Meinung

Warum der Begriff „Islamismus“ mehr schadet als nützt

04:29 Minuten
Ein Kämpfer der Taliban steht mit einem Maschinengewehr in der Wüste, im Hintergrund sieht man Berge.
Mit dem Label "Islamisten" werden sehr unterschiedliche Personen und Gruppen belegt, unter anderem die Taliban: Die militanten Dschihadisten herrschen in Afghanistan und verfolgen eine frauenverachtende Politik. © picture alliance / Zoonar / Wosunan Photostory
Ein Einwurf von Fabian Goldmann |
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Dauernd wird über "Islamisten" diskutiert. Gemeint sind damit nicht nur Terrorbanden und Messerstecher: Der Begriff ist zu einem Kürzel für unliebsame Muslime aller Art geworden. Besser wäre es, auf ihn zu verzichten – und präziser zu formulieren.
Islamist. Den Begriff hört man dieser Tage häufiger. Mal für den Messerstecher in der Fußgängerzone, dann für den muslimischen Verbandsfunktionär. Für die Terrorbande aus Nahost und für den türkeistämmigen Gemeinderat. Für den Diktator vom Golf und für den Imam von nebenan. Sie alle sollen Teil eines gemeinsamen Bedrohungsszenarios sein. Dabei haben sie außer ihrem Muslimisch-Sein meist nur die negativen Fremdzuschreibungen gemein: reaktionär, anti-demokratisch, gewalttätig.
Ein Islamist ist jemand, der den Islam als Grundlage für soziale und politische Veränderungen gebraucht. So lautet ein Minimalkonsens unter den Islamismus-Definitionen. Anders als „islamisch“ beschreibt „islamistisch“ also ein politisches und kein religiöses oder kulturelles Phänomen. Welche Merkmale den „Islamismus“ sonst noch ausmachen? Darüber herrscht auch in der Wissenschaft keine Einigkeit.

Seine Unschärfe macht den Begriff so erfolgreich

Das Licht der Welt erblickte der Islamismus-Begriff Mitte der 1970er: als Sammelbezeichnung für politische Bewegungen und Akteure, die im 19. und 20. Jahrhundert verstreut über die islamische Welt entstanden. Ende der 80er hatte der „Islamismus“ seine zahlreichen Vorgänger weitgehend ersetzt: „Radikalismus“, „Fundamentalismus“, „Islamisches Erwachen“. Heute lehnen viele Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler den Begriff ab: weil er die Grenzen zwischen Religion und Politik verschwimmen lässt, auf Grund seiner Unschärfe und seines Missbrauchspotenzials.
Gerade aber diese Unschärfe ist es, die den Begriff außerhalb von Universitäten so erfolgreich macht. Im öffentlichen Diskurs hat sich „Islamist“ fest etabliert: als Kürzel für unliebsame Muslime aller Art. Als Instrument der Markierung, Problematisierung und Kriminalisierung.
Konkurrenz erhält der Begriff „Islamismus“ in den letzten Jahren vom nahezu identischen „Politischen Islam“. Dessen „Agenten“ – so liest man in Bestsellern, Tageszeitungen und Parteitagsbeschlüssen – würden westliche Gesellschaften infiltrieren und in eine islamische Diktatur verwandeln. Es sind die alten rechten Verschwörungstheorien von „Islamisierung“ und „Unterwanderung“, die unter der Überschrift „Politischer Islam“ im modernen bürgerlichen Gewand daherkommen.

Die Rede vom "Islamismus" grenzt aus

Auffällig ist: Viele „Islamisten“, die uns in Medien und Politik begegnen, sind gar nicht sonderlich extrem. Häufig trifft die Zuschreibung ausgerechnet jene Muslime, die sich demokratisch in der Öffentlichkeit engagieren. Wie vor Kurzem Khola Maryam Hübsch. Selbst ihr jahrzehntelanges Eintreten gegen Diskriminierung und Extremismus aller Art bewahrte die Publizistin nicht davor, als angebliche „Islamistin“ in der BILD-Zeitung zu landen. Der Verfassungsschutz hat sich mit dem Begriff „Legalistischer Islamismus“ sogar eine Möglichkeit geschaffen, Muslime nicht nur trotz, sondern wegen ihrer Gesetzestreue zur Bedrohung zu erklären.
Als „islamistisch“ werden in Medien und Politik zudem häufig Praktiken bezeichnet, die in Wahrheit nichts anderes sind als „islamisch“: Kopftuchtragen, Halal-Essen, Muezzinruf. Auch das zeigt: Die ausgrenzende Macht des Begriffs richtet sich nicht nur gegen Gewalttäter und Extremisten, sie richtet sich gegen ganz gewöhnliche Muslime und ihr Recht auf Religionsausübung und Teilhabe in Deutschland.

Besser präzisere Begriffe nutzen

Das Beste wäre deshalb, auf die Begriffe „Islamismus“ und „Politischer Islam“ weitgehend zu verzichten. Lexika halten zahllose präzisere Alternativen parat, die gern auch für Muslime verwendet werden dürfen: von reformistisch bis revolutionär, extremistisch bis demokratisch, dogmatisch bis pragmatisch, militant bis gewaltfrei. Sie alle durch einen Begriff zu ersetzen, nur weil Muslime gemeint sind, ergibt in etwa so viel Sinn, als fasse man radikale israelische Siedler und jüdische Friedensaktivisten unter „Judaismus“ zusammen oder bezeichne Mitglieder von Ku-Klux-Klan, CSU und Caritas als „Agenten des politischen Christentums“.
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