Israelischer Regisseur

Überall als Außenseiter gefühlt

Der israelische Regisseur Amos Kollek 2008 bei einem Fototermin auf der Berlinale.
Der israelische Regisseur Amos Kollek 2008 bei einem Fototermin auf der Berlinale. © picture alliance / dpa / Jan Woitas
Moderation: Susanne Burg · 06.05.2014
Sein Vater Teddy Kollek kümmerte sich als Politiker vor allem um Israel, deshalb sei er fast vaterlos aufgewachsen, sagt Regisseur Amos Kollek. Was im Leben vorherbestimmt sei, diese Frage interessiere ihn.
Susanne Burg: Als Teddy Kollek 2007 starb, da gab es ein Staatsbegräbnis. Kollek hat Israel maßgeblich geprägt. Er hat den Staat mit aufgebaut, er hat Beziehungen gesammelt, Geld und Waffen. Er war Bürochef von Ben Gurion, dem ersten Präsidenten Israels, und dann fast drei Jahrzehnte lang Bürgermeister von Jerusalem.
Um die Geschichte dieses Mannes geht es immer wieder in der Autobiografie "Parallele Leben“ von Amos Kollek, denn Amos Kollek ist der Sohn von Teddy Kollek und sein Leben lang wurde Amos Kollek als Teddys Sohn vorgestellt, selbst als Amos schon anerkannter Schriftsteller und Independent-Filmemacher war und mit Filmen wie "Fast Food, Fast Women“ zu Festivals reiste.
Wie es sich im Schatten eines solch berühmten Mannes lebt, damit hat sich Amos Kollek sein Leben lang auseinandergesetzt, und dabei kam seine Mutter, zu der er eine enge Beziehung hatte, häufig etwas kurz. Seine Autobiografie beginnt er dann damit, dass er dort auch seiner Mutter mehr Platz einräumen möchte. Dann geht es aber doch sehr stark um seinen Vater. Warum das so ist, das wollte ich eingangs von ihm wissen.
Amos Kollek: Nun, meine Mutter, die war, ich möchte fast sagen, eine Art höheres Wesen, aber vielleicht eben einfach nicht so interessant. Damit meine ich, sie hatte überhaupt nicht das, was mein Vater hatte, der so etwas Glamouröses hatte, der Ruhm auch irgendwo ausgestrahlt hat, und meine Mutter war dagegen eher schüchtern, während er doch ein sehr aufregender Mensch war.
Selbstlos erzogen worden
Nun war meine Mutter vielleicht auch nicht so gut aussehend und dann war sie laufend umgeben von Stars, Hollywood-Stars, Präsidenten, Vizepräsidenten. Da hat sie sich eigentlich immer mehr so ein bisschen versteckt. Aber sie war eine sehr, sehr ungewöhnliche Frau. Sie hat sehr viel gegeben. Sie hat etwas sehr Selbstloses. Sie ist wahrscheinlich der selbstloseste Mensch, der mir in meinem Leben begegnet ist, und so hat sie uns auch erzogen.
Burg: Ihre Eltern waren überzeugte Zionisten. Sie waren bei der Staatsgründung von Israel dabei, sind dann beide in ein Kibbuz gezogen. Aber als Ihr Vater dann politisch aktiver wurde, sind sie weggezogen. Wie schwer war das für Ihre Mutter, aus dem Kibbuz wegzuziehen?
Kollek: Ich glaube, das war die schwerste Entscheidung ihres Lebens, weil sie hatte eigentlich nur die Wahl, entweder mit meinem Vater mitzugehen nach Jerusalem, oder im Kibbuz zu bleiben. Das wiederum hätte bedeutet, dass sie die Familie zerstört hätte, dass sie die Familie aufgegeben hätte. Und dann bin ich auch noch genau zu dieser Zeit geboren. Aber wie gesagt, das war die härteste Entscheidung in ihrem Leben, und sie fand den Kibbuz immer sehr viel aufregender und sehr viel schöner als Jerusalem.
Burg: Sie schreiben ja auch in Ihrer Autobiografie, dass Sie gar nicht mit Jerusalem konkurrieren konnten als Kind, dass Teddy Kollek als Bürgermeister von Jerusalem für Sie nicht wirklich anwesend war. Und trotzdem versuchen Sie auch im Buch, so ein bisschen sein Leben noch mal Revue passieren zu lassen, wie Sie zu ihm standen. Und ein Punkt, der auch immer wieder vorkommt, ist, dass Ihr Vater sehr viele berühmte Menschen aus dem Show-Geschäft kannte, darunter Frank Sinatra, Paul Newman, Marlene Dietrich. Haben Sie verstanden, warum er sie kannte? Als Bürgermeister von Jerusalem war das ja nicht unbedingt eine Selbstverständlichkeit.
Cover: "Parallele Leben" von Amos Kollek
Die Autobiografie "Parallele Leben" von Amos Kollek© S. Fischer Verlag
Kollek: Das hat sehr viel mit der Persönlichkeit von Teddy Kollek zu tun, und da muss man auch weit zurückgehen, und das habe ich auch schon in unserem gemeinsamen Buch beschrieben, dass schon lange vor der Machtergreifung von Hitler, als mein Vater noch in Wien lebte … – damals gab es Straßenkämpfe zwischen Nazi-Jungs und jüdischen Jungs und dann hat er oft von den jungen Nazis zu hören bekommen: "Warum kämpfst du auf ihrer Seite?" Und das hing einfach damit zusammen, dass er eben nicht so typisch jüdisch aussah und eher aussah wie ein arischer Deutscher.
Das hat ihm aber in seinem Leben immer wieder geholfen, sein Aussehen, weil dann auch später, als Israel unter britischem Mandat stand, hat er zum Beispiel mit britischen Geheimdienstoffizieren sich sehr gut verstanden – unter anderem auch, weil er so aussah wie sie, nicht nur, weil er sehr gut Englisch sprach. Dieses ungewöhnliche Aussehen, das war untypisch in den ersten 20 Jahren der Existenz von Israel. Heute ist das etwas anderes. Nach der Einwanderung der vielen Russen, die nun Juden sind oder vielleicht auch nicht so jüdisch – das sei jetzt dahingestellt –, hat sich da in Israel auch sehr viel verändert.
Und dann darf man auch nicht vergessen, dass er sehr charmant war. Er hat sich zwar nie wirklich für Filme interessiert, außer jetzt für meine Filme, aber er mochte interessanterweise Hollywood-Stars. Die waren ihm sehr nahe.
Burg: Der Filmregisseur Amos Kollek ist zu Gast hier im Deutschlandradio Kultur. Seine Autobiografie "Parallele Leben: Eine persönliche Geschichte“ ist jetzt auf Deutsch erschienen.
Herr Kollek, Sie sind häufig umgezogen als Kind. Ihre Jugend haben Sie in Jerusalem dann aber verbracht und gehörten da, man kann sagen, zur Elite. Als Erwachsener hat es Sie dann immer wieder nach New York gezogen. Dort hatten Sie für Ihre Filme aber eher wenig mit der Oberschicht zu tun. Ganz im Gegenteil: Häufig spielen Prostituierte und Drogenabhängige eine zentrale Rolle in Ihren Filmen. Sie selber sagen, es gab Ihnen das Gefühl, etwas Gefährliches zu tun. Inwieweit war das also eine Reaktion auf Ihre Herkunft, auf Ihre wohlbehütete Herkunft?
Immer als Außenseiter gefühlt
Kollek: Ja, wahrscheinlich ist das so. Aber interessanterweise habe ich mich überall, wo ich bin, doch eher als ein Außenseiter gefühlt, und Du kannst Dich am Rand fühlen, wenn Du Teil der sogenannten besseren Gesellschaft bist, Du kannst Dich aber auch als Außenseiter fühlen, wenn Du mehr der Gosse angehörst oder dem Untergrund.
Interessanterweise habe ich mich wirklich immer sehr für Prostituierte interessiert. Beispielsweise habe ich ja auch diesen Film "Chronicling a Crisis“ gemacht, wo eine Prostituierte im Mittelpunkt steht, die aber unglaublich intelligent ist, und was mich immer daran so fasziniert hat war, dass durch gewisse Ereignisse in deren Leben, beispielsweise in ihrer Jugend, ihr Leben fast so vorbestimmt war. Und ich fühlte mich diesen Menschen doch immer sehr nahe, weil ich hatte manchmal auch das Gefühl, obwohl ich einen Vater hatte, dass ich fast vaterlos aufgewachsen bin, und ich habe mich mit ihnen auch dadurch ganz gut identifizieren können, weil sie auch so was Verlorenes hatten.
Burg: Sie haben am Anfang Ihrer Karriere bei Lee Strasberg gelernt und schreiben, wie Sie dort vermittelt bekommen haben, wie schwierig es ist, Regie zu führen, wie man die Schauspieler in die emotionale Lage versetzt, die wichtig ist für die Stimmung im Film. Dann haben Sie aber gesehen, wie Clint Eastwood und Woody Allen Regie führen, nämlich sie erklären nichts, sie lassen die Schauspieler einfach machen. Welchen Regiestil haben Sie im Laufe Ihrer Karriere entwickelt?
Kollek: Als ich anfing, Filme zu machen, war ich noch ein totaler Kontroll-Freak. Ich habe wirklich noch alles selber gemacht, das Drehbuch geschrieben, selber produziert, Regie geführt, streckenweise auch noch mitgespielt. Und natürlich, bei meinen ersten Filmen war es so, dass alle, die mit mir gedreht haben, viel erfahrener waren als ich selber und mir permanent irgendwelche Ratschläge erteilten und sagten, jetzt pass mal auf, Du musst jetzt noch in diese Richtung drehen, dann muss der Gegenschuss passieren, und sie überwältigten mich fast mit all den Dingen, die ich dann noch zu tun hatte, dass mir das fast zu viel wurde.
Als ich dann hörte, wie Woody Allen dreht oder wie Clint Eastwood dreht, war ich relativ erleichtert, weil ich plötzlich gemerkt habe, um was es letzten Endes geht. Es geht nicht darum, dass Du einer Schauspielerin oder einem Schauspieler mitteilst, Du, Deine Mutter ist gestorben und Du musst jetzt versuchen, dieses Gefühl auf die Leinwand zu bringen, wie es Dir damals ging, als Deine Mutter gestorben ist, sondern wirklich, auf was es ankommt, und das habe ich bei Eastwood und Woody Allen gelernt: Es kommt auf ein gutes Drehbuch an und es kommt auf das richtige Casting an.
Du als Regisseur hast dann wirklich nur noch die Aufgabe, mit Nuancen zu arbeiten, vielleicht zu sagen, da machst Du vielleicht ein bisschen weniger, da kannst Du vielleicht ein kleines bisschen mehr machen.
Pro Szene eine Einstellung
Aber Anna Thomson hat mir beispielsweise erzählt, dass Clint Eastwood nicht mal eine Probe macht. Er kommt an den Set und er dreht die erste Probe. Hanna Schygulla hat, als ich mit ihr "Vorever Lulu“ drehte, mich an einem gewissen Punkt zur Seite genommen, weil ich bis zu sieben Takes gemacht habe von einer Szene, und sie sagte mir, Fassbinder, der hat jede Szene wirklich nur einmal gedreht und das war’s.
Erstmalig habe ich so gearbeitet bei "Sue“. Das war ja auch mein erster wirklich anerkannter Film, der auch in Europa sehr gut funktioniert hat. Da habe ich wirklich immer nur pro Szene eine Einstellung gedreht und die Crew hat sich überhaupt nicht bewegt. Die dachten, ich mache einen Witz. Ich habe ihnen gesagt, kommt, wir haben noch zu arbeiten, ich brauche keine weiteren Takes, das war’s.
Burg: Sie haben Dokumentarfilme gemacht, unter anderem über Ihren Vater. Sie haben Spielfilme gemacht. Einige wie schon der erwähnte "Sue“ oder auch "Fiona“ waren Erfolge, andere Filme waren nicht ganz so erfolgreich. Aus heutiger Sicht, auf welchen Film sind Sie besonders stolz?
Kollek: Ich würde nicht stolz sagen, sondern vielleicht sagen, die Filme, mit denen ich mich am meisten identifiziere, und das sind "Chronicling a Crisis“ und ein Dokumentarfilm oder "Fiona“, weil sie sehr viel ausdrücken, was etwas über mich letztendlich aussagt. Ich habe mich immer damit beschäftigt, inwiefern ein Teil des Lebens oder das Leben vorherbestimmt ist, wie viel das von dem abhängt, aus welcher Familie Du stammst, und in meiner Familie war das mit Sicherheit so, dass das mein Leben in gewisser Weise nicht nur beeinflusst, sondern auch vorbestimmt hat, woher ich stamme.
Man kann seinem Schicksal in gewisser Weise gar nicht entfliehen, und darum geht es in diesen beiden Filmen, dass die Protagonisten irgendwie ein Leben führen, was in einer gewissen Weise vorbestimmt ist für sie. Ich weiß, diese beiden Filme sind jetzt nicht unbedingt meine populärsten, aber es sind die Filme, die mir sehr nahe stehen.
Das Archivbild vom 22.6.2003 zeigt den früheren Bürgermeister von Jerusalem, Teddy Kollek, in Jerusalem.
Amos' Vater, der frühere Bürgermeister von Jerusalem, Teddy Kollek, 2003 in Jerusalem.© picture alliance / dpa / BPA Faßbender
Burg: Haben Sie denn heutzutage Frieden geschlossen mit dem großen Schatten Ihres Vaters, der Sie Ihr Leben lang begleitet hat?
Kollek: Im Großen und Ganzen ja. Aber das war, glaube ich, auch eher mehr so ein Problem, was bei mir im Kopf steckte. Und spätestens mit "Sue“, einem Film, der wirklich sehr gut gelaufen ist, wo ich auch sehr viele Interviews gab, da hat mein Vater dann überhaupt keine Rolle mehr gespielt, weil er in der Filmwelt einfach auch nicht so bekannt war, und da habe ich einfach auch gemerkt, dass ich jetzt auch so langsam ein selbstbestimmtes Leben führe, mein eigener Herr werde, und dass es relativ unwichtig ist, ob man nun berühmt ist oder nicht berühmt ist, dass es viel wichtiger ist, ob man ein guter Mensch ist in der Hinsicht.
Meine Mutter, die nun eben nicht berühmt war, die war einfach ein guter Mensch. Und ja, ich habe auch in den letzten Lebensjahren mit meinem Vater öfter mit ihm geredet und mich mit ihm auseinandergesetzt, mit ihm gesprochen, und in diesen letzten Lebensjahren, da standen wir uns dann auch wirklich näher.
Ich rede darüber nicht im Buch, aber es wird im Film thematisiert, den ich mit Robin gedreht habe. Etwa zwei, drei Jahre vor seinem Tod saß mein Vater im Rollstuhl und meine Eltern wohnten damals in so einem Pflegeheim für ältere Menschen. Ich habe ihn dort besucht und er wollte immer irgendwie raus aus seinem Rollstuhl. Er wollte immer, dass ich ihn rausnehme, was ich dann auch getan habe. Aber er wollte dann nicht unter diesen älteren Menschen sein. Er wollte irgendwo anders hin und irgendwie ist es mir dann auch gelungen, und wir standen dann auf einem Bürgersteig und er sagte plötzlich zu mir: "Amos, was soll ich jetzt tun?" Und ich sagte: "Vater, nichts wirklich, ich weiß jetzt nicht, was ich Dir da raten könnte". Dann sagte er nur zu mir: "Na ja, wenn Du es nicht weißt, dann weiß es niemand", und das hat sich echt gut angefühlt.
Burg: Amos Kollek, vielen Dank fürs Gespräch. Thank’s for talking to us.
Kollek: Thank You.
Burg: Vielen Dank auch Jörg Taszman fürs Übersetzen. – Die Autobiografie "Parallele Leben: Eine persönliche Geschichte“ ist im S. Fischer Verlag erschienen. 352 Seiten kosten 22,99 Euro. Und hier waren die Übersetzer Rita Seuß und Christa Prummer-Lehmair.
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