Israelische Filme auf der Berlinale

Ein Mann mit zwei Gesichtern

Der NS-Verbrecher Heinrich Himmler
SS-Chefs Heinrich Himmler © picture-alliance / dpa
Von Igal Avidan · 14.02.2014
Die Weltpremiere des Dokumentarfilms "Der Anständige" über das Privatleben des SS-Chefs Heinrich Himmler auf der Berlinale war zum großen Teil ein israelischer Abend. Im Festival vertreten sind außerdem "Anderswo" und "Inferno".
Ein Hubschrauber kreist über São Paulo, der größten Stadt in Brasilien. Er liefert eine Menora, die Bundeslade und einen großen Stein. Diese werden bald ihren Platz im monumentalen Tempel finden, zu dem zahlreiche Menschen pilgern – alle glücklich und in weiss gekleidet.
Sie führen geflochtene Körbchen mit Früchten und Gemüse mit sich und tragen Blumen in ihren Haaren. Doch mitten in der Zeremonie bricht ein großes Feuer aus und die Massen rennen um ihr Leben, die Fenster zerbersten, die großen Säulen kollabieren, Menschen stürzen zu Boden und werden mit den Füssen getrampelt, andere entkommen und tragen die Bundeslade und die Menora hinaus. Mit dieser dramatischen Szene beginnt der Berlinale-Kurzfilm "Inferno" der israelischen Filmkünstlerin Yael Bartana.
Bartana: "Es war mir klar, dass man dieses Bauwerk zerstören muss, diesen Tempel. Das habe ich spontan gesagt. Es war mir klar, dass dieser Versuch, eine utopische Realität herzustellen, sofort deren Zerstörung in sich birgt. Ein Blick in die Geschichte reicht aus, um zu sehen, wohin utopische Bewegungen führten."
Der Salomon-Tempel soll tatsächlich in diesem Jahr in São Paulo eingeweiht werden, ein monumentaler Bau , der dem Original in Jerusalem nachempfunden ist. Mit mehr als 10.000 Sitzplätzen ist das imposante Bauwerk grösser als die Kathedrale von São Paulo. Das Projekt wurde von den Evangelikalen initiiert und soll den Aufstieg der Pfingstkirchen in Brasilien demonstrieren. Yael Bartanas Film ist aber ihre Reaktion auf den Versuch einer radikalen jüdischen Gruppe, den Tempel in Jerusalem zu errichten:
Bartana: "Die sogenannten 'Getreuen des Tempelbergs' wollen den Salomonischen Tempel errichten. Dabei entsteht dieser Tempel in Brasilien, der eigentlich eine Kirche ist."
Ester Amramis Debütfilm "Anderswo"
Noa ist die Hauptfigur in Ester Amramis Debütfilm "Anderswo". Auch Noa ist eine israelische Studentin in Berlin. Sie ist unzufrieden - die Professoren verstehen ihre Abschlussarbeit nicht, ihr deutscher Freund Jörg will nach Stuttgart ziehen und der Winter macht ihr zu schaffen.
Kurzentschlossen beschließt sie, ihre Familie in Israel zu besuchen, wo die Sonne scheint und ihre Mutter Rachel ihre Lieblingsspeisen zubereitet. Doch sehr bald tauchen die alten Spannungen zwischen Mutter und Tochter wieder auf. Als Jörg spontan für ein Wochenende zu Besuch kommt, eskalieren die Spannungen noch mehr.
Man fragt sich bei diesem Film, warum Noa und Jörg überhaupt zusammen sind, denn sie scheinen nebeneinander her zu leben. Noas Familie birgt zahlreiche Konflikte – über die israelische Politik, über Noas unproduktiven Lebensstill mit 33 Jahren, über ihre wechselnden Launen und über ihre Entscheidung, in Deutschland und mit einem Deutschen zu leben, der zu ihr nicht passt. Die wiederholten rassistischen Bemerkungen von Noas jüngerem Bruder, dem Soldaten Dudi, gegenüber dem gutmutigen und sehr geduldigen Jörg, zeigen, wie sehr die Shoah auch bei säkularen Israelis immer noch die Beziehungen zu Deutschen belastet. Dieses Familiendrama wird dadurch aber keineswegs interessant.
Weltpremiere des Dokumentarfilms "Der Anständige"
Die Weltpremiere des neuen Dokumentarfilms "Der Anständige" über das Privatleben des SS-Chefs Heinrich Himmler auf der Berlinale war zum großen Teil ein israelischer Abend. Sogar der israelische Botschafter Yakov Hadas-Handelsman kam, um den Film der Israelin Vanessa Lapa zu sehen. Diese deutsche Geschichte wurde durch eine ungewöhnliche und bis jetzt nicht geklärte Weise in Tel Aviv geboren.
Nach Himmlers Selbstmord besetzten am 6. Mai 1945 US-Soldaten das Haus der Familie Himmler im bayerischen Gmund und nahmen diese Unterlagen mit. In den 1960ern erwarb der israelische Kunstsammler Chaim Rosenthal dieses Konvolut und versteckte es unter seinem Bett in Tel Aviv. 2007 kaufte Lapas Vater die 273 persönlichen Briefe, acht Tagebücher und 137 Fotos der Familie Himmler, die als vernichtet galten. Nach einer zweijährigen Forschung und der Bestätigung des Bundesarchivs, dass die Dokumente echt sind, beschloss Vanessa Lapa daraus einen Film zu machen.
Interessanterweise kooperierte sie mit Himmlers Großnichte (die Enkelin von Himmlers Bruder), Katrin Himmler, Autorin des Buches "Die Brüder Himmler. Eine deutsche Familiengeschichte". Und was erfährt man über den Leiter aller nationalsozialistischen Konzentrationslager?
Avram Lappa, Shoah-Überlebender und Ehrengast bei der Weltpremiere: "Es ist die Wahrheit von einem Mann, der psychologisch zwei Charaktere hatte, der eine bestial und von der anderen Seite human."
Der alte Mann mit dem Gehstock, der aus Antwerpen stammt und nur durch die Flucht in die Schweiz überleben konnte, feierte auf der Filmpremiere auch einen persönlichen Sieg: "Fantastisch, endlich haben wir, was uns kommt, denn, wer die Geschichte gelernt hat, weiß genau, dass Israel unser Land ist. Ich bin 90 Jahre alt und ich bin stolz, dass ich das erleben konnte von meiner Enkelin Vanessa."