeinsam mit Susan Neiman, der Direktorin des Einstein Forums, am Donnerstag letzter Woche vorstellte und den viele jüdische wie muslimische Künstler, Wissenschaftler, Intellektuelle unterschrieben haben. Zitat: „Kein Krieg! Wir verabscheuen die Gewalt, Militarisierung und das Blutvergießen unschuldiger Menschen, das derzeit zwischen Israel und seinen arabischen und muslimischen Nachbarn stattfindet.“
Ist der Krieg im Libanon ein gerechter Krieg? Wir haben Robert Menasse und Navid Kermani eingeladen, diese Frage zu diskutieren. Herr Menasse in der Nähe von Wien, guten Tag.
Menasse: Guten Tag.
König: Und Herr Kermani in Köln.
Kermani: Guten Tag.
König: Robert Menasse, Ihr Artikel endete mit dem Satz: „Ich sitze vor dem Fernseher und weine und bin nicht ich: ein Pazifist, der die Daumen drückt bei einem Krieg!“ Schildern Sie uns doch noch mal das Dilemma, in dem Sie sich befinden. Und auch, warum Sie sich am Ende dazu entschieden haben, diesen Krieg richtig zu finden.
Menasse: Es ist grundsätzlich so, dass ich Gewalt verabscheue, in jeder Form: individuell, sozial, gesellschaftlich, militärisch. Ich bin ein – dachte ich bis vor kurzem –, ich bin eigentlich ein radikaler Pazifist. Und ich habe auch immer wieder, wenn Kriege ausgebrochen sind, dagegen angeschrieben und dagegen protestiert. Und ich habe immer darauf gedrängt oder habe immer daran versucht zu erinnern – auch und gerade, wenn die Kriegsbegeisterung bei manchen besonders groß war –, dass es eine politische oder diplomatische Lösung geben muss. Und das erscheint mir aber in diesem Fall, die Auseinandersetzung Israels mit der terroristischen Hisbollah, einfach nicht möglich. Aus einem einfachen Grund: Jeder – und ich sage noch einmal meine volle Sympathie –, jeder Aufruf zu Frieden und zu Gewaltlosigkeit wird zwar die Herzen und die Hirne auch vieler und fast aller Israelis erreichen, aber es wird nie einen Hisbollah-Freischärler geben, der da sagt: Na gut, dann versuchen wir es ohne Gewalt. Sie leben von der Gewalt, sie haben kein anderes Mittel, sie haben keine andere Absicht als Gewalt und schiere Gewalt.
König: Navid Kermani, können Sie dieses Dilemma nachempfinden? Haben Sie Ähnliches schon gedacht, empfunden?
Kermani: Ich bekomme es sehr oft geschildert von meinen israelischen Freunden, die mich für meinen Standpunkt, den Krieg zu kritisieren, wiederum kritisieren, die meinen Standpunkt verurteilen und den erklären und sagen, warum sie für diesen Krieg sind. Und natürlich versuche ich – und ich glaube, ich schaffe es auch zu einem gewissen Grade –, mich einzufühlen in die Wahrnehmung von Menschen, die in Israel leben und die sich bedroht, existenziell bedroht fühlen und die daher meinen, dass dieser Krieg gerechtfertigt ist.
Ich finde es aber ehrlich gesagt gar nicht so wichtig, ob ich jetzt oder wir uns das nachempfinden können oder nicht. Die Frage ist für mich: Stimme ich diesem Standpunkt zu? Und da würde ich aus zwei Gründen widersprechen.
Das eine ist die Frage der Legitimität dieses Krieges. Denn so, wie es Herr Menasse, soweit ich den Artikel noch vor Augen habe oder auch jetzt, schildert, blendet er ja jede Vorgeschichte aus. Und die eine Partei wird eindeutig zum Opfer, die andere Partei nur zum Täter. Und diese Art von Wahrnehmung, meine ich, geht an der Wirklichkeit vorbei, denn hier sind die Fronten doch etwas verworrener. Und so, wie man die israelische Aggression nicht ausblenden kann, so wenig sollte man und darf man ausblenden, dass Israel angegriffen worden ist in diesem Fall. Also ich finde diese Frage der Legitimität komplizierter, als Herr Menasse sie darstellt.
Das andere, aber noch wichtiger ist, viel wichtiger finde ich als Legitimität im Augenblick, ist die Frage: Ist denn der Krieg klug? Nützt dieser Krieg den legitimen Sicherheitsinteressen Israels? Und da komme ich noch zu einem viel, viel schärferem Nein. Und ich wundere mich darüber, wie man diesen Krieg, wenn man denn auch die Hisbollah als eine terroristische Organisation einstuft, wenn man sich bedroht fühlt, wenn man meint, dass man mit diesem Krieg das Problem lösen könnte, dieser Krieg ist dabei – und das war von Anfang an abzusehen –, ist dabei zu einem Desaster zu werden für Israel, zu einem Triumph für die Hisbollah, mit allen negativen Folgen für die israelische Sicherheit, mit allen negativen Folgen für die einzige arabische Demokratie.
König: Also Herr Kermani sagt, man müsse die Legitimität dieses Krieges fragen, die Vorgeschichte des Konflikts dürfe nicht ausgeblendet werden und die Frage sei, ob dieser Krieg klug wäre. Herr Menasse, was sagen Sie dazu?
Menasse: Ganz kurz dazu, was die Vorgeschichte betrifft. Also ich habe, glaube ich, mittlerweile in aller Tiefe verstanden, dass der Hinweis auf die unendliche Komplexität dieses Problems, dieser ewige Hinweis auf die unendliche Komplexität dieses Problems nur der Versuch ist, eine Lösung zu verhindern, weil es ja gar so komplex ist. Es gibt ja simple Tatsachen. Es existiert dieser Staat Israel, das ist ein bestehender Staat, ja? Und ich kenne keinen Staat der Welt, der es hinnehmen würde, dass Freischärler in sein Territorium eindringen, Menschen entführen, die auf das Territorium dieses Staates Raketen abfeuern und davon ausgehen können, dass die Weltöffentlichkeit auf ihrer Seite ist und der Meinung, dass dieser Staat sich nicht wehren und nicht versuchen darf, das zu unterbinden. So viel also zur Komplexität und auch zur Legitimität dieses Krieges.
Ich möchte dem Herrn Kermani eine einfache Gegenfrage stellen: Stellen Sie sich vor, Sie sind israelischer Premier. Was würden Sie tun? Würden Sie zuschauen und weiter abwarten und hoffen, dass alles gut ausgeht, wenn Bomben auf Ihr Territorium, das Territorium eines Staates, für den Sie verantwortlich sind als Premier, fliegen? Oder würden Sie versuchen, das zu unterbinden? Wenn Sie jetzt sagen, es ist nicht klug, diesen Krieg zu führen, weil die Gewalt keine Lösung ist, dann sage ich Ihnen: Nicht der Krieg produziert die Gewalt in diesem Fall, sondern die Gewalt war da und der Krieg ist eine Antwort auf Gewalt.
König: Herr Kermani?
Kermani: Ja, aber wohin führt denn dieser Krieg? Also ich, was ich nicht begreife, ist – Sie müssen sich doch die Frage stellen, Herr Menasse: Wo ist Israel vor dem Krieg gewesen, wo ist es heute? Und wenn Sie sagen – und das finde ich schon eine ziemliche Unterstellung auch, zu sagen, jeder, der über die Komplexität spricht, der will Lösung vermeiden; im Gegenteil, ich meine, glaube ich, dass es unsere Aufgabe ist, an dieser Komplexität festzuhalten, und genauso wie ich mich gegen jeden Versuch wehren würde, die andere Seite – also jetzt die arabische oder palästinensische Seite –, wie es ja oft gemacht wird, als bloßes Opfer darzustellen, so wenig hilft es weiter, umgekehrt zu sagen, zu übersehen die Politik Israels in den letzten Jahren, die Liquidation, die Entführung durch die israelischen Armee auf libanesischem Territorium, in den besetzten Gebieten im Gaza, die Gewalt gegen Zivilisten in den letzten Jahren, auch jetzt. Es ist kein Krieg bloß gegen die Hisbollah, das berichten alle Freunde, alle Berichterstatter aus den Gebieten, es ist ein Krieg gegen die gesamte schiitische Zivilbevölkerung. Also das sind Dinge, finde ich, über die man reden muss.
Man kann dann vielleicht zu der Ansicht kommen, dass der Krieg dennoch gerechtfertigt ist. Aber so zu tun, als gäbe es all das nicht, als sei Israel in den letzten Jahren der friedlichste Staat der Welt gewesen und hätte von sich aus überhaupt keine Aggressionen geäußert, das finde ich einfach, da muss ich sagen, da fehlen mir ein bisschen die Worte, wie man das so sehen kann. Das sieht auch übrigens keiner meiner israelischen Freunde, die diesen Krieg befürworten. Die sind in ihrer Befürwortung des Kriegs ein wenig komplexer als Herr Menasse.
Das andere, wenn ich jetzt israelischer Ministerpräsident wäre, das ist eine sehr theoretische Frage. Aber wenn man vergleicht, wo Israel stand, als es den Frieden versuchte mit den Nachbarn unter Rabin, und wo es heute steht, wenn man die Politik der letzten Jahre, eine Politik der Eskalation – die natürlich von palästinensischer Seite befördert ist, von der Hamas, auch von Arafat anfangs –, dann muss man sehen, dass die Ergebnisse, nämlich die Antwort, Gewalt mit Krieg zu beantworten, desaströs verlaufen sind, dass das Ergebnis eine immer größere Unsicherheit war. Und Politik besteht nicht, ist kein Kinderspiel, wo man, weil der eine einen geschlagen hat, man einfach das Recht hat, zurückzuschlagen, sondern man sollte sich überlegen, wie man dazu kommt, aus dieser Gewalteskalation raus zu kommen. Und da hat sich gezeigt in den letzten Jahren, dass all diejenigen, die meinten, mit mehr Gewalt mehr Sicherheit zu erreichen – sei's im Irak, sei's in Afghanistan, sei's in den besetzten Gebieten –, an den Ergebnissen ihrer eigenen Politik gemessen fürchterlich versagt haben.
Und man sollte es vielleicht doch noch mal versuchen, mit denen, die man offenbar nicht bekriegen oder bekämpfen kann, versuchen sollte, diejenigen für sich zu gewinnen auf der anderen Seite, die zum Gespräch bereit sind.
Was einen doch so verbittert an dieser ganzen Auseinandersetzung, dass man vor einigen Jahren, während dieses Friedensprozesses in Oslo und in Taba und vorher, vor allem als Rabin noch lebte, man ja gar nicht so weit auseinander war, dass die Lösung – und ich bin viel gereist in den besetzten Gebieten, in Israel, im Libanon –, dass eigentlich den meisten Menschen die Lösung klar ist. Die wissen, wohin es, worauf es hinauslaufen wird. Und die Lösung ist ja auch skizziert worden, bis in Details schon skizziert worden.
Das heißt, es ist keineswegs so, dass der Frieden völlig unmöglich wäre. Aber er ist in den letzten Jahren von beiden Seiten aus verspielt worden. Und ich wehre mich dagegen und finde das auch nicht angemessen, hier so zu tun, als sei jetzt nur die andere Seite verantwortlich und die einen seien völlig unschuldig und hätten das Recht, jetzt weiter zurückzuschlagen.
König: Herr Menasse, würden Sie direkt antworten?
Menasse: Ja. Herr Kermani, Sie haben natürlich – wie das immer so ist bei solchen Diskussionen –, Sie haben in sehr vielen Punkten Recht und es spießt sich halt nur in ein paar anderen Punkten. Ich bin auch jederzeit bereit, Ihren Aufruf oder Ihre Resolution zu unterschreiben, dass dort endlich Frieden einkehren soll und dass der Krieg beendet werden muss und dass Frieden herrschen muss und so weiter. Ich unterschreibe das sofort. Aber ich bin auch der Meinung, dass man nicht zuschauen darf, wenn Raketen auf das Territorium von Israel abgeschossen werden, zum Beispiel auf Städte, in denen sogar selbst ein erklecklicher Anteil von arabischer Bevölkerung lebt.
Und wenn Sie – und was mich interessiert, ist folgender Widerspruch bei Ihnen, den ich ja sehr sympathisch finde, weil Sie ihn selbst aufgemacht haben: Sie sprechen einerseits von der arabischen Welt. Und dann sprechen Sie von den Menschen, die den Frieden wollen und die nichts anderes wollen, als in Ruhe und Anstand und Würde ihr Leben zu leben. Ich sage Ihnen: Es gibt keine „arabische Welt“. Es gibt Menschen, es gibt Araber, die wollen Frieden haben und Ruhe und Lebenschancen. Das ist ganz normal. Das ist menschlich und das will jeder Mensch.
Und es gibt Freischärler und Terroristenorganisationen, die diese friedliebende arabische Bevölkerung in Geiselhaft genommen haben. Genauso wie sie die israelische Regierung und die israelischen Städte, auf die sie Bomben abwerfen, in Geiselhaft nehmen, weil sie sie zwingen, anders zu leben, anders zu reagieren und Dinge zu tun, als sie eigentlich wollten, verstehen Sie? Das heißt, es geht darum, diese Terroristenorganisationen zu entwaffnen. Und …
König: Herr Kermani?
Kermani: Ja ich muss eine Sache sagen zu diesem Aufruf, weil das klingt ja jetzt hier so, als sei das ein naiver Aufruf zum Weltfrieden. Und Herr Menasse kann eigentlich diesen Aufruf gar nicht unterschreiben, weil er ein Aufruf ist wirklich von Muslimen und von Juden, der sich zunächst einmal an die eigene Seite wendet. Der wendet sich nicht an die westliche Öffentlichkeit und er bittet auch nicht irgendwie, es ist auch keine Anklage an die israelischen oder amerikanischen oder Hisbollah, sondern er ist ein Aufruf von Leuten, die zunächst einmal verabscheuen, was mit ihrer eigenen Tradition geschieht. Also die Muslime, die da unterzeichnet haben, das sind Leute, die die Hisbollah als Gegner begreifen, die gegen die Hisbollah mit Worten und mit dem Studium und mit den Waffen der Kunst gegen sie kämpfen und die keineswegs sich zunächst einmal gegen das wenden, was in den eigenen Reihen geschieht. Also das hier so als sozusagen naiven Weltverbesserungsaufruf darzustellen …
Menasse: Das habe ich nicht gesagt.
Kermani: Ja, es klang ein bisschen so, weil Sie sagten – also entweder haben Sie ihn gelesen oder nicht gelesen und sollten dann … Also er ist jedenfalls ein Aufruf, der genau das versucht, einzubringen, was ja auch zu Recht gefordert wird, dass die Kritik zunächst einmal in den eigenen Reihen geschieht, dass man als Araber, als Iraner, als Muslim zunächst einmal sieht, was da an Fundamentalisierung, an Radikalisierung, an Gewalt mithilfe der eigenen Tradition geschieht, und der Versuch da ist natürlich – und da sein muss –, sich gegen diese Indienstnahme der eigenen Tradition zu stellen.
Und Ähnliches sehen die jüdischen Künstler, Intellektuellen, die den Aufruf unterzeichnet haben, die auch meinen, dass hier eine Tradition in Beschlag genommen wird auf eine Weise, die sie nicht akzeptieren. Also insofern ist es kein allgemeiner Aufruf, sondern sehr spezifisch jeweils gegen die eigene, an die eigene, ins eigene Lager gerichtet.
Das andere, mit dem Raketenbeschuss: Sehen Sie, erstens einmal dieser Raketenbeschuss, es hat diesen Raketenbeschuss gegeben lange Zeit, als Israel den Süden Libanons besetzt hat. Es hat ihn immer wieder einmal gegeben in den Jahren seitdem – aber längst nicht in dem Maß, auch nicht zuvor. Und er hat wieder eingesetzt, als Israel wieder libanesischen Boden besetzt hat – wenn man mal von den Sheba-Farmen absieht, die sowieso besetzt waren die ganze Zeit.
Und jetzt stelle ich eine Frage oder eine Frage, die nicht ich gestellt habe, sondern eine Frage, die ein britischer, ein ehemaliger britischer Minister gestellt hat: Was wäre denn gewesen, wenn die Antwort Englands auf den Terror der IRA gewesen wäre, man hätte Belfast oder Dublin bombardiert? Wäre das, hätte das dazu beigetragen, am Ende wirklich die IRA auch zu besiegen? Und wenn man die innenpolitische Lage im Libanon sieht, wo es gerade ja vor einem Jahr eine Zedernrevolution gegeben hat, also wo die Syrier, der eigentliche Pate der Hisbollah, aus dem Land getrieben worden ist, wo man dabei war, die Hisbollah auch zu integrieren, versuchen, zu zivilisieren, und gerade in diesem Augenblick, wo eine säkulare, eine insgesamt vernünftige Regierung im Libanon herrscht, wird dieser Krieg angezettelt. Und Ergebnis ist …
König: Kommen Sie zum Schluss, Herr Kermani?
Kermani: Das Ergebnis ist, dass die Hisbollah gestärkt aus diesem Konflikt hervorgeht.
König: Herr Menasse?
Menasse: Ja ich fürchte, dass Sie Recht haben. Andererseits ist es doch so, dass der Libanon also weite Teile der Hisbollah einfach überlassen hat – trotz der UNO-Resolution, die die Entwaffnung der Hisbollah gefordert hat. Und von jedem Gebiet, von dem sich Israel zurückgezogen hat, um einen Schritt Richtung Frieden zu kommen, hat sofort die Hisbollah das besetzt, um dort Raketenbasen aufzubauen. Meines Wissens hat auch zum Beispiel der wirklich bedeutende Schriftsteller David Grossman unterschrieben, dass der Krieg keine Lösung ist und dass es anders gehandelt werden muss. Und was ist passiert? Gestern ist sein Sohn von einer Hisbollah-Rakete getötet worden.
Ich finde, es gibt – und ich sage das noch einmal, weil die Einzigartigkeit niemandem bewusst ist oder in den Medien einfach nicht vorkommt –, es gibt keinen Staat auf der Welt, der akzeptieren kann, dass auf sein Territorium Raketen abgeschossen werden. Ich möchte wissen, was passiert, wenn die Dänen auf Hamburg Raketen schießen, wie lange die Deutschen dann zuschauen werden. Ich meine, …
Kermani: (unverständlich)
Menasse: … ich möchte, und es gibt keinen Staat auf der Welt, dessen Regierung akzeptieren kann, in Verhandlungen mit Terrorgruppen einzutreten, und sie dadurch praktisch als politische Kraft anzuerkennen. Kein Mensch hat von Präsident Bush verlangt, er soll jetzt diplomatische Verhandlungen mit der El Kaida aufnehmen, damit dieser Terror endlich ein Ende hat. Der kann den nicht anerkennen, verstehen Sie? Und genauso wenig kann Israel eine Terrororganisation wie die Hisbollah anerkennen …
König: Wir haben jetzt noch drei Minuten Zeit für dieses Gespräch. Herr Menasse, entschuldigen Sie, wenn ich Sie unterbreche. Kommen Sie zum Schluss und dann möchte ich Herrn Kermani noch Zeit geben, einmal zu antworten und dann müssen wir das Gespräch beenden.
Menasse: Na, mein Schluss ist ganz einfach: Ich will Frieden, ja? Und die Voraussetzung für den Frieden ist die Auflösung der Hisbollah. Und solange sie Raketen abschießen oder wenn sie jetzt, nach der Waffenruhe, nach der Vereinbarung der Waffenruhe, wenn sie die Waffenruhe einhalten, ist Frieden einmal in dem Südli…, wenn sie es nicht einhalten, wird sich Israel wieder wehren müssen.
König: Vielen Dank, Robert Menasse. Navid Kermani?
Kermani: Ja, Sie sagen, man sollte nicht mit der Hisbollah reden. Nun gut, dann sollte Israel nicht mit der Hisbollah reden, aber es sollte doch mit der libanesischen Regierung geredet haben, bevor es den gesamten Libanon in den Krieg stürzt. Und das ist auch der Punkt bei dem Umgang mit Terroristen. Natürlich kann man nicht mit El Kaida reden, aber man kann versuchen, mit denen zu reden, die noch nicht zu El Kaida halten, sondern die versuchen, El Kaida innenpolitisch und auch militärisch zu bekämpfen. Und …
Menasse: Da haben Sie Recht.
Kermani: … das ist, glaube ich, der entscheidende Fehler. Es geht nicht darum, mit Leuten zu reden, die mit einem nicht reden wollen. Aber es gibt sehr viele Leute auf der anderen Seite, die bereit wären, mit einem zu reden, wenn man es nur täte. Und stattdessen werden sie mit Bomben beworfen. Und diese Bomben treffen eben nicht nur die Hisbollah – das ist es auch, was mich an dieser ganzen Sache so bestürzt. Wenn dieser Krieg zwei, drei Tage gedauert hätte, man hätte gezielt die Anlagen der Hisbollah versucht zu bombardieren, was aber nicht gegangen wäre …
Menasse: Die verstecken sich inmitten der Zivilbevölkerung!
Kermani: … und hätte dann aufgehört. Gut. Aber dieser Krieg ist fortgesetzt, fortgeführt worden. Und jetzt ist die Hisbollah am Ende sehr viel stärker als sie vorher war. Und wenn Sie von den Opfern der einen Seite …
König: Kommen Sie zum Schluss, Herr Kermani?
Kermani: … sprechen, muss man auch die Opfer der anderen Seite sehen.
König: Ist der Krieg im Libanon ein gerechter Krieg? Ein Gespräch mit dem Schriftsteller Robert Menasse und mit dem Orientalisten und Schriftsteller Navid Kermani. Die Aufsätze, die sozusagen der Anlass dieses Gesprächs waren, finden Sie in den Ausgaben der „Süddeutschen Zeitung“ vom 7. und vom 9. August.
Ist der Krieg im Libanon ein gerechter Krieg? Wir haben Robert Menasse und Navid Kermani eingeladen, diese Frage zu diskutieren. Herr Menasse in der Nähe von Wien, guten Tag.
Menasse: Guten Tag.
König: Und Herr Kermani in Köln.
Kermani: Guten Tag.
König: Robert Menasse, Ihr Artikel endete mit dem Satz: „Ich sitze vor dem Fernseher und weine und bin nicht ich: ein Pazifist, der die Daumen drückt bei einem Krieg!“ Schildern Sie uns doch noch mal das Dilemma, in dem Sie sich befinden. Und auch, warum Sie sich am Ende dazu entschieden haben, diesen Krieg richtig zu finden.
Menasse: Es ist grundsätzlich so, dass ich Gewalt verabscheue, in jeder Form: individuell, sozial, gesellschaftlich, militärisch. Ich bin ein – dachte ich bis vor kurzem –, ich bin eigentlich ein radikaler Pazifist. Und ich habe auch immer wieder, wenn Kriege ausgebrochen sind, dagegen angeschrieben und dagegen protestiert. Und ich habe immer darauf gedrängt oder habe immer daran versucht zu erinnern – auch und gerade, wenn die Kriegsbegeisterung bei manchen besonders groß war –, dass es eine politische oder diplomatische Lösung geben muss. Und das erscheint mir aber in diesem Fall, die Auseinandersetzung Israels mit der terroristischen Hisbollah, einfach nicht möglich. Aus einem einfachen Grund: Jeder – und ich sage noch einmal meine volle Sympathie –, jeder Aufruf zu Frieden und zu Gewaltlosigkeit wird zwar die Herzen und die Hirne auch vieler und fast aller Israelis erreichen, aber es wird nie einen Hisbollah-Freischärler geben, der da sagt: Na gut, dann versuchen wir es ohne Gewalt. Sie leben von der Gewalt, sie haben kein anderes Mittel, sie haben keine andere Absicht als Gewalt und schiere Gewalt.
König: Navid Kermani, können Sie dieses Dilemma nachempfinden? Haben Sie Ähnliches schon gedacht, empfunden?
Kermani: Ich bekomme es sehr oft geschildert von meinen israelischen Freunden, die mich für meinen Standpunkt, den Krieg zu kritisieren, wiederum kritisieren, die meinen Standpunkt verurteilen und den erklären und sagen, warum sie für diesen Krieg sind. Und natürlich versuche ich – und ich glaube, ich schaffe es auch zu einem gewissen Grade –, mich einzufühlen in die Wahrnehmung von Menschen, die in Israel leben und die sich bedroht, existenziell bedroht fühlen und die daher meinen, dass dieser Krieg gerechtfertigt ist.
Ich finde es aber ehrlich gesagt gar nicht so wichtig, ob ich jetzt oder wir uns das nachempfinden können oder nicht. Die Frage ist für mich: Stimme ich diesem Standpunkt zu? Und da würde ich aus zwei Gründen widersprechen.
Das eine ist die Frage der Legitimität dieses Krieges. Denn so, wie es Herr Menasse, soweit ich den Artikel noch vor Augen habe oder auch jetzt, schildert, blendet er ja jede Vorgeschichte aus. Und die eine Partei wird eindeutig zum Opfer, die andere Partei nur zum Täter. Und diese Art von Wahrnehmung, meine ich, geht an der Wirklichkeit vorbei, denn hier sind die Fronten doch etwas verworrener. Und so, wie man die israelische Aggression nicht ausblenden kann, so wenig sollte man und darf man ausblenden, dass Israel angegriffen worden ist in diesem Fall. Also ich finde diese Frage der Legitimität komplizierter, als Herr Menasse sie darstellt.
Das andere, aber noch wichtiger ist, viel wichtiger finde ich als Legitimität im Augenblick, ist die Frage: Ist denn der Krieg klug? Nützt dieser Krieg den legitimen Sicherheitsinteressen Israels? Und da komme ich noch zu einem viel, viel schärferem Nein. Und ich wundere mich darüber, wie man diesen Krieg, wenn man denn auch die Hisbollah als eine terroristische Organisation einstuft, wenn man sich bedroht fühlt, wenn man meint, dass man mit diesem Krieg das Problem lösen könnte, dieser Krieg ist dabei – und das war von Anfang an abzusehen –, ist dabei zu einem Desaster zu werden für Israel, zu einem Triumph für die Hisbollah, mit allen negativen Folgen für die israelische Sicherheit, mit allen negativen Folgen für die einzige arabische Demokratie.
König: Also Herr Kermani sagt, man müsse die Legitimität dieses Krieges fragen, die Vorgeschichte des Konflikts dürfe nicht ausgeblendet werden und die Frage sei, ob dieser Krieg klug wäre. Herr Menasse, was sagen Sie dazu?
Menasse: Ganz kurz dazu, was die Vorgeschichte betrifft. Also ich habe, glaube ich, mittlerweile in aller Tiefe verstanden, dass der Hinweis auf die unendliche Komplexität dieses Problems, dieser ewige Hinweis auf die unendliche Komplexität dieses Problems nur der Versuch ist, eine Lösung zu verhindern, weil es ja gar so komplex ist. Es gibt ja simple Tatsachen. Es existiert dieser Staat Israel, das ist ein bestehender Staat, ja? Und ich kenne keinen Staat der Welt, der es hinnehmen würde, dass Freischärler in sein Territorium eindringen, Menschen entführen, die auf das Territorium dieses Staates Raketen abfeuern und davon ausgehen können, dass die Weltöffentlichkeit auf ihrer Seite ist und der Meinung, dass dieser Staat sich nicht wehren und nicht versuchen darf, das zu unterbinden. So viel also zur Komplexität und auch zur Legitimität dieses Krieges.
Ich möchte dem Herrn Kermani eine einfache Gegenfrage stellen: Stellen Sie sich vor, Sie sind israelischer Premier. Was würden Sie tun? Würden Sie zuschauen und weiter abwarten und hoffen, dass alles gut ausgeht, wenn Bomben auf Ihr Territorium, das Territorium eines Staates, für den Sie verantwortlich sind als Premier, fliegen? Oder würden Sie versuchen, das zu unterbinden? Wenn Sie jetzt sagen, es ist nicht klug, diesen Krieg zu führen, weil die Gewalt keine Lösung ist, dann sage ich Ihnen: Nicht der Krieg produziert die Gewalt in diesem Fall, sondern die Gewalt war da und der Krieg ist eine Antwort auf Gewalt.
König: Herr Kermani?
Kermani: Ja, aber wohin führt denn dieser Krieg? Also ich, was ich nicht begreife, ist – Sie müssen sich doch die Frage stellen, Herr Menasse: Wo ist Israel vor dem Krieg gewesen, wo ist es heute? Und wenn Sie sagen – und das finde ich schon eine ziemliche Unterstellung auch, zu sagen, jeder, der über die Komplexität spricht, der will Lösung vermeiden; im Gegenteil, ich meine, glaube ich, dass es unsere Aufgabe ist, an dieser Komplexität festzuhalten, und genauso wie ich mich gegen jeden Versuch wehren würde, die andere Seite – also jetzt die arabische oder palästinensische Seite –, wie es ja oft gemacht wird, als bloßes Opfer darzustellen, so wenig hilft es weiter, umgekehrt zu sagen, zu übersehen die Politik Israels in den letzten Jahren, die Liquidation, die Entführung durch die israelischen Armee auf libanesischem Territorium, in den besetzten Gebieten im Gaza, die Gewalt gegen Zivilisten in den letzten Jahren, auch jetzt. Es ist kein Krieg bloß gegen die Hisbollah, das berichten alle Freunde, alle Berichterstatter aus den Gebieten, es ist ein Krieg gegen die gesamte schiitische Zivilbevölkerung. Also das sind Dinge, finde ich, über die man reden muss.
Man kann dann vielleicht zu der Ansicht kommen, dass der Krieg dennoch gerechtfertigt ist. Aber so zu tun, als gäbe es all das nicht, als sei Israel in den letzten Jahren der friedlichste Staat der Welt gewesen und hätte von sich aus überhaupt keine Aggressionen geäußert, das finde ich einfach, da muss ich sagen, da fehlen mir ein bisschen die Worte, wie man das so sehen kann. Das sieht auch übrigens keiner meiner israelischen Freunde, die diesen Krieg befürworten. Die sind in ihrer Befürwortung des Kriegs ein wenig komplexer als Herr Menasse.
Das andere, wenn ich jetzt israelischer Ministerpräsident wäre, das ist eine sehr theoretische Frage. Aber wenn man vergleicht, wo Israel stand, als es den Frieden versuchte mit den Nachbarn unter Rabin, und wo es heute steht, wenn man die Politik der letzten Jahre, eine Politik der Eskalation – die natürlich von palästinensischer Seite befördert ist, von der Hamas, auch von Arafat anfangs –, dann muss man sehen, dass die Ergebnisse, nämlich die Antwort, Gewalt mit Krieg zu beantworten, desaströs verlaufen sind, dass das Ergebnis eine immer größere Unsicherheit war. Und Politik besteht nicht, ist kein Kinderspiel, wo man, weil der eine einen geschlagen hat, man einfach das Recht hat, zurückzuschlagen, sondern man sollte sich überlegen, wie man dazu kommt, aus dieser Gewalteskalation raus zu kommen. Und da hat sich gezeigt in den letzten Jahren, dass all diejenigen, die meinten, mit mehr Gewalt mehr Sicherheit zu erreichen – sei's im Irak, sei's in Afghanistan, sei's in den besetzten Gebieten –, an den Ergebnissen ihrer eigenen Politik gemessen fürchterlich versagt haben.
Und man sollte es vielleicht doch noch mal versuchen, mit denen, die man offenbar nicht bekriegen oder bekämpfen kann, versuchen sollte, diejenigen für sich zu gewinnen auf der anderen Seite, die zum Gespräch bereit sind.
Was einen doch so verbittert an dieser ganzen Auseinandersetzung, dass man vor einigen Jahren, während dieses Friedensprozesses in Oslo und in Taba und vorher, vor allem als Rabin noch lebte, man ja gar nicht so weit auseinander war, dass die Lösung – und ich bin viel gereist in den besetzten Gebieten, in Israel, im Libanon –, dass eigentlich den meisten Menschen die Lösung klar ist. Die wissen, wohin es, worauf es hinauslaufen wird. Und die Lösung ist ja auch skizziert worden, bis in Details schon skizziert worden.
Das heißt, es ist keineswegs so, dass der Frieden völlig unmöglich wäre. Aber er ist in den letzten Jahren von beiden Seiten aus verspielt worden. Und ich wehre mich dagegen und finde das auch nicht angemessen, hier so zu tun, als sei jetzt nur die andere Seite verantwortlich und die einen seien völlig unschuldig und hätten das Recht, jetzt weiter zurückzuschlagen.
König: Herr Menasse, würden Sie direkt antworten?
Menasse: Ja. Herr Kermani, Sie haben natürlich – wie das immer so ist bei solchen Diskussionen –, Sie haben in sehr vielen Punkten Recht und es spießt sich halt nur in ein paar anderen Punkten. Ich bin auch jederzeit bereit, Ihren Aufruf oder Ihre Resolution zu unterschreiben, dass dort endlich Frieden einkehren soll und dass der Krieg beendet werden muss und dass Frieden herrschen muss und so weiter. Ich unterschreibe das sofort. Aber ich bin auch der Meinung, dass man nicht zuschauen darf, wenn Raketen auf das Territorium von Israel abgeschossen werden, zum Beispiel auf Städte, in denen sogar selbst ein erklecklicher Anteil von arabischer Bevölkerung lebt.
Und wenn Sie – und was mich interessiert, ist folgender Widerspruch bei Ihnen, den ich ja sehr sympathisch finde, weil Sie ihn selbst aufgemacht haben: Sie sprechen einerseits von der arabischen Welt. Und dann sprechen Sie von den Menschen, die den Frieden wollen und die nichts anderes wollen, als in Ruhe und Anstand und Würde ihr Leben zu leben. Ich sage Ihnen: Es gibt keine „arabische Welt“. Es gibt Menschen, es gibt Araber, die wollen Frieden haben und Ruhe und Lebenschancen. Das ist ganz normal. Das ist menschlich und das will jeder Mensch.
Und es gibt Freischärler und Terroristenorganisationen, die diese friedliebende arabische Bevölkerung in Geiselhaft genommen haben. Genauso wie sie die israelische Regierung und die israelischen Städte, auf die sie Bomben abwerfen, in Geiselhaft nehmen, weil sie sie zwingen, anders zu leben, anders zu reagieren und Dinge zu tun, als sie eigentlich wollten, verstehen Sie? Das heißt, es geht darum, diese Terroristenorganisationen zu entwaffnen. Und …
König: Herr Kermani?
Kermani: Ja ich muss eine Sache sagen zu diesem Aufruf, weil das klingt ja jetzt hier so, als sei das ein naiver Aufruf zum Weltfrieden. Und Herr Menasse kann eigentlich diesen Aufruf gar nicht unterschreiben, weil er ein Aufruf ist wirklich von Muslimen und von Juden, der sich zunächst einmal an die eigene Seite wendet. Der wendet sich nicht an die westliche Öffentlichkeit und er bittet auch nicht irgendwie, es ist auch keine Anklage an die israelischen oder amerikanischen oder Hisbollah, sondern er ist ein Aufruf von Leuten, die zunächst einmal verabscheuen, was mit ihrer eigenen Tradition geschieht. Also die Muslime, die da unterzeichnet haben, das sind Leute, die die Hisbollah als Gegner begreifen, die gegen die Hisbollah mit Worten und mit dem Studium und mit den Waffen der Kunst gegen sie kämpfen und die keineswegs sich zunächst einmal gegen das wenden, was in den eigenen Reihen geschieht. Also das hier so als sozusagen naiven Weltverbesserungsaufruf darzustellen …
Menasse: Das habe ich nicht gesagt.
Kermani: Ja, es klang ein bisschen so, weil Sie sagten – also entweder haben Sie ihn gelesen oder nicht gelesen und sollten dann … Also er ist jedenfalls ein Aufruf, der genau das versucht, einzubringen, was ja auch zu Recht gefordert wird, dass die Kritik zunächst einmal in den eigenen Reihen geschieht, dass man als Araber, als Iraner, als Muslim zunächst einmal sieht, was da an Fundamentalisierung, an Radikalisierung, an Gewalt mithilfe der eigenen Tradition geschieht, und der Versuch da ist natürlich – und da sein muss –, sich gegen diese Indienstnahme der eigenen Tradition zu stellen.
Und Ähnliches sehen die jüdischen Künstler, Intellektuellen, die den Aufruf unterzeichnet haben, die auch meinen, dass hier eine Tradition in Beschlag genommen wird auf eine Weise, die sie nicht akzeptieren. Also insofern ist es kein allgemeiner Aufruf, sondern sehr spezifisch jeweils gegen die eigene, an die eigene, ins eigene Lager gerichtet.
Das andere, mit dem Raketenbeschuss: Sehen Sie, erstens einmal dieser Raketenbeschuss, es hat diesen Raketenbeschuss gegeben lange Zeit, als Israel den Süden Libanons besetzt hat. Es hat ihn immer wieder einmal gegeben in den Jahren seitdem – aber längst nicht in dem Maß, auch nicht zuvor. Und er hat wieder eingesetzt, als Israel wieder libanesischen Boden besetzt hat – wenn man mal von den Sheba-Farmen absieht, die sowieso besetzt waren die ganze Zeit.
Und jetzt stelle ich eine Frage oder eine Frage, die nicht ich gestellt habe, sondern eine Frage, die ein britischer, ein ehemaliger britischer Minister gestellt hat: Was wäre denn gewesen, wenn die Antwort Englands auf den Terror der IRA gewesen wäre, man hätte Belfast oder Dublin bombardiert? Wäre das, hätte das dazu beigetragen, am Ende wirklich die IRA auch zu besiegen? Und wenn man die innenpolitische Lage im Libanon sieht, wo es gerade ja vor einem Jahr eine Zedernrevolution gegeben hat, also wo die Syrier, der eigentliche Pate der Hisbollah, aus dem Land getrieben worden ist, wo man dabei war, die Hisbollah auch zu integrieren, versuchen, zu zivilisieren, und gerade in diesem Augenblick, wo eine säkulare, eine insgesamt vernünftige Regierung im Libanon herrscht, wird dieser Krieg angezettelt. Und Ergebnis ist …
König: Kommen Sie zum Schluss, Herr Kermani?
Kermani: Das Ergebnis ist, dass die Hisbollah gestärkt aus diesem Konflikt hervorgeht.
König: Herr Menasse?
Menasse: Ja ich fürchte, dass Sie Recht haben. Andererseits ist es doch so, dass der Libanon also weite Teile der Hisbollah einfach überlassen hat – trotz der UNO-Resolution, die die Entwaffnung der Hisbollah gefordert hat. Und von jedem Gebiet, von dem sich Israel zurückgezogen hat, um einen Schritt Richtung Frieden zu kommen, hat sofort die Hisbollah das besetzt, um dort Raketenbasen aufzubauen. Meines Wissens hat auch zum Beispiel der wirklich bedeutende Schriftsteller David Grossman unterschrieben, dass der Krieg keine Lösung ist und dass es anders gehandelt werden muss. Und was ist passiert? Gestern ist sein Sohn von einer Hisbollah-Rakete getötet worden.
Ich finde, es gibt – und ich sage das noch einmal, weil die Einzigartigkeit niemandem bewusst ist oder in den Medien einfach nicht vorkommt –, es gibt keinen Staat auf der Welt, der akzeptieren kann, dass auf sein Territorium Raketen abgeschossen werden. Ich möchte wissen, was passiert, wenn die Dänen auf Hamburg Raketen schießen, wie lange die Deutschen dann zuschauen werden. Ich meine, …
Kermani: (unverständlich)
Menasse: … ich möchte, und es gibt keinen Staat auf der Welt, dessen Regierung akzeptieren kann, in Verhandlungen mit Terrorgruppen einzutreten, und sie dadurch praktisch als politische Kraft anzuerkennen. Kein Mensch hat von Präsident Bush verlangt, er soll jetzt diplomatische Verhandlungen mit der El Kaida aufnehmen, damit dieser Terror endlich ein Ende hat. Der kann den nicht anerkennen, verstehen Sie? Und genauso wenig kann Israel eine Terrororganisation wie die Hisbollah anerkennen …
König: Wir haben jetzt noch drei Minuten Zeit für dieses Gespräch. Herr Menasse, entschuldigen Sie, wenn ich Sie unterbreche. Kommen Sie zum Schluss und dann möchte ich Herrn Kermani noch Zeit geben, einmal zu antworten und dann müssen wir das Gespräch beenden.
Menasse: Na, mein Schluss ist ganz einfach: Ich will Frieden, ja? Und die Voraussetzung für den Frieden ist die Auflösung der Hisbollah. Und solange sie Raketen abschießen oder wenn sie jetzt, nach der Waffenruhe, nach der Vereinbarung der Waffenruhe, wenn sie die Waffenruhe einhalten, ist Frieden einmal in dem Südli…, wenn sie es nicht einhalten, wird sich Israel wieder wehren müssen.
König: Vielen Dank, Robert Menasse. Navid Kermani?
Kermani: Ja, Sie sagen, man sollte nicht mit der Hisbollah reden. Nun gut, dann sollte Israel nicht mit der Hisbollah reden, aber es sollte doch mit der libanesischen Regierung geredet haben, bevor es den gesamten Libanon in den Krieg stürzt. Und das ist auch der Punkt bei dem Umgang mit Terroristen. Natürlich kann man nicht mit El Kaida reden, aber man kann versuchen, mit denen zu reden, die noch nicht zu El Kaida halten, sondern die versuchen, El Kaida innenpolitisch und auch militärisch zu bekämpfen. Und …
Menasse: Da haben Sie Recht.
Kermani: … das ist, glaube ich, der entscheidende Fehler. Es geht nicht darum, mit Leuten zu reden, die mit einem nicht reden wollen. Aber es gibt sehr viele Leute auf der anderen Seite, die bereit wären, mit einem zu reden, wenn man es nur täte. Und stattdessen werden sie mit Bomben beworfen. Und diese Bomben treffen eben nicht nur die Hisbollah – das ist es auch, was mich an dieser ganzen Sache so bestürzt. Wenn dieser Krieg zwei, drei Tage gedauert hätte, man hätte gezielt die Anlagen der Hisbollah versucht zu bombardieren, was aber nicht gegangen wäre …
Menasse: Die verstecken sich inmitten der Zivilbevölkerung!
Kermani: … und hätte dann aufgehört. Gut. Aber dieser Krieg ist fortgesetzt, fortgeführt worden. Und jetzt ist die Hisbollah am Ende sehr viel stärker als sie vorher war. Und wenn Sie von den Opfern der einen Seite …
König: Kommen Sie zum Schluss, Herr Kermani?
Kermani: … sprechen, muss man auch die Opfer der anderen Seite sehen.
König: Ist der Krieg im Libanon ein gerechter Krieg? Ein Gespräch mit dem Schriftsteller Robert Menasse und mit dem Orientalisten und Schriftsteller Navid Kermani. Die Aufsätze, die sozusagen der Anlass dieses Gesprächs waren, finden Sie in den Ausgaben der „Süddeutschen Zeitung“ vom 7. und vom 9. August.