Islam-Unterricht an den Schulen

Die Prävention kommt von selbst

Mehrere Ausgaben des Schulbuches "Mein Islambuch" liegen an der Henri-Dunant-Schule in Frankfurt (Hessen) auf einem Tisch.
Materialien für den Islam-Unterricht. © dpa / picture alliance / Roland Holschneider
Bernd Ridwan Bauknecht im Gespräch mit Nana Brink · 20.04.2015
Gegen Radikalisierung hilft vor allem Bildung: Das meint der islamische Religionslehrer Bernd Ridwan Bauknecht. Er fordert, mehr auf die Interessen muslimischer Jugendlicher in der Schule einzugehen.
Islamischer Religionsunterricht an den Schulen führe zur Normalität im Umgang mit dem muslimischen Glauben, so der Publizist und islamische Religionslehrer Bernd Ridwan Bauknecht im Deutschlandradio Kultur. Wenn der Islam einen Platz an der Schule habe, sei das ein gesellschaftliches Zeichen. Was die Jugendlichen oft suchten, sei Gemeinschaft, betonte der Publizist: "Und sie interessieren sich für Gerechtigkeit." Der Islam werde in Deutschland aber immer wieder als Problem behandelt, das würden die Jugendlichen als ungerecht empfinden: "Sie kennen ja selbst den Islam als etwas Schönes." Bildung helfe, eine eigene Sprache für die Religion zu finden, sagte Bauknecht. In der Schule werde die Reflexionsebene gepflegt, der Umgang mit anderen Religionen und Weltanschauungen eingeübt. Wenn das jemanden durch die gesamte Schulzeit begleite und die muslimischen Jugendlichen auch immer wieder mit ihren Themen Gehör fänden, sei viel gewonnen. Prävention gegen die Radikalisierung sei dann "Beiwerk, was automatisch passiert".

Das Interview im Wortlaut:
Nana Brink: Über 60 Prozent der Bundesbürger glauben, der Islam passt nicht zu Deutschland. Schnell zeigen viele auf die pervertierten Formen des Islam wie zum Beispiel die Terrorgruppe des Islamischen Staates und vergessen dabei, dass sich die ganz große Mehrheit der Muslime in Deutschland zur pluralistischen Gesellschaft und ihren Werten bekennt, und auch die beschäftigt die Frage: Warum radikalisieren sich junge Menschen? Warum ziehen sie, aufgewachsen in unserer Mitte, in den heiligen Krieg nach Syrien oder auch nach Afghanistan, wo sich am Wochenende der IS ja zum ersten Mal zu einem Attentat mit über 30 Toten bekannt hat?
Bernd Ridwan Bauknecht unterrichtet Islamkunde in Bonn, ist Mitglied der deutschen Islamkonferenz, die bemüht sich ja seit fast zehn Jahren um einen Dialog. Herr Bauknecht, ich grüße Sie!
Bernd Ridwan Bauknecht: Guten Tag!
Brink: Was erleben Sie in Ihrem Umfeld? Wie groß ist die Gefahr einer Radikalisierung?
Bauknecht: Na ja, man muss sehen: Wir haben vier Millionen Muslime hier in Deutschland und es wird geschätzt, das 7.000 Salafisten aktiv sind in Deutschland. Wir haben ungefähr 600 bis 650 Jugendliche, die ausgereist sind nach Syrien. Das ist natürlich so an sich genommen eine große Zahl, aber wenn wir das ins Verhältnis setzen, ist es jetzt nicht so, dass sich alle radikalisieren. So ist das bei Weitem nicht. Wir haben ungefähr, wenn wir alle islamistischen Gruppierungen zusammennehmen, gerade ein Prozent, die hier also mit islamistischen Gruppierungen vielleicht dann auch sympathisieren oder denen anhängen.
Brink: Sie haben es ja natürlich viel mit Schülern zu tun. Sie unterrichten in einer Haupt- und drei Grundschulen ja in Bonn, sind also ganz nah dran. Erleben Sie das Thema Radikalisierung, ist das wirklich ein Thema? Wird darüber gesprochen?
An den Schulen wird viel über den radikalisierten Islam gesprochen
Bauknecht: Ja, gerade an Schulen wird darüber gesprochen, weil Schule ist im Prinzip sozusagen wie so eine Art Fühler in die Gesellschaft hinein, und Jugendliche, wenn sie hier als Jugendliche aufwachsen, selbst vielleicht Muslim sind, gerade vielleicht auch in größeren Städten, dann ist das auf jeden Fall ein Thema und wird auch in die Schulen getragen, ja.
Brink: Was ich fragen wollte: Es gibt ja das Klischee, Muslime seien eher bereit, den Namen Gottes (mit) Gewalt zu verteidigen.
Bauknecht: Ja.
Brink: Sie kennen ja nun beide Seiten. Was ist dran an diesem Klischee?
Bauknecht: Wir müssen da sehr aufpassen, dass wir nicht in die Richtung von Rassismus auch abgleiten. Wir haben es ja nicht mit einem traditionellen Islam zu tun. Der Salafismus ist eine Ideologie aus der Moderne, und das ist auch wichtig zu verstehen.
Warum können Jugendliche heute mehr provozieren, wenn sie sich ein Cappy, ein Kaftan anziehen und einen Vollbart tragen, als mit einem Irokesenschnitt? Wenn wir also Religionskritik üben, dann müssen wir eigentlich auch diese Dinge dann mit einbeziehen und eigentlich mal nachfragen, was gibt es eigentlich in deren Theologie, was ist da eigentlich vorhanden, und nicht die Muslime dann ausschließen und hier alle über einen Kamm scheren.
Brink: Sie lehren Islamkunde an Schulen. Kann Bildung über verschiedene Religionen so etwas verhindern?
Die Jugendlichen suchen Gemeinschaft - und Gerechtigkeit
Bauknecht: Zum großen Teil schon. Also was die Jugendlichen natürlich suchen, ist Gemeinschaft. Das ist immer wieder die Sache. Und sie interessieren sich für Gerechtigkeit. Und sie erleben jetzt hier, sie wachsen hier in diesem Land auf, der Islam ist. ... immer problemorientiert wird er behandelt, und das finden sie auch irgendwie ungerecht, weil sie kennen ja selbst den Islam als etwas Schönes. Und ich glaube schon, dass wir hier einfach durch die Bildung ... Indem wir zeigen, okay, der Islam hat als Religionsunterricht auch einen Platz in der Schule, dann ist das ein gesamtgesellschaftliches Zeichen: Das ist einfach was Normales, führt zu Normalität.
Aber ich glaube, dass die Gesamtgesellschaft da leider nicht so weit ist, ja, den Islam eben auch als das zu sehen, was er ist, dass nämlich vier Millionen Menschen hier das als spirituellen Weg sehen, als eine Religion, die ihnen hilft, wenn jemand verstorben ist, das sie ein Leben lang begleitet. Es ist nichts anderes als eine andere Religion eben auch. Bildung hilft da, das fängt schon im Kindergarten an und das fängt an in der Primärstufe. Die brauchen eine eigene Sprache. Ganz deutlich ist eben: Viele, die da sich radikalisiert haben, haben überhaupt keine religiöse Bildung.
Brink: Was macht Sie dann so sicher, dass sie diese sich radikalisierenden Jugendlichen dann erreichen mit Religionsunterricht?
Wenn der Islam normal wird, kommt die Prävention von selbst
Bauknecht: Es wird immer wieder welche geben, die sich radikalisieren, das können wir nicht verhindern, islamischer Religionsunterricht ist auch kein Unterricht, der jetzt nur dazu da sein soll, Radikalisierung zu verhindern, sondern das ist laut Grundgesetz eben ein Recht hier und das ist auch ein sehr hohes Gut.
Und wenn ein Jugendlicher, ein Kind in die Schule kommt, erlebt es die eigene Religion als etwas Normales neben den anderen Religionen, und in der Schule pflegen wir die Reflexionsebene, wir pflegen auch den Umgang mit anderen Religionen, wir pflegen, üben ein den Umgang auch mit anderen Weltanschauungen, und das begleitet jemanden dann eben durch die Schulzeit und er selbst kommt dann auch zu Wort mit seiner Thematik. Dann haben wir, glaube ich, viel gewonnen, dann ist Prävention eigentlich so ein Beiwerk, was dann automatisch passiert.
Natürlich, wenn wir über Prävention sprechen, dann brauchen wir noch viel mehr. An der Schule wäre es wichtig, dass da noch im Politikunterricht, im Deutschunterricht, in Geschichte Themen zur Geltung kommen, die arabische Jugendliche in Großstädten interessieren. Und da heißt es halt: Was ist eigentlich los in Palästina, in Gaza? Wieso reden wir nicht mal über die Außenpolitik der Amerikaner? Wieso sind wir eigentlich immer Schuld?
Und wenn wir das vernünftig hinkriegen und vernünftig darüber reden und dann auch mit pädagogischen Konzepten dem Raum geben, dann glaube ich, dass wir da auch in unserem Sinne zur freiheitlich-demokratischen Grundordnung absichern, denn Muslime sind nicht undemokratischer als andere Menschen. Die Menschen sind 2010 - Jasminrevolution in Tunesien - auf die Straße für mehr Demokratie gegangen, in Ägypten genauso. Ich glaube, das ist dann unser Weg.
Brink: Bernd Ridwan Bauknecht unterrichtet Islamkunde in Bonn. Danke für Ihre Zeit!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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