"Ist das Leben nicht schön?"

Von Thomas Kroll |
Advent und Weihnachten sind Zeiten der Rituale: Immer dieselben Bräuche daheim, dieselben Lieder in der Kirche und immer wieder auch dieselben Filme im Fernsehen. Am Heiligabend wartet das ZDF spätabends mit einer speziellen Liturgie auf die Zuschauer. Wie in vielen Jahren zuvor lautet die Festfolge: Zunächst die Evangelische Christvesper, dann noch einmal die Heute-Nachrichten, und schließlich Frank Capras Schwarzweißfilm "Ist das Leben nicht schön?".
"George Bailey hat so viel für mich getan. Gott hilf ihm!
Heilige Mutter Maria, hilf meinem Freund, Mr. Bailey!"

Bittgebete prägen den Beginn von Frank Capras Film "Ist das Leben nicht schön?" Mit den Gebeten bewegt sich auch die Kamera zum Himmel empor. Schließlich erblickt man inmitten zahlreicher Sterne zwei sprachbegabte Planetennebel.

"Ich glaube, wir sollten mal jemanden runterschicken. Es beten so viele Leute um Hilfe für einen gewissen George Bailey.
George Bailey, tja, der weiß keinen Ausweg mehr. Es muss sofort jemand zu ihm runter."

Die beiden unkonventionellen Engelgestalten lassen einen dritten kommen. Der Engel Clarence ist keine große Leuchte. Daher studiert er vor der irdischen Rettungsaktion zunächst ein himmlisches Dossier.

"Kannst du schon was sehen?
Ja, es ist erstaunlich!"

Wer glaubt, im Himmel werde nur aus dem Buch des Lebens zitiert, sieht sich getäuscht – dank eines Films.

Förner: "Er zeigt ... einen Menschen, der ... immer um der andern willen etwas tut. Der springt seinem Bruder hinterher, um ihn aus dem Eis zu retten, holt sich dabei diese Ohrenverletzung, er ... betreibt die Bank seines Vaters weiter, nicht aus innerer Neigung – er möchte ganz was anderes machen –, sondern weil er der einzige ist, der es machen kann, also macht er’s halt."

Stefan Förner, Mitglied der Katholischen Filmkommission für Deutschland. Er sieht in George Bailey einen liebenswürdigen Mann mit großem sozialen Verantwortungsgefühl.

Förner: "Trotzdem ist er unglücklich. Das merkt man an vielen Stellen ..., als er immer wieder über diesen Ort schimpft, in dem er bleiben muss, aus dem er doch eigentlich raus möchte."

George Baileys Gegenspieler heißt Henry Potter. Der hartherzige Kapitalist saugt die sozial Schwachen aus; George Bailey hingegen verhilft ihnen zu Eigenheimen. Das ist gelebte Option für die Armen. Das ist "Weihnachten im Alltag".

"Mister Potter seh’n sie mal. Es geht mich zwar nichts an, ich bin nur ihr kleiner Mietekassierer, aber man darf die Bedeutung des Bailey Parks nicht mehr unterschätzen."

Eines Tages jedoch, genauer: am Morgen des Heiligen Abends fehlen 8000 Dollar in der Genossenschaftsbank. Der Buchprüfer steht bereits vor der Tür. In seiner Not bittet George Bailey sogar Mister Potter um Hilfe – ohne Erfolg. Schließlich steht der Verzweifelte auf der Brücke über einem eiskalten Fluss.
Da tritt der Engel Clarence auf den Plan, und ein zweiter Film beginnt.

"Es wär’ doch wohl besser, ich wär gar nicht erst geboren.
Was hast Du gesagt?
Ich sagte: Ich wünschte, ich wär’ nicht geboren.
Oooh, du darfst so schreckliche Sachen nicht sagen. Du musst ... Moment mal, Moment mal, das is ‘ne Idee."

Förner: "Der Engel ... nimmt die Wünsche ernst. Und der wünscht sich ja ... nicht gelebt zu haben, nie da gewesen zu sein. Und dann sagt er: Gut, dann machen wir das einfach."

Gemeinsam gehen der Engel und der Lebensmüde durch die Stadt. Die heißt jetzt Pottersville, und kein Mensch kennt George Bailey. An der Stelle des Bailey Parks befindet sich nunmehr ein Friedhof. Auf einem der Grabsteine entdeckt George seinen Familiennamen.

"Dein Bruder Harry. Er brach ins Eis ein und ertrank im Alter von neun Jahren.
Das ist nicht wahr. Harry Bailey war Soldat. Er hat durch seinen Einsatz vielen Kameraden das Leben gerettet und bekam eine Medaille dafür.
Diese vielen Kameraden sind gefallen. Harry war ja nicht da, um sie zu retten, weil du ihm nicht das Leben gerettet hast."

Förner: "In der Psychotherapie würde man versuchen, genau so auch jemandem zu helfen. Nicht zu sagen: Ich erklär dir jetzt alles und les dir alles vor, was in meinen schlauen Büchern steht, sondern ihn in eine Situation zu bringen, durch die er selbst zu einer Einsicht kommt."

Am Ende der Schreckensvision steht George Bailey erneut auf der Brücke über dem reißenden Fluss.

"Ich will wieder leben, bitte Gott, lass mich wieder leben!"

Hier schließt sich der Kreis, und Neues beginnt.

"Fröhliche Weihnachten!
Fröhliche Weihnachten, fröhliche Weihnachten, George!
Fröhliche Weihnachten, Kino! Fröhliche Weihnachten, altes Warenhaus! Fröhliche Weihnachten, gute alte Building & Loan!"

Förner: "Entscheidend ist eben, er sieht die Menschen auf einmal mit ganz anderen Augen. Und das macht ihn dann auch zu einem fröhlicheren, einem glücklicheren und vielleicht sogar zu einem besseren Menschen, auch wenn er vorher schon moralisch so super war."

"Ein typischer Capra-Film. Typisch in seinem optimistischen Glauben an das Gute im Menschen und die Kraft der Solidarität; typisch auch in der einfallsreichen Machart, die realistische und märchenhafte Motive mit Geschick und Geschmack verbindet."

Dieter Krusche in "Reclams Filmführer". Ähnlich sieht es Wim Wenders:

Wenders: "Is’n bisschen, also is‘ sehr amerikanisch, und der Capra ist ja immerhin auch so’n bisschen an der Grenze zum Kitsch, aber ich lieb’ den Film heiß und innig."