Israel

Drei Tote und wenig Trost

Demonstranten der Aktion "Bring Our Boys Home" gestern in Rabin Square in Tel Aviv.
Demonstranten der Aktion "Bring Our Boys Home" gestern in Rabin Square in Tel Aviv. © Jim Hollander, dpa
Von Igal Avidan · 04.07.2014
Israel steht nach dem Mord an den drei Talmudschülern Gilad, Naftali und Eyal unter Schock. Nicht wenige radikale Juden reagieren mit Angriffen auf Palästinenser. Das vergrößert die Tragödie jedoch nur.
In jener Nacht des 12. Juni warteten drei Talmudschüler an der Bushaltestelle neben der Siedlung Kfar Etzion: die 16-jährigen Gilad Schaer und Naftali Fraenkel sowie der 19-jährige Eyal Yifrach. Als der weiße PkW mit dem israelischen Kennzeichen anhielt, schöpften sie keinen Verdacht und stiegen ein. In Israel starben viel mehr unschuldige Fahrgäste in explodierenden Bussen als Reisende per Anhalter. Außerdem trugen die beiden Palästinenser schwarze jüdische Kopfbedeckungen, hatten eine CD mit chassidischer Musik im Wagen sichtbar platziert und fuhren in Richtung Israel. Im Autoradio lief zudem der populäre israelische Sender Reschet Bet.
All das wissen wir, weil fünf Minuten später, als der Wagen umkehrte und in die Palästinensergebiete fuhr, der Jugendliche Schaer die Polizei anrief. Dieser Notruf wurde jetzt veröffentlicht und erschreckte viele Israelis. Denn sobald der 16-Jährige flüsterte "Ich wurde entführt", schrie ein Mann mit arabischem Akzent: "Kopf runter, geh runter!" Der Polizist in der Leitung fragte wiederholt "Hallo? Hallo?" - dann hört man fünf-sechs Geräusche von Schlägen oder Schüssen. Der Polizist fragte noch "Wo seid ihr jetzt?" und versuchte einige Male zurückzurufen, aber die Uniformierten unternahmen sonst nichts, so dass die Täter bis jetzt flüchtig sind.
Naftalis Mutter schrieb bei der Beerdigung Geschichte
Die Sicherheitsbehörden gingen übrigens bereits einen Tag später davon aus, dass Gilad, Naftali und Eyal ermordet wurden. Dennoch hielten sie dies geheim, um die Moral der Soldaten bei der Suchaktion aufrecht zu erhalten, auch die der vielen Israelis, die in einer weltweite Kampagne forderten: "Bring unsere Jungs zurück". Gerade in solchen schweren Zeiten halten die im Alltag so zerstrittenen Israelis fest zusammen. Alle sprachen vom leidenschaftlichen Sportler Eyal, dem Gruppenführer in einer Jugendbewegung, der gern sang und sich dabei auf der Gitarre begleitete. Man erinnerte an den schüchternen Naftali, der gern Basketball spielte und oft seine Verwandten in den USA besuchte. Man sprach über den Filmfan Gilad, den Einzelsohn in einer Familie mit fünf Töchtern.
Auf der Beerdigung erlebte man einen bewegenden religiösen Moment, als Naftalis Mutter Racheli zusammen mit ihrem Mann und Sohn das jüdische Totengebet Kaddisch sprach, was sonst nur Männer tun. Die orthodoxe Religionslehrerein in einer Talmudschule für Frauen schrieb damit Geschichte, zumal das große Publikum, in der ersten Reihe saß sogar Oberrabbiner David Lau, mit einer Stimme antwortete: "Amen".
Der Humanismus der Familie Fraenkel ist gefragter denn je
Ich wollte ursprünglich über drei Jugendliche schreiben. Aber am Mittwoch wurde in einem Wald bei Jerusalem die Leiche des 16-jährigen Mohammed Abu Chdeir gefunden. Er war ein guter Schüler und ein bescheidener Junge. Sein Onkel erzählte, dass Mohammed um vier Uhr morgens auf der Straße vor der großen Moschee im Jerusalemer Stadtteil Shoaafat auf seine Freunde wartete, die das Essen für das gemeinsame Frühstück bringen sollten. Im Fastenmonat Ramadan dürfen Moslems nur vor der Morgendämmerung oder nachts speisen und trinken. Ein Wagen kam aus der benachbarten Siedlung Pisgat Ze'ev, Mohammed wurde hineingedrängt und das Auto fuhr los.
Ein wenig Trost fand ich in der klaren Botschaft der Familie Fraenkel. "Wenn tatsächlich ein junger Araber in Ost-Jerusalem aufgrund seiner Herkunft ermordet wurde, dann ist dies eine erschreckende Tat", sagten sie. "Denn Blut ist gleich Blut und Mord ist gleich Mord, egal ob das Opfer jüdisch oder arabisch ist", so die orthodoxe jüdische Familie. In diesen Tagen, in denen aufgehetzte rechtsradikale Juden unbeteiligte Araber in Jerusalem zusammenschlagen und die Facebook-Gruppe "Das jüdische Volk fordert Rache" nach nur zwei Tagen bereits 32.000 Freunde zählt, ist der jüdische Humanismus der Fraenkels gefragter denn je.
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