"Israel ist ein Paradies für Theaterstoffe"
Nach Ansicht des israelischen Theatermachers Avishai Milstein bietet sein Heimatland Theaterautoren paradiesische Zustände. Das Theater habe in der Öffentlichkeit einen höheren Stellenwert als das Fernsehen. Außerdem gebe es hier eine riesige Fülle von Stoffen, da es unendlich viele Konfliktstränge gebe.
Lesen Sie hier Auszüge aus dem Gespräch:
Milstein: Israel ist ein sehr politisches Land, das Theater in Israel ist auch sehr politisch. Man versucht mit israelischen Theaterstücken den Zeitgeist immer wieder einzufangen, das Publikum liebt es, sich selbst von der Bühne gespiegelt zu sehen. Insofern kann ich mir vorstellen, dass jetzt ein Bühnenautor in Tel Aviv sitzt und eine Tragödie über Scharon jetzt schreibt, die dann demnächst auch Premiere hat.
Roelcke: Wie beurteilen Künstler, Theaterleute Scharon, der ja als Hardliner galt? Für viele war er ja wohl so etwas wie ein Feindbild.
Milstein: Stimmt. So ist er gewesen. Und ich glaube, im Milieu der Theaterleute man ist noch ein bisschen suspekt ihm gegenüber, weil trotz der Gaza-Aktion, für die wir alle gestimmt haben, haben wir alle das Gefühl, dass das noch nicht Ende sein kann, das kann so nicht bleiben. (…) Andererseits ist Scharon ein sehr großer Theaterliebhaber, überhaupt ein Kunstliebhaber, der frequentiert immer die Premieren und immer die Konzerte, kommt in die Konzertsäle, der kann das in seiner Natur sehr gut trennen, der ist dem Theater sehr wohlmeinend gegenüber. (…) Scharon ist da die große Ausnahme.
Roelcke: Sie haben es eben erwähnt, das Theater in Israel ist sehr politisch. Welche Rolle spielt Theater in der Wahrnehmung der israelischen Öffentlichkeit?
Milstein: Die maximalste, ich glaube noch mehr als das Fernsehen. Fast 92 Prozent der Israelis, die dazu im Stande sind finanziell oder kulturell, gehen sehr oft ins Theater …
Roelcke: Paradiesische Zustände!
Milstein: Ja, das sind paradiesische Zustände, ich glaub, das sind die höchsten Quoten in der ganzen Welt. Das ist natürlich für die Theaterleute die große Herausforderung, weil einerseits sie mit hohen Besucherzahlen rechnen können, andererseits müssen sie aber auch diese 92 Prozent der Bevölkerung befriedigen. Das ist eine große Auseinandersetzung zwischen Inhalt und Form immer, also man darf z.B. in Israel nicht nur formell denken wie in Europa. Ästhetik zählt so gut wie gar nicht in der Beurteilung einer Inszenierung. Auch die Theaterkritik stellt immer in erster Linie den Inhalt, die story, was für eine Geschichte da erzählt wird, wie kommunikativ die Geschichte beim Publikum rüber kommt.
Roelcke: Sind das auch Boulevard-Themen, die da ne Rolle spielen? Was macht denn den Reiz aus, wenn so viele Israelis ins Theater gehen? Das können ja nicht nur politische, komplizierte Stoffe sein, Problemthemen.
Milstein: Doch, fast nur. Wir hatten in den 80er Jahren eine große Boulevard-Szene, schön dass sie nicht mehr da ist, heutzutage werden die verschiedenen Konflikte ausgehandelt auf der Bühne, und zwar nicht nur die politischen. Für einen Theaterautor ist Israel ein Paradies für Stoffe. Also es gibt so viele Konflikte, nicht nur politische, auch soziokulturelle, außerhalb vom Politischen gibt es den Konflikt zwischen den religiösen und den weltlichen Juden oder zwischen Neu-Einwanderern und Alt-Einwanderern, es gibt so viele alltägliche Konfliktstränge, denen man zu Leibe rücken könnte als Autor oder als Regisseur.
Roelcke: Spielen denn die Palästinenser auf der Bühne eine Rolle?
Milstein: Klar. Es hat immer sehr viele Stücke gegeben, die sich mit dem politischen Konflikt auseinandergesetzt haben, aber es gibt auch palästinensische Schauspieler, die auf israelischen Bühnen immer wieder als Integrationsversuch auftreten, zum Teil auch sehr erfolgreich, es gibt ein paar Bühnenstars, die eigentlich palästinensisch sind, die aber hebräisch spielen, weil im palästinensischen Gebiet die Theater- und Kulturszene nicht sehr weit entwickelt ist. Es fehlt an Infrastruktur, es fehlt an Theater- und Spielstätten, es fehlt an Ensembles im palästinensischen Gebiet. Insofern auch die Palästinenser, die über ihr Thema reflektieren wollen, gehen ins israelische Theater.
Roelcke: Eva Behrend hat in "Theater heute" geschrieben: "Das israelische Drama übernimmt die Rolle des Analytikers und therapiert Abend für Abend eine Riesenpatientengruppe." Stimmen Sie dem zu?
Milstein: Ich glaub, Eva Behrend hat den Satz von mir. (…) Ich kann das nur bestätigen, so ist es.
Sie können das Gespräch mit Avishai Milstein bis zu sechs Wochen nach der Sendung in unserem Audio-on-Demand-Player anhören.
Milstein: Israel ist ein sehr politisches Land, das Theater in Israel ist auch sehr politisch. Man versucht mit israelischen Theaterstücken den Zeitgeist immer wieder einzufangen, das Publikum liebt es, sich selbst von der Bühne gespiegelt zu sehen. Insofern kann ich mir vorstellen, dass jetzt ein Bühnenautor in Tel Aviv sitzt und eine Tragödie über Scharon jetzt schreibt, die dann demnächst auch Premiere hat.
Roelcke: Wie beurteilen Künstler, Theaterleute Scharon, der ja als Hardliner galt? Für viele war er ja wohl so etwas wie ein Feindbild.
Milstein: Stimmt. So ist er gewesen. Und ich glaube, im Milieu der Theaterleute man ist noch ein bisschen suspekt ihm gegenüber, weil trotz der Gaza-Aktion, für die wir alle gestimmt haben, haben wir alle das Gefühl, dass das noch nicht Ende sein kann, das kann so nicht bleiben. (…) Andererseits ist Scharon ein sehr großer Theaterliebhaber, überhaupt ein Kunstliebhaber, der frequentiert immer die Premieren und immer die Konzerte, kommt in die Konzertsäle, der kann das in seiner Natur sehr gut trennen, der ist dem Theater sehr wohlmeinend gegenüber. (…) Scharon ist da die große Ausnahme.
Roelcke: Sie haben es eben erwähnt, das Theater in Israel ist sehr politisch. Welche Rolle spielt Theater in der Wahrnehmung der israelischen Öffentlichkeit?
Milstein: Die maximalste, ich glaube noch mehr als das Fernsehen. Fast 92 Prozent der Israelis, die dazu im Stande sind finanziell oder kulturell, gehen sehr oft ins Theater …
Roelcke: Paradiesische Zustände!
Milstein: Ja, das sind paradiesische Zustände, ich glaub, das sind die höchsten Quoten in der ganzen Welt. Das ist natürlich für die Theaterleute die große Herausforderung, weil einerseits sie mit hohen Besucherzahlen rechnen können, andererseits müssen sie aber auch diese 92 Prozent der Bevölkerung befriedigen. Das ist eine große Auseinandersetzung zwischen Inhalt und Form immer, also man darf z.B. in Israel nicht nur formell denken wie in Europa. Ästhetik zählt so gut wie gar nicht in der Beurteilung einer Inszenierung. Auch die Theaterkritik stellt immer in erster Linie den Inhalt, die story, was für eine Geschichte da erzählt wird, wie kommunikativ die Geschichte beim Publikum rüber kommt.
Roelcke: Sind das auch Boulevard-Themen, die da ne Rolle spielen? Was macht denn den Reiz aus, wenn so viele Israelis ins Theater gehen? Das können ja nicht nur politische, komplizierte Stoffe sein, Problemthemen.
Milstein: Doch, fast nur. Wir hatten in den 80er Jahren eine große Boulevard-Szene, schön dass sie nicht mehr da ist, heutzutage werden die verschiedenen Konflikte ausgehandelt auf der Bühne, und zwar nicht nur die politischen. Für einen Theaterautor ist Israel ein Paradies für Stoffe. Also es gibt so viele Konflikte, nicht nur politische, auch soziokulturelle, außerhalb vom Politischen gibt es den Konflikt zwischen den religiösen und den weltlichen Juden oder zwischen Neu-Einwanderern und Alt-Einwanderern, es gibt so viele alltägliche Konfliktstränge, denen man zu Leibe rücken könnte als Autor oder als Regisseur.
Roelcke: Spielen denn die Palästinenser auf der Bühne eine Rolle?
Milstein: Klar. Es hat immer sehr viele Stücke gegeben, die sich mit dem politischen Konflikt auseinandergesetzt haben, aber es gibt auch palästinensische Schauspieler, die auf israelischen Bühnen immer wieder als Integrationsversuch auftreten, zum Teil auch sehr erfolgreich, es gibt ein paar Bühnenstars, die eigentlich palästinensisch sind, die aber hebräisch spielen, weil im palästinensischen Gebiet die Theater- und Kulturszene nicht sehr weit entwickelt ist. Es fehlt an Infrastruktur, es fehlt an Theater- und Spielstätten, es fehlt an Ensembles im palästinensischen Gebiet. Insofern auch die Palästinenser, die über ihr Thema reflektieren wollen, gehen ins israelische Theater.
Roelcke: Eva Behrend hat in "Theater heute" geschrieben: "Das israelische Drama übernimmt die Rolle des Analytikers und therapiert Abend für Abend eine Riesenpatientengruppe." Stimmen Sie dem zu?
Milstein: Ich glaub, Eva Behrend hat den Satz von mir. (…) Ich kann das nur bestätigen, so ist es.
Sie können das Gespräch mit Avishai Milstein bis zu sechs Wochen nach der Sendung in unserem Audio-on-Demand-Player anhören.