Israel

Zwischen Staatsgründung und Krieg

Der Gedenktag an die gefallenen israelischen Soldaten und Opfer des Terrorismus wird am 4. des Monats Ijjar nach jüdischem Kalender abgehalten.
Der Gedenktag an die gefallenen israelischen Soldaten und Opfer des Terrorismus wird am 4. des Monats Ijjar nach jüdischem Kalender abgehalten. © picture alliance / dpa / Abir Sultan
Von Lissy Kaufmann · 02.05.2014
In Israel sind der Gedenktag an die gefallenen Soldaten und der Unabhängigkeitstag eng miteinander verknüpft: Während tagsüber noch die Sirenen zum Gedenken erklingen, beginnen abends bereits die ersten Partys.
In einem unscheinbaren Haus auf dem Rothschild Boulevard in Tel Aviv tummeln sich an diesem Morgen dutzende Touristen. Nur die blauweißen Flaggen und ein kleines goldenes Schild am Eingang weisen auf diesen besonderen Ort hin. Hier, im heutigen Beit Haatzmatu, verkündete David Ben Gurion vor 66 Jahren die Unabhängigkeit Israels. Und schon damals war das Land im Kriegszustand, wie der Museumsführer Zohar Zofnat erklärt:
"This is the Declaration of Independence Hall. They decided to declare it here because this is a bunker. This is a fact that not many people know about Israel, that Israel was declared in a bomb shelter, because it was declared during the war. A lot of people mistakenly think that the war started after the Declaration of Independence, but the big war started in 1947, in November. And after the declaration the war with the five countries started. But there was a war inside Israel in 1947."
"Das hier ist die Halle der Unabhängigkeitserklärung. Man hat sich entschieden, die Unabhängigkeit hier zu erklären, weil das ein Bunker war. Das wissen viele Menschen heute gar nicht über Israel. Denn schon damals war Krieg. Viele Menschen glauben fälschlicherweise, dass der erst nach der Unabhängigkeitserklärung begann. Nach der Erklärung begann zwar erst der Krieg gegen die fünf Staaten. Aber in Israel selbst war schon seit November 1947 Krieg."
"Es gab alle möglichen Vorschläge"
Alles war sehr hektisch zu dieser Zeit, viele Entscheidungen wurden kurzfristig getroffen. So war noch wenige Stunden vor der Staatsgründung gar nicht sicher, wie der neue Staat eigentlich heißen soll:
"There were all kinds of suggestions, they did a vote several hours before the ceremony and they thought maybe Judea, Kanaan like the bible, and they said State of Israel. And State of Israel it was."
"Es gab alle möglichen Vorschläge, über die man erst Stunden vor der Zeremonie abstimmte. Darunter waren Judea und Kanaan und eben der Staat Israel."
Ihr Vater ist heute auf dem 20-Schekel-Schein abgebildet
340 Menschen aus Politik und Gesellschaft waren geladen. Eine der letzten noch lebenden Gäste der Zeremonie ist Yael Medini. Ihr Vater Moshe Sharett war damals Außenminister. Sein Gesicht ist heute auf dem 20-Schekel-Schein abgebildet:
"My father said that tomorrow we should be ready, at 3.30 he is going to come and pick us up and we are going to this museum. It was called at that time Dizengoff House because this is where Dizengoff the first mayor of Tel Aviv lived. And he turned it into a museum. He bequeathed it to the municipality. Anyhow. So my father came at 3.30 and we were all dressed up and combed and we went with him with the car around just going down Rothschild Boulevard to Herzl. At that time you could go anywhere, there were no one way streets. Then we approached the house and there were already many, many people. I saw Ben Gurion and Paula. Everybody hurrying."
"Mein Vater sagte, wir sollten morgen um 3:30 Uhr fertig sein, dann werde er uns abholen und wir werden in das Museum gehen. Es hieß damals Dizengoff Haus, weil Dizengoff, der erste Bürgermeister Tel Avivs, dort lebte. Er verwandelte sein Haus in ein Museum und vermachte es der Stadt. Jedenfalls kam mein Vater gegen 3:30 Uhr und wir waren alle fein angezogen und frisiert und fuhren mit ihm im Auto den Rothschild Boulevard entlang. Damals gab es da noch keine Einbahnstraßen. Als wir näher an das Haus kamen, waren dort bereits viele Menschen. Ich sah Ben Gurion und seine Frau Paula. Alle beeilten sich."
"Das ganze Ausmaß verstand ich nicht"
Die Erklärung wurde damals auch aufgezeichnet. Heute können Museumsbesucher die Worte Ben Gurions nachhören, die Yael mit 17 Jahren live verfolgte. Yael teilte sich mit ihrer Tante einen Stuhl links neben dem großen Tisch, an dem die Staatsmänner wie ihr Vater und Ben Gurion saßen. Damals habe sie die Bedeutung dieser Veranstaltung nicht begriffen:
"I understood that they are going to declare a state, but I didn't , I must say, I didn't rise to the occasion. The whole thing was just natural to me that it would come to this. The whole thing was ... ever since I was born I knew we are strivingfor a state. The process was so simple for me, I didn't realized all the pitfalls all the problems on the way. The only moment I was really moved was when Rav Maimoran, he rose and he gave a blessing. And I am not religious by any stretch of the imagination. But there was something very moving, to me it was the most moving part."
"Ich begriff zwar, dass der Staat Israels gegründet wurde. Aber das ganze Ausmaß verstand ich nicht. Das Ganze schien mir völlig natürlich, es musste so kommen. Seit ich auf der Welt war, ging es darum, für einen Staat zu kämpfen. Für mich schien es so einfach, ich habe die Gefahren und Probleme nicht erkannt. Der einzige Moment, in dem ich wirklich berührt war, war als der Rabbi aufstand und einen Segen sprach. Ich bin überhaupt nicht religiös, aber das war für mich irgendwie doch ein sehr bewegender Moment."
Nach den Worten Ben Gurions und einem Segen des Rabbis standen die Gäste auf und sangen zusammen haTikwa, die nun die Nationalhymne des neuen Staates wurde. Auch die Besucher des Museums stehen heute auf und singen nicht selten sogar mit.
"Für große Feierlichkeiten blieb keine Zeit"
Gerade einmal 34 Minuten dauerte die Zeremonie. Schließlich war es ein Freitag, alles musste zu Shabbatbeginn beendet sein. Außerdem wurde Israel bereits attackiert, für große Feierlichkeiten blieb da keine Zeit. Yael Medini erinnert sich, dass vor allem die Soldaten nicht sonderlich um die Erklärung der Unabhängigkeit scherten.
'It was already under attack from the 29th of November, it was already under attack, the war was going on. That is why people at the border said: what Ben Gurion proclaimed the state, what does it has to do with us, you know."
"Es gab schon seit dem 29. November Angriffe, es herrschte Krieg. Deshalb sagten viele Soldaten auch: Was? Ben Gurion hat den Staat verkündet? Und was hat das mit uns zu tun?"
Das zeigt aber auch, wie nah Staatsgründung und Krieg zusammenhängen – bis heute. Israel hat zahlreiche Kriege und Terrorattacken durchlebt. Mit 18 Jahren muss hier jeder seinen Armeedienst absolvieren, Frauen zwei, Männer drei Jahre. Israelis wachsen damit auf, dass sie ihr Land verteidigen müssen und einige dafür ihr Leben lassen. Orly Gal leitet die Organisation Natal, die sich um Kriegs- und Terroropfer kümmert. Sie weiß, dass das ganze Land betroffen ist:
"We really feel like this country traumatized. I can say that I live in the south. In the last 10 years we have missiles. Now it is not a normal life to go to the shelter when you have a siren. And you never know when it will happen. So this country is really different. Everybody of us is going to the army. My brother, my father, my son, my daughter, everyone will go to the army. And then if we lose someone – to live with it – it is a very complicated life. But this is part of our life. And it was from the beginning when Israel was born and you can see that all of us decide to live here because it is really a special place, a unique one."
"Wir fühlen, dass das Land traumatisiert ist. Ich lebe im Süden, seit zehn Jahre leben wir mit Raketen. Es ist kein normales Leben, wenn du in den Bunker gehen musst, wenn die Sirenen ertönen. Und du nie weißt, wann es passiert. Dieses Land ist wirklich anders. Jeder von uns muss in die Armee, mein Bruder, mein Vater, mein Sohn, meine Tochter – alle. Und wenn du jemanden verlierst und damit leben musst – es ist schwierig. Aber es ist Teil unseres Lebens. Und so ist es seit der Staatsgründung. Wir alle haben uns entscheiden, hier zu leben, weil es ein besonderer Ort ist."
"Traurig sein und gleichzeitig weiterleben"
Die beiden Tage, der Tag der Trauer um die Opfer und der Tag der Feierlichkeiten zur Staatsgründung, sind deshalb eng verknüpft. Während tagsüber noch die Sirenen zum Gedenken an die Opfer erklingen, beginnen abends bereits die Partys und Feste mit blauweißen Fahnen und einem Feuerwerk.
"All this years we got used to it that the sadness and all the mourning that we are doing on this special day of the memorial on the in the evening we are looking for the future, to the happiness to the country that we built and we really believe in it. The reason is that you need to learn to be sad but also to continue to live."
"All die Jahre haben wir uns daran gewöhnt, dass wir am Gedenktag trauern und am Abend mit Beginn des Unabhängigkeitstages in die Zukunft schauen, glücklich sind über dieses Land, das wir aufgebaut haben und an das wir glauben. Der Grund ist, dass wir lernen müssen, traurig zu sein und gleichzeitig weiterzuleben."