Islamische Handschriften

Die Rettung der Weisheit von Timbuktu

Abdel Kader Haidara ist CEO der Nichtregierungsorganisatoin SAVAMA-DCI.
Abdel Kader Haidara (l) und Außenminister Frank-Walter Steinmeier im Auswärtigen Amt bei der Eröffnung eines internationalen Treffens zum Erhalt von rund 285.000 islamischen Handschriften aus Timbuktu (Mali). © picture alliance / dpa / Martin Lejeune
Von Bettina Rühl · 02.01.2015
Der Bibliothekar Abdel Kader Haidara riskierte sein Leben, um einen der größten Kulturschätze Afrikas vor Islamisten zu retten: Jahrhunderte alte Handschriften aus der Oasenstadt Timbuktu in Mali - die einst mit Gold aufgewogen wurden.
Eine Straße in Bamako, der malischen Hauptstadt. Das Wohnviertel ist einfach, die Straßen sind nicht asphaltiert, die Häuser unscheinbar. Hühner und Ziegen laufen herum, suchen im Müll auf den Straßen nach Futter. Nichts weist darauf hin, dass hier einer der größten Kulturschätze Afrikas versteckt ist.
"Dieses Manuskript muss aus dem 18. Jahrhundert stammen. Termiten haben es stark zerfressen. Wir haben aber auch Handschriften, die nicht beschädigt sind."
Abdel Kader Haidara ist Leiter dieses Archivs in Bamako.
Restauration dauert mehrere Generationen lang
In einem verdunkelten Raum werden die Manuskripte digitalisiert. Seite für Seite wird mit digitalen Kameras abfotografiert. An mehreren Tischen arbeiten Männer und Frauen parallel. Dadurch werden sie dann für die Forschung zugänglich gemacht. Finanziert werden Konservierung und Erforschung der Manuskripte von Timbuktu auch mit Geldern aus Deutschland: Das Auswärtige Amt und die Düsseldorfer Gerda-Henkel-Stiftung sind unter den Gebern. Abdel Kader Haidara kommt immer wieder vorbei und schaut sich die Fortschritte an.
"Das ist Arbeit für ein ganzes Leben. Nein, für mehrere Generationen. Wir tun, was wir tun können. Wir haben diese Aufgabe von unseren Vorfahren übernommen. Wir machen dort weiter, wo sie aufgehört haben. Und uns werden unsere Nachfahren ablösen."
Haidara hat sein Leben aufs Spiel gesetzt, um rund 285.000 historische Handschriften aus der Oasenstadt Timbuktu vor der Zerstörung durch islamistische Milizionäre zu retten. Die ältesten stammen aus dem 12. Jahrhundert – insgesamt ein Konvolut von unschätzbarem Wert.
"Es war sehr, sehr gefährlich. Im Norden ebenso, wie hier im Süden. Die Aktion war vom ersten bis zum letzten Moment gefährlich."
Von Islamisten mit vorgehaltener Waffe kontrolliert und beschossen
Haidara und rund 100 Komplizen schmuggelten die historischen Handschriften in die malische Hauptstadt Bamako. Dort befinden sie sich noch immer in einem Übergangsarchiv. Wann sie nach Timbuktu zurückkehren können, ist völlig offen: Radikale Islamisten sind im Norden von Mali weiterhin präsent.
Mit ihrer Rettungsaktion begannen Haidara und seine Helfer schon im Mai 2012, wenige Wochen nach dem Einmarsch von Tuareg-Milizionären und Islamisten in Timbuktu. Die Stadt wurde 1988 von der UNESCO zu einer Weltkulturerbe-Stätte erklärt.
"Überall wurde geschossen, Gewalt war im ganzen Norden Malis allgegenwärtig. Trotzdem waren wir davon überzeugt, dass wir die Manuskripte retten müssen. Und das haben wir gemacht."
Handschriften sind "ein Erbe der Menschheit"
Acht Monate lang, zwischen Mai 2012 und Mitte Januar 2013, schmuggelten Haidara und seine Helfer Metallkisten voller Manuskripte aus Timbuktu heraus. Bei ihrer Aktion wurden sie von Islamisten mit vorgehaltener Waffe kontrolliert und von Armeehubschraubern beschossen. Sie flohen auf Eseln, in Geländefahrzeugen oder in einfachen Booten über den Niger-Fluss. Als die al-Qaida-nahen Kämpfer die Bibliothek von Timbuktu im Januar 2013 dann tatsächlich in Brand setzen wollten, fanden sie dort nur 4.000 Manuskripte. Weitere 11.000 blieben unentdeckt, die meisten hatten Haidara und seine Helfer längst abtransportiert.
"Ich wollte unser kulturelles Erbe aus den Wirren des Krieges retten. Dabei ging es mir nicht um meinen Besitz, obwohl ich etliche Handschriften besitze. Aber die Handschriften von Timbuktu sind ein Erbe der Menschheit. Dieses Bewusstsein hat mir den Mut gegeben, den ich brauchte, um unser aller Erbe zu retten."
Die Manuskripte von Timbuktu haben einen unschätzbaren historischen Wert: Sie enthalten die Ergebnisse von hunderten Jahren islamischer Forschung. Die Gelehrten kamen schon im Mittelalter nach Timbuktu, aus dem übrigen Afrika, aus der arabischen Welt und aus Europa. Grundlage der Gelehrsamkeit war der materielle Reichtum der Oase. In der Nähe des Niger-Flusses gelegen, war der Ort zur Schnittstelle des Handels zwischen dem tropischen und dem mediterranen Afrika geworden. Getauscht wurden Gold und Sklaven aus dem Süden gegen Salz aus dem Norden. Das wertvollste aber, so hieß es damals, sei den Oasenbewohnern die Weisheit gewesen. Handschriften würden in Timbuktu mit Gold aufgewogen.
"Meine Familie hat eine Bibliothek mit 45.000 Manuskripten. Seit Jahrhunderten sind wir eine Familie von Intellektuellen, Generation um Generation brachte Schriftsteller, Dichter, Händler oder Richter hervor. Sie arbeiteten mit den Manuskripten, die sie vorfanden, und schrieben selbst sehr viel. Deshalb haben wir jetzt eine so umfangreiche Bibliothek."
Manuskripte behandeln gute Regierungsführung und eine Kultur des Friedens
Schon als Jugendlicher ging Haidara ganz selbstverständlich mit diesem Wissen um. Wenn er lesen wollte, griff er zu einer der historischen Handschriften in der elterlichen Bibliothek.
"Die Manuskripte, in denen es um Menschenrechte und gute Regierungsführung geht, sind mir die wertvollsten. Andere behandeln die Lösung von Konflikten und die Kultur des Friedens. Außerdem geht es um Toleranz, Rechtsprechung und Astronomie – alle diese Themenbereiche interessieren mich sehr."
Besonders gerne las Haidara in einem Ratgeber über gute Regierungsführung aus dem 15. Jahrhundert. Der Regent solle immer aufrichtig sein, heißt es da, und dem Wohlergehen der Bevölkerung dienen. Außerdem dürfe er Macht und Familieninteressen nicht miteinander verquicken. Heute würde man das "good governance" nennen. Das historische Wissen um den Wert von Demokratie ist der eigentliche Schatz von Timbuktu.
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