Israelisch-palästinensische Gesprächsgruppen

Leid und Tränen teilen

18:29 Minuten
Palästinensische und israelische Frauen der Organisation "Women Wage Peace" umarmen sich während einer Demonstration für den Frieden und ein politisches Abkommen zwischen Israel und Palästinensern (2016, in Qasr al-Yahud, West Bank).
Miteinander reden, sich umarmen und als Mensch erkennen... Graswurzelbewegungen bringen palästinensische und israelische Frauen zusammen. © picture alliance / dpa / newscom / Debbie Hill / UPI Photo
Von Lissy Kaufmann · 05.07.2019
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Wenn sich Israelis und Palästinenser in Gesprächsgruppen treffen, müssen sie viele Hürden überwinden: äußere - etwa Checkpoints - genauso wie innere Widerstände. Sie sollen dabei etwa lernen, unangenehme Wahrheiten wie "Ich habe Angst vor euch!" auszusprechen.
Ein Samstag im Frühling: Eine Gruppe israelischer Frauen, zwischen 40 und 80 Jahre alt, sitzt in einem Minibus auf dem Weg ins Westjordanland. Die Frauen sind Teil einer palästinensisch-israelischen Dialoggruppe. Sie wollen reden: über ihre eigenen Erfahrungen mit Krieg, Konflikt und Terror, über das Leben in den besetzten Gebieten, über Ängste und Hoffnungen.
Doch im Nahostkonflikt werden selbst banale Dinge wie Gespräche zu außergewöhnlichen Projekten. Um zu reden, müssen sie Grenzen überwinden. Kurz hinter dem "Biblischen Zoo" in Jerusalem biegt der Bus in eine Straße, die zu einem Checkpoint führt. Durch das linke Seitenfenster sind bewaffnete israelische Soldaten in Schutzwesten zu sehen. Robi Damelin weiß, dass draußen vor ihren Augen nicht die einzige Grenze verläuft. Sie ist schon seit Jahren im Dialog mit Palästinensern und kennt auch die inneren Hürden:
"Wenn du zu Palästinenserinnen ins Westjordanland kommst, dann ist da zunächst eine Distanz, da ist Wut. Welche Israelis, außer Soldaten und Siedler, haben sie denn kennengelernt? Warum sollten sie denken, dass ich anders bin? Bis sie mich als Mensch wahrnehmen, braucht es Zeit. Aber es funktioniert."
Der Konflikt zwischen Israelis und Palästinensern ist so alt wie der Staat Israel selbst. Im Zuge des Sechstagekrieges 1967 besetzte Israel das Westjordanland, baute Siedlungen. Die Palästinenser versuchten immer wieder auch mit Gewalt, ihren eigenen Staat zu erkämpfen. Auf Terror folgte Abschottung: Nach zahlreichen Anschlägen im Zuge der zweiten Intifada hat Israel Sicherheitszäune und Mauern errichtet. Seitdem wird es immer schwieriger, sich zu begegnen.

Die Angst vor dem Unbekannten

Das hat Folgen: Egal, ob sich Israelis oder Palästinenser äußern: Oft werfen sie alle in einen Topf, die auf der jeweils anderen Seite stehen. Und oft erscheint die andere Seite wie eine dunkle, dämonische Macht. Robi Damelin ist überzeugt, dass rechtsnationales Gedankengut auf israelischer Seite, also der Hass gegenüber Arabern und das Schüren der Angst vor ihnen, auf Unwissenheit beruht:
"Die rechte Bewegung und rassistisches Verhalten beruhen vor allem auf der Angst vor den anderen. Man kennt sich nicht. Wenn du in eine israelische Schule gehst und 17-jährige Schüler fragst: 'Wer von euch hat schon mal einen Palästinenser getroffen?' Dann lautet die Antwort wohl: kein Einziger. Wer von ihnen war schon mal im Ausland? Fast die ganze Klasse. Aber sie kennen ihre Nachbarn nicht, die manchmal nur einen Kilometer entfernt wohnen. Diese Angst, diese Trennung, sie verursachen so viel Gewalt."
Ein palästinensicher Junge schaut - während gewaltätigen Auseinandersetzungen mit israelischen Soldaten am 31. August 2018 in Kafr Qaddum (Westbank) - durch Zwischenräume von Autoreifen, die zu einer Straßensperre gestapelt wurden.
Fremd und fern stehen sich beide Seiten gegenüber: Kaum ein Israeli kennt einen Palästinenser.© picture alliance / dpa / Zuma Wire / ImagesLive
Die Frauen wollen den Teufelskreis durchbrechen. Doch das kostet Kraft und Überwindung. Und Frieden zwischen den Völkern scheint längst nicht mehr in Sicht. Warum tun sie das also, sie und die anderen Frauen und Männer der verschiedenen israelisch-palästinensischen Dialoggruppen? Was treibt sie an? Wie gehen sie mit Kritikern um, die Begegnungen längst ablehnen, gar bekämpfen? Und: Was können sie am Ende mit Gesprächen überhaupt verändern?

Alle haben im Konflikt Verwandte verloren

Ankunft in Beit Jallah, einem palästinensischen Dorf nahe Bethlehem. Es liegt im C-Gebiet, das Israel kontrolliert. Hier können sich sowohl Israelis als auch Palästinenser aufhalten. In anderen Gebieten wäre das nicht so leicht möglich: Für die Einreise nach Israel bräuchten Palästinenser eine Genehmigung. Seinen eigenen Staatsbürgern wiederum verbietet Israel aus Sicherheitsgründen die Einreise in die A-Gebiete im Westjordanland. Zu ihnen zählen die großen Städte wie Ramallah, Bethlehem oder Nablus, sie stehen unter palästinensischer Kontrolle. Doch auch in das C-Gebiet trauen sich nur wenige israelische Zivilisten. Die Frauen begrüßen sich herzlich, umarmen sich.
Es ist das sechste Treffen der Dialogreihe. Viele der Frauen hier kennen sich sogar schon seit Jahren. Sie alle sind Mitgliedes der Organisation Elternkreis-Familienforum ("The Parents Circle"). Eines eint und spaltet sie: Während des Nahostkonflikts haben sie Brüder, Schwestern, Ehemänner oder Kinder verloren, die bei einem Terroranschlag oder bei Kämpfen als Zivilisten oder Soldaten ums Leben kamen.
Robi Damelin erzählt: 2002 habe sie ihren Sohn als Soldat in einem Einsatz verloren. Kurz darauf wurde sie Mitglied im Elternkreis-Familienforum, erzählt Robi Damelin, die Dame aus dem Bus. Sie wuchs in Südafrika auf, gründete ihre Familie in Israel. Heute ist sie 75 Jahre alt, sie trägt die dunkelgrauen Haare raspelkurz.

"Ich wollte nichts mit Israelis zu tun haben"

"Du weißt nicht, wie du reagieren wirst", sagt Robi Damelin. Einer ihrer ersten Sätze lautete: "Ihr dürft niemanden im Namen meines Kindes töten." Statt Rache und Gewalt suchte sie sofort den Dialog. Ganz anders die 50-jährige Aisha Alchateeb, eine Palästinenserin aus Nablus, sie trägt Kopftuch. Sie hat jahrelang gebraucht, bis sie bereit war, in die Gesprächsgruppe zu gehen.
"Ich wollte nichts mit Israelis zu tun haben. Ich hatte schon genug gelitten, während der ersten und der zweiten Intifada, ich habe zwei Brüder verloren. Einer wurde von einem Soldaten getötet, der andere starb vor Kummer, er stürzte sieben Monate später aus dem fünften Stock. Doch eine Freundin hat mir gesagt, dass diese Israelis auch eine menschliche Seite hätten, dass nicht alle Soldaten sind, die uns angreifen und töten. Das wollte ich mal sehen und war bereit zu kommen. Seitdem bin ich dabei."
Zwei Moderatorinnen leiten die Dialogreihe in Beit Jallah, eine Israelin und eine Palästinenserin. Huda Abu Arkoub ist die palästinensische Moderatorin. Eine starke Frau mit hellwachem Blick, freundlich, aber streng, sie trägt die Haare kinnlang. Seit Jahren setzt sie sich für Frieden und Dialog ein und arbeitet als Regionaldirektorin der "Alliance for Middle East Peace", einem Zusammenschluss von über 100 Organisation, der sich für Frieden zwischen Juden und Arabern im Nahen Osten einsetzen.
"Gewalt und Diplomatie sind beide gescheitert. Wir suchen nach neuen Wegen", sagt Huda Abu Arkoub. Wir wollen zeigen, dass dieses Land nur jene akzeptiert, die nichts abreißen wollen, die Bäume pflanzen und sie nicht entwurzeln, die Menschen befreien und sie nicht einsperren."

Unangenehme Wahrheiten aussprechen

Hudas israelische Kollegin Shiri Levinas, eine kräftige Frau, freundlich, aber bestimmt, erklärt den Ablauf. Die Frauen tragen Kopfhörer, Dolmetscherinnen stehen am Rande des Stuhlkreises und sprechen die Übersetzungen leise in ein Mikrofon. In den letzten Sitzungen haben sich die Frauen immer mehr geöffnet. Heute fordern die beiden Moderatorinnen dazu auf, die schwierigen Fragen zu stellen, die Fragen, die wirklich kein Small Talk sind, die beißenden und stechenden.
Gaza, Palästina, 28. Juni 2019. Palästinensische Demonstranten stoßen im Gebiet Abu Safiya in Jabalya nördlich des Gazastreifens mit israelischen Soldaten zusammen.
Gaza, Palästina, 28. Juni 2019. Palästinensische Demonstranten stoßen im Gebiet Abu Safiya in Jabalya nördlich des Gazastreifens mit israelischen Soldaten zusammen.© dpa / picture alliance / Zuma Press/ Ahmad Hasaballah
Shiri Levinas: "Sie trauen sich nicht, die Wahrheit zu sagen. Die Israelinnen haben den Palästinenserinnen noch nie gesagt, dass sie hinter einem jüdischen Staat stehen und auch hinter der Armee. Sie alle haben Kinder, die dienen. Sie alle sind glücklich und stolz, wenn ihre Kinder einen guten Job in der Armee bekommen, bei der Luftwaffe oder als Offizier. Doch das wollen sie nicht sagen. Sie sind zwiegespalten: Sie hätten gerne, dass alles anders wäre, denn sie haben Mitgefühl mit den Palästinensern. Doch sie behalten ihre Meinung und ihre Gefühle für sich. Die Gespräche in der Gruppe haben ihnen geholfen, sich zu öffnen und zu sagen: Ich will, dass mein Sohn zur Armee geht, denn sonst findet er keinen Job."
Bis die Teilnehmerinnen aussprechen konnten, was sie im Nahostkonflikt wirklich bewegt, sei es ein langer Weg gewesen, erzählt Shiri Levinas."Es hat Stunden gedauert, bis die Frauen sagen konnten, dass sie Angst haben. Es ist leicht zu sagen: Ich liebe dich. Es ist viele schwerer zu sagen: Ich habe Angst vor dir."

Beschimpft von radikalen Israelis

Hektik herrscht im Raum: Die Frauen sollen sich in Gruppen zusammensetzen. Ihre Fragen haben sie auf Zettel geschrieben. Wie fühlt ihr euch, mit uns hier am Tisch zu sitzen? Wie steht ihr zum Rückkehrrecht palästinensischer Flüchtlinge? Wem gehört denn nun das Land? Nun sollen sie offen und angstfrei antworten, ohne Hemmungen. Die Moderatorinnen Shiri Levinas und Huda Abu Arkoub bitten deshalb, während der Gruppengespräche das Mikrofon auszuschalten.
In beiden Gesellschaften gibt es Kräfte, die Koexistenz und Dialog ablehnen. So verweigerte Israel in diesem Jahr zunächst mehr als 100 Palästinensern die Einreise. Sie wollten, wie jedes Jahr, an der gemeinsamen Gedenkzeremonie am Memorial Day in Tel Aviv teilnehmen, die die Organisation Elternkreis-Familienforum mitorganisiert. Erst der Oberste Gerichtshof setzte im letzten Moment die Einreise durch. Am Eingang zur Halle, in der die Zeremonie stattfand, haben radikale Israelis die Teilnehmer beschimpft.
Auf palästinensischer Seite hat sich die sogenannte Anti-Normalisierungs-Bewegung formiert: "Normale" Beziehungen zu Israelis sind demnach tabu. Genaue Vorgaben, unter welchen Bedingungen Israelis und Palästinenser zusammentreffen sollen, macht die sogenannte BDS-Bewegung. BDS steht für Boykott, Desinvestition und Sanktionen. Die Bewegung fordert beispielsweise Musiker dazu auf, nicht in Israel aufzutreten, und stachelt dazu an, keine israelischen Produkte zu kaufen. Die Bundesregierung bezeichnete die Argumentationsmuster und Methoden der BDS-Bewegung erst vor Kurzem in einer Resolution als antisemitisch.
Man übe moralischen Druck auf die Teilnehmer aus, indem man sie öffentlich anprangere, erklärt Omar Barghouti. Soll heißen: in den Medien und sozialen Netzwerken. Die Gruppen bekommen das zu spüren – von beiden Seiten. Einige sind deshalb vorsichtig, lehnen Radioaufnahmen ab. Andere stimmen nur unter der Bedingung zu, dass ihre Namen ungenannt bleiben.

Gegenwind von den eigenen Leuten

Immer wieder gibt es Versuche, neue Gruppen ins Leben zu rufen. Und immer wieder finden sich Israelis und Palästinenser, die mitmachen wollen. Schließlich klingt es zunächst ganz einfach. So war auch eine palästinensische Tanzgruppe bereit zum Dialog. Mit Israelis tanzen und sprechen? Kein Problem, dachten die Teilnehmer. Doch später kamen die Schwierigkeiten.
Einer der palästinensischen Tänzer ist bereit, sich in Beit Jallah zu treffen und zu erzählen. Seinen echten Namen möchte er aus Sicherheitsgründen nicht sagen. Yacoub will er sich nennen. "Klar waren wir neugierig, wie die Israelis wohl ticken und fühlen. Sie waren überrascht und wir waren überrascht und ich erinnere mich an das Gespräch mit einem jüdischen Typen nach dem Tanzen. Ich habe ihn nach seiner Militärzeit gefragt, wie es ist, ein Soldat zu sein, Menschen zu verfolgen, sie an Checkpoints aufzuhalten oder in manchen Fällen auch zu schießen. Er sagte mir, dass er Sanitäter war, weil er niemanden töten wollte, man könnte sagen: Er wollte ein guter Soldat sein. Da habe ich gemerkt dass es Israelis gibt, die Frieden wollen und die vielleicht etwas ändern können."
Viele Medien haben über das spannende Projekt berichtet. Irgendwann stießen auch israelische Journalisten auf das Thema, die den Dialog ablehnen. Sie bezichtigten die Palästinenser, Krankheiten zu übertragen. Dann hörte man über die Medien auch in den palästinensischen Gebieten von der Tanzgruppe und warf den Teilnehmern vor, die "Normalisierung" voranzutreiben. "Manche Medien haben uns unter Druck gesetzt, auch Leute um uns herum machten Druck. Der Eigentümer des Lokals, in dem wir uns getroffen haben zum Beispiel. Als er das rausfanden, standen wir unter Druck und mussten aufhören, israelische Tänzer einzuladen."
Yacoub erzählt, er sei zwar noch immer in Kontakt mit Israelis, die er beim Tanzen kennengelernt hat. Doch er spricht nicht mehr darüber.
"Ich bin der palästinensischen Gemeinschaft verpflichtet. Wenn ich mit Israelis tanze, ignoriere ich ihre Lage, ich helfe ihnen nicht. Ich verletze sie damit sogar. Deshalb bin ich zu dem Schluss gekommen, dass es jetzt nicht die richtige Zeit für das gemeinsame Tanzen ist. Ich glaube an Frieden, aber der Frieden sollte gerecht sein. Erst wenn sie meine Rechte anerkennen und die Besatzung beenden, kann ich auch sie anerkennen und mit ihnen tanzen."
Zurück bei der Dialoggruppe des Elternkreis-Familienforums in Beit Jallah. Dass hier rund 50 Frauen zusammengekommen sind, um zu reden, sei ein Wunder, sagt Robi Damelin, die Dame mit den kurzen Haaren und der direkten, offenen Art.

"Meinen Schmerz und meine Tränen teilen"

Die Arbeit in den Gruppen, bei denen das Mikrofon ausbleiben musste, sind beendet. Jede der Frauen hat ihre eigenen Erfahrungen gemacht, Aisha Al Khatib, Robi Damelin. Aisha AlKhatib: "Mit Israelis zu sprechen, ihnen zuzuhören, wie sie mir meine Rechte zugestehen, mein Leiden, meinen Schmerz und meine Tränen teilen, das gibt mir sehr, sehr viel Kraft und mehr Vertrauen in diese Arbeit."
Robi Damelin: "Es gab eine Entwicklung, wodurch wir Fragen stellen konnten, die sonst sehr schwer zu stellen wären. Palästinenser nach der Rolle ihres Volkes im Konflikt zu fragen und eine ehrliche Antwort zu bekommen, das ist schwer. Meistens nehmen sie die Opferrolle ein oder verteidigen sich. Das ist auch okay. Aber um den Punkt zu erreichen, wo jemand sagt: Wir tragen in diesem Konflikt auch unser Päckchen, das braucht Zeit."
Palästinensische Frauen warten in der Schlange, um die Sicherheitskontrollen am Kalandia-Kontrollpunkt zu passieren, der von der Stadt Ramallah im Westjordanland nach Jerusalem führt. 20. August 2010
Grenzübergang in Kalandia© dpa / picture alliance / EPA / Oliver Weiken
Der Dialog soll die Frauen und ihre Identität auch stärken. Auf palästinensischer Seite hofft die Moderatorin Huda Abu Arkoub, den Frauen Selbstvertrauen zu geben, aus ihrer Opferrolle, der Rolle des unterdrückten Volkes, herauszutreten: "Ich weigere mich, die Israelis als meine Unterdrücker zu sehen. Ich glaube, ich bin stärker als sie. Ich habe das Recht, ich bin hier in diesem Land, bin hier aufgewachsen, wie sieben Generationen meiner Familie vor mir. Niemand, kein Trump und kein Netanjahu, können das infrage stellen und dieses Selbstvertrauen müssen wir den Palästinensern vermitteln. Denn sie verlieren es."
Hier könnte die Geschichte enden. Ja, es ist schwieriger geworden. Aber ja, es gibt sie noch, die Dialoggruppen. Nicht immer sind sie erfolgreich, können aber etwas in den Teilnehmern verändern. Doch das reicht noch nicht, findet Shiri Levinas, die israelische Moderatorin der Gruppe. "Ich bin früher selbst nach Beit Jallah gefahren, nach Bethlehem und Nablus und habe Frauen getroffen und mich damit großartig gefühlt. Ich konnte in den Spiegel schauen und sagen: Was für ein guter Mensch ich doch bin, den ganzen Weg zu fahren und diese Frauen zu treffen, wow. Dann habe ich mir irgendwann gesagt: Shiri, das ist doch ein Witz. Was zum Himmel veränderst du denn damit? Nichts!"

Grenzen in den Köpfen überwinden

Auch Shiri findet den Dialog nach wie vor wichtig, sonst wäre sie jetzt nicht hier. Schließlich hätten Israelis und Palästinenser sonst keine Möglichkeit, in Kontakt zu treten. Doch letztlich gehe darum, Veränderung in der eigenen Gesellschaft zu schaffen, dort, wo viele den Dialog noch ablehnen oder Angst davor haben. Das heißt: Dialoggruppen sind nur ein erster Schritt, um die Lebensrealität der anderen Seite kennenzulernen.
"Die Beziehungen zu den Palästinensern sind dazu da, dass du danach in deine Gesellschaft zurückgehen kannst und ihnen sagen kannst: Ich mache bei meiner Identität keine Kompromisse, nur weil ich in einer Dialoggruppe bin. Wenn ich vor Palästinensern sitze und sagen kann: Ich will einen jüdischen Staat – das bringt mich in eine ganz andere Lage, wenn ich an den Abendtisch zurückkehre und gefragt werde: Erkennen die Araber überhaupt einen jüdischen Staat an? Dann sage ich: Ich weiß es nicht, aber sie wissen, dass ich hinter einem solchen Staat stehe. Dann macht das einen riesigen Unterschied, dann sind wir im Verhandlungsmodus."
Diese Dialogreihe der Palästinenserinnen und Israelinnen des Elternkreis-Familienforums in Beit Jallah geht heute zwar zu Ende. Doch die Arbeit der Frauen hat gerade erst begonnen. Jetzt wollen sie die Erfahrungen, die sie gemacht haben, weitergeben. Und alle jene in der eigenen Gesellschaft überzeugen, die nicht mehr an den Dialog glauben. Sie wollen Grenzen überwinden, vor allem die in den Köpfen der Menschen.
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