Islamismus

Kein Anspruch auf die Opferrolle

Von Hamed Abdel-Samad · 01.04.2014
Staaten, in denen radikale Islamisten nach der Macht greifen, verwahrlosen, meint der deutsch-ägyptische Publizist Hamed Abdel-Samad. Kein Wunder, dass Ägypten mit Gewalt gegen die Muslimbrüder vorgeht. Doch sie haben trotzdem keinen Anspruch auf die Opferrolle - aus einem einfachen Grund.
Mit aller Gewalt will der ägyptische Staat den Terror der Muslimbrüder stoppen. Doch was im vergangenen Sommer begann, als in Kairo zwei Protestcamps der radikalen Bewegung gewaltsam aufgelöst wurden, und was kürzlich in den Todesurteilen gegen mehr als 500 Muslimbrüder eskalierte, wird weder Terroristen einschüchtern noch Nachahmer abschrecken. Diese Verfolgung schafft nur neue Märtyrerlegenden, und die Muslimbrüder profitieren selbst am meisten von Härte. Plötzlich redet die Welt nicht mehr über ihre vielen Terroranschläge, sondern über das Unrecht, das ihnen widerfährt. Doch die Muslimbrüder haben keinen Anspruch auf die Opferrolle.
Seit ihrer Gründung im Jahr 1928 weisen die Muslimbrüder faschistische Züge auf. Und wie alle faschistischen Bewegungen handeln auch sie mit zwei Waren: Wut und Blut. Alle, die mit ihnen kooperieren wollen, müssen das Motto der Bruderschaft annehmen: Der Prophet ist unser Anführer, der Koran ist unsere Verfassung, der Dschihad ist unser Weg, und das Sterben für Allah ist unser höchstes Ziel. Und so wurde die Muslimbruderschaft die Mutterorganisation des islamistischen Terrorismus. Al-Qaida ist eine ihrer Ausgeburten.
Das Ende des Ersten Weltkriegs besiegelte das Ende vieler Großmächte. Die Häuser Habsburg und Preußen waren geschlagen, die imperialistischen Träume Österreich-Ungarns und des Deutschen Reiches geplatzt. Der russische Zar und seine Familie wurden ermordet, an die Stelle der Monarchie traten die roten Revolutionäre. Das längst angeschlagene Osmanische Reich zerfiel endgültig, und mit ihm ging das Kalifat unter – jene islamisch legitimierte Herrschaftsform, die vier Jahrhunderte lang mehrere islamische Staaten und Völker unter einem Dach hatte zusammenhalten können.
Minderwertigkeitskomplex und Träume der Weltherrschaft
In all diesen gefallenen Reichen folgten auf die Monarchie Systeme, die von Ideologien getragen wurden. In Deutschland und Italien machte sich der Faschismus breit. In Russland war der Kommunismus die neue Religion. In der islamischen Welt konnte man sich nach dem Zusammenbruch des Osmanischen Reiches nicht so recht entscheiden, wohin der Weg führen sollte. Minderwertigkeitskomplex und Träume der Weltherrschaft, Ohnmacht und Allmachtsfantasien – das verbindet Islamismus und Faschismus.
Der Begründer der Bewegung, Hassan Al-Banna, bewunderte Hitler und Mussolini und sah sie als Vorbilder für seine Ziele. Er forderte die Auflösung aller politischen Parteien, gründete Terrormilizen nach dem Vorbild der SA und SS. Und er wollte ein Führer werden, dem alle blind gehorchen.
Die Welt aufgeteilt in Freund und Feind
Wie Faschisten teilen auch Muslimbrüder die Welt auf in Freund und Feind, in Gläubige und Ungläubige. Die Verschwörungstheorien im Faschismus, das Gefühl der Erniedrigung und des Zu-kurz-gekommen-Seins, diese Rachelust und die Entmenschlichung der Feinde, all dies ist auch in der Ideologie der Bruderschaft zu finden. Deshalb scheitern die Islamisten wirtschaftlich und siegen dennoch oft politisch.
Heute gilt General Al-Sisi vielen Ägyptern als der neue Heilsbringer. Die Erwartungen an ihn sind enorm. Er weiß aber selber, dass das Land gravierende Probleme hat, die er nicht lösen kann. Die Muslimbrüder können ihm bei den kommenden Wahlen nicht gefährlich werden, doch sie sind nach wie vor imstande, das Land zu lähmen. Er weiß auch, dass die gleichen Massen, die ihm jetzt frenetisch zujubeln, auch gegen ihn demonstrieren werden, wie sie gegen Husni Mubarak und Mohammed Mursi demonstriert haben, weil diese die Wünsche nach Stabilität und Wohlstand nicht erfüllen konnten.
Die Zeit der absoluten Diktatur ist vorbei. Die Muslimbrüder sind von der Macht verdrängt worden. Doch die Umstände und die Geisteshaltung, die zu ihrem Aufstieg führten, sind immer noch allgegenwärtig in Ägypten.
Hamed Abdel-Samad, geboren 1972 bei Kairo, hat Englisch, Französisch, Japanisch und Politik studiert. Er arbeitete für die UNESCO, am Lehrstuhl für Islamwissenschaft der Universität Erfurt und am Institut für Jüdische Geschichte und Kultur der Universität München. Abdel-Samad gilt als einer der wichtigsten Kritiker eines politischen Islams. Seine Bücher "Mein Abschied vom Himmel" (2009), "Der Untergang der islamischen Welt" (2010) sorgten für Aufsehen und haben ihm Todesdrohungen eingebracht. Heute (1.4.2014) erscheint seine jüngste Analyse: "Der islamische Faschismus".
Der Politologe Hamed Abdel-Samad
Der Politologe Hamed Abdel-Samad© dpa / picture-alliance / Inga Kjer
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