Island

Vor Elektrizität und Rock 'n' Roll

Wasserfall Skógarfoss, Juni 2003. Der Skogarfoss liegt im Süden Islands in der Nähe des Ortes Skógar, an einer ehemaligen Steilküste, nach dem Vorschub der Küstenlinie ins Meer. Aus einer Höhe von 60 Metern und über eine Breite von 25 Metern ergiesst sich das Wasser in die Tiefe.
Vom Wasserfall Skógarfoss in der Nähe von Skógar zieht es viele ins Museum von Thordur Tómasson. © picture-alliance/ Berlin_Picture_Gate_BPG / Pyschnyi_Sergej
Von Vanja Budde · 26.12.2013
Mehr als 6000 Exponate - Gebrauchsgegenstände, Musikinstrumente, Handwerkszeug, Fischerboote und ganze Häuser - hat Sammler Thordur Tómasson zusammengetragen. In seinem Museum in Skógar lässt sich nachvollziehen, wie es auf Island früher einmal war.
Der Skógafoss ist einer der vielen großen Wasserfälle Islands. Im Sommer locken die rauschenden Fluten Scharen von Touristen in den kleinen Ort Skógar, 150 Kilometer südlich der Hauptstadt Reykjavik. Gut für Thordur Tómasson: Nach dem obligatorischem Foto vom Wasserfall besuchen viele Islandreisende auch sein Museum.
Flink eilt der kleine, kugelbäuchige 92-Jährige voraus, vorbei an Schaukästen und Regalen mit Haarkämmen und Schöpflöffeln aus Horn, fein ziselierten kupfernen Gürtelschnallen und Steigbügeln, bestickten Trachtenjacken, Spinnrädern und hölzernen Essnäpfen, Angelhaken und Heugabeln. Vor einer Vitrine macht Tómasson Halt, deutet mit einem kurzen, dicken Zeigefinger auf eine handtellergroße, reich verzierte Messingplatte. Eine junge Museumsmitarbeiterin übersetzt.
"Er war nur 14 Jahre alt und ist auf einen Bauernhof gekommen. Ein kleiner Junge hat draußen mit seinem Spielzeug gespielt, das waren Knochen von Schafen, das waren seine kleinen Tiere. Und unter seinem Spielzeug gab es dieses Schlüsselloch: Anno 1812. Das ist das erste Objekt, das er gesammelt hat.“
Wie zur Zeit der Wikinger
Der Bauernsohn hat das Museum 1949 gegründet und es immer mal wieder erweitert. Tómasson hat stets von seiner Ausstellung gelebt, er hat keinen anderen Beruf ausgeübt.
“Die Eingebung kam vom lieben Gott im Himmel: Ich habe mich nicht bewusst für das Sammeln entschieden, es ist eine Berufung. Aber wenn ich all diese Dinge nicht aufbewahrt hätte, hätte es niemand gemacht. Es kam eine neue Kultur nach Island, alles hat sich verändert und die Menschen haben nicht bemerkt, dass das Alte verschwindet. Man war gierig auf die Modernisierung und hat nicht weiter nachgedacht.“
Als Kind hat der kleine Thordur die alte Lebensweise noch miterlebt: Das Islandpferd war das wichtigste Transportmittel, Straßen gab es kaum, die Feldarbeit wurde von Hand verrichtet, alles war wie zur Zeit der Wikinger, unverändert seit 1000 Jahren.
Dann kamen die Elektrizität, amerikanische Militärbasen, Rock 'n' Roll, Coca Cola, die Ringstraße, die einmal rund um Island führt, Jeeps und Traktoren:
“Plötzlich, Mitte des 20. Jahrhunderts, hat sich alles verändert. Und zwar sehr schnell. Die Isländer sind vom Mittelalter in die technische, moderne Welt katapultiert worden. Die Arbeit wurde leichter, das alte Handwerk geriet in Vergessenheit. Als ich anfing, die alten Sachen zu sammeln, haben manche mich schräg angeguckt und gedacht, ich sei seltsam und anders. Aber bald haben sie eingesehen, dass es eine wichtige Arbeit ist, die ich hier mache. Sie haben mich dann unterstützt, die Nachbarn haben mir ihre alten Sachen gebracht.“
Ehrendoktorwürde für Bewahrung kulturellen Erbes
Für diese Zeitreise durch Islands Vergangenheit, die das kulturelle Erbe der Insel bewahrt, hat ihm die Universität Reykjavik die Ehrendoktorwürde verliehen.
"Die Leute früher hatten auch viel Kultur. Immer hat jemand vorgelesen, während die anderen in der Stube gearbeitet haben. Es gab auch Reimspiele, es wurde Musik gemacht. Die meisten Menschen waren gute Handwerker, die Sachen wurden dekoriert, es gab feine Schnitzarbeiten und die Frauen haben sehr schöne Decken gewebt.“
Island hat nur 300.000 Einwohner, jeder kennt jeden, und in Reykjavik meinen manche, Thordur Tómasson verkläre mit seinem Heimatmuseum die Vergangenheit.
“Ich vermisse schon einiges: Damals war das Leben viel härter, aber es gab auch viele glückliche Momente, die Menschen waren zufrieden und haben das Leben geliebt. Früher war der Zusammenhalt größer. Heutzutage ist das Leben sehr einfach, es ist viel bequemer. Und deshalb müssten die Leute eigentlich viel glücklicher sein. Aber sie sind es nicht.“
Thordur Tómasson dagegen ist im Einklang mit seinem Leben für das Heimatmuseum im kleinen Ort Skógar an der Küste Islands, dieser rauen Insel draußen im Nordatlantik, weit entfernt vom Rest der Welt.
“Ich bin 92 Jahre alt und sehr zufrieden, wenn ich auf mein Lebenswerk zurück blicke. Ich bin immer gesund gewesen und die große Leidenschaft für meine Museumsarbeit, die hat mich nie verlassen.“