Islam-Finanzierung in Albanien

Die "Erdogan-Moschee" auf dem Balkan

Bauarbeiten an der neuen "Erdogan-Moschee" mit vier Minaretten.
In der albanischen Hauptstadt Tirana entsteht die neue "Erdogan-Moschee". © Deutschlandradio / Sabine Adler
Von Sabine Adler · 04.09.2017
Rund 60 Prozent der Bevölkerung Albaniens sind Muslime: Ihren Glauben offen leben, können sie seit Ende der kommunistischen Diktatur im Jahr 1991. Weil der Staat sich lange Zeit aus Religionsfragen heraushielt, entstand ein Vakuum - das Golfstaaten und die Türkei füllten.
Verschleierten Frauen sind auf den Straßen von Tirana nicht zu sehen, Kopftücher hin und wieder, die allermeisten Albaner kleiden sich westlich. Auch der Ruf des Muezzins zum Gebet geht im Verkehrslärm unter. Nur leise im Hintergrund ist er hörbar. Und die kleinen Moscheen mit jeweils einem Minarett, lassen sich kaum ausmachen im Häusermeer der albanischen Hauptstadt.

"Höchste Zeit für eine größere Moschee"

Völlig aus der Art schlägt dagegen die "Erdogan-Moschee", die gerade unweit vom Parlament in Tirana entsteht. Schon jetzt ragen vier Minarette hoch hinauf in den Himmel. Gebaut wird sie mit dem Geld der türkischen Regierung, deswegen der Name. Die Reaktionen darauf sind unterschiedlich.
"Ich bin katholisch. Aber die Moschee ist gut, denn sie wird eine touristische Attraktion", sagt eine junge Frau in knappen Shorts.
Ermir Barlu, Ingenieur auf der Baustelle, unterstreicht stolz, dass es im Kosovo, in Mazedonien und in Albanien keine größere Moschee geben werde. Der Innenraum werde Platz für 3000 Gläubige bieten, außen für 1000, so dass 4000 Menschen zugleich beten könnten.
Eine junge Frau mit Kopftuch, Brunhilda Bascha, kritisiert den traditionellen Stil, sie als Architektin hätte sie gern moderner. Vor allem aber sei es höchste Zeit für eine große Moschee. Seit 1990 würden die Tiraner darauf warten.
Vor einem Bauzaun steht Sabine Adler mit einem Mikrofon und spricht mit einer Frau.
Sabine Adler interviewt vor der "Erdogan-Moschee" in Tirana eine Passantin.© Deutschlandradio / Sabine Adler
Gazmend Aga von der Albanischen Muslimischen Gemeinde kann von seinem Büro aus den Moscheebau beobachten, der im kommenden Sommer fertiggestellt sein soll und mit seinen Ausmaßen schon jetzt die angestrebte türkische Dominanz im geistlichen Leben Albaniens verkörpert.
"Vor dem Kommunismus gab es 1000 Moscheen in Albanien, sie sind alle zerstört worden. Damals hatte Tirana 80.000 Menschen und 30 Moscheen. Jetzt hat Tirana 800.000 Einwohner und es gibt nur zehn kleine Moscheen. Diese neue Moschee ist deswegen eine Notwendigkeit, kein Statussymbol. Der Stil ist anders, was aber daran liegt, dass wir immer kleine Moscheen hatten. Größere sehen wie diese aus, was man auch in der Stadt Shkodar sehen kann."
Der junge Vizechef des Muslimischen Verbandes räumt ein, dass es ohne die ausländische Finanzhilfe keine neuen Moscheen in Albanien gäbe. Das Land mit seinen drei Millionen Einwohnern ist zu arm. Zudem sieht sich der Staat nicht in der Pflicht, verweist auf den Laizismus, also die Trennung von Staat und Kirche.
In seinem Büro in Tirana sitzt Gazmend Aga von der Albanischen Muslimische Gemeinde.
Gazmend Aga von der Albanischen Muslimische Gemeinde mit Sitz in Tirana.© Deutschlandradio / Sabine Adler
Seit dem Ende der kommunistischen Diktatur, die von 1944 bis 1991 dauerte, ist die Religion in Albanien zwar nicht mehr verboten und man hörte auf, sich stolz als erster atheistischer Staat zu preisen. Aber der neue Laizismus anstelle des Atheismus werde jetzt stark übertrieben, findet Gazmend Aga.
"Albanien pflegt eine Art radikalen Laizismus, der die Gesellschaft von der Religion fernhalten will. Der Laizismus ist die Trennung von Staat und Religion, nicht die Trennung der Religion von der Gesellschaft, von den Menschen."

Geld für Moscheen kommt aus dem Ausland

Heute bezeichnen sich 57 Prozent der Albaner als Moslems, 2 Prozent gehören zu den alevitischen Bektaschi, 17 Prozent sind orthodoxe und katholische Christen. Alle Religionsgemeinschaften durften nach 1992 wieder praktizieren, mussten ihren Neustart jedoch aus eigener Kraft schaffen. Eine Entscheidung, die Agron Sojati für äußerst fragwürdig hält. Sojati ist der Anti-Terror-Beauftragte des Premierministers, ein Amt, das erst vor zwei Jahren in Albanien eingerichtet wurde.
"Religion war abgeschafft, verboten in Albanien. Jede Religion, nicht nur die muslimische. Ab 1992 standen alle Regierungen auf dem Standpunkt, die Religionen wieder zu erlauben, aber sich selbst zu überlassen. Sie wollten nicht falsch verstanden werden, dass sie die Glaubensgemeinschaften etwa kontrollieren wollten. Aber das hat zu lange angehalten, mehr als 25 Jahre. Und man weiß ja, dass es kein Vakuum gibt. Wir haben sie allein gelassen, andere taten das nicht."
Agron Sojati organisiert als Nationaler Koordinator den Kampf gegen den Extremismus in Albanien. Der Berufsoffizier hat internationale Erfahrung in NATO-Strukturen gesammelt.
Dass Sojati den Anti-Terror-Kampf sofort mit der Religion verbindet, darf man getrost als Eingeständnis staatlichen Versagens in Religionsfragen werten. In mehrfacher Hinsicht. Beim Moscheebau zum Beispiel. Ohne behördliche Genehmigungen oder Vorgaben taten die muslimischen Gemeinden, was alle im Land machten: Sie bauten einfach drauflos. Das Geld kam aus dem Ausland.
Die Absender stammen zumeist aus den finanzstarken Golfstaaten wie Saudi-Arabien, Katar oder den Vereinigten Arabischen Emiraten, aber auch aus der Türkei. Die Summen werden in Albanien mit Kusshand genommen. Denn noch immer fehlt es an Platz, was jeden Freitag zu sehen ist:
In Tirana muss ein großer Teil der Gläubigen auf den Fußwegen rund um die Moscheen beten, weil in den wenigen alten Gotteshäusern längst nicht alle Platz finden. Dabei hat Albanien keineswegs mehr Muslime bekommen.
Doch während sie sich zu Zeiten der Hoxha-Diktatur hüteten, sich als Gläubige zu erkennen zu geben, können sie jetzt offen zu ihrer Religion stehen. Für die große Gemeinde reichen die Mittel nicht hinten und nicht vorn, von Moschee-Neubauten ganz zu schweigen, meint Gazmend Aga:
"Wir müssen uns eine Million US-Dollar teilen – für alle im Land vertretenen Konfessionen. Wir als Muslime bekommen 250.000 bis 300.000 US-Dollar, was fast nichts ist."

Albanische Imame studierten im Ausland

Auch wenn Gläubige in Albanien auf größere materielle Unterstützung seitens des Staates noch warten müssen, so steht ihnen die Regierung heute keineswegs mehr feindlich gegenüber. So wie früher.
Dem Diktator Enver Hoxha, der 41 Jahre lang Albanien regierte, war sein Hass auf die Religion allerdings nicht in die Wiege gelegt, im Gegenteil. Hoxhas Vater war ein tiefgläubiger Mann, selbst Imam.
Doch das hinderte dessen Sohn Enver nicht daran, gegen jeglichen Glauben zu Felde zu ziehen. Aller Besitz wurde entweder zerstört – wie auch 400 christliche und orthodoxe Kirchen – oder konfisziert, einzig die Et’hem Bey-Moschee auf dem heutigen Skanderberg-Platz in Tirana überdauerte die Wirren von Krieg und Diktatur.
Menschen laufen über den Skanderbergplatz in Tirana. Keiner trägt Kopftuch. Ein Minarett einer Moschee ist zu sehen.
Der Skanderbergplatz in Tirana.© Deutschlandradio / Sabine Adler
Mit den Moscheen verschwanden die Imame. Die wenigen verbliebenen sind alt, Nachwuchs fehlt. Was Gazmend Aga bewog, selbst ein Religionsstudium aufzunehmen. Wie die allermeisten albanischen Imame ging auch er ins Ausland.
"Es gibt eine kleine Gruppe, die in der Türkei, und eine sehr große Gruppe, die in arabischen Ländern studiert hat und in Syrien bzw. Ägypten. 2011 eröffneten wir unsere eigene Universität in Tirana und bekommen nun unsere eigenen Imame, die hier studiert haben."
Gazmend Aga selbst hat sowohl in der Türkei als auch in den USA studiert. Ursprünglich wollte das Rechen-Genie Mathematiker werden. Im weißen Hemd mit offenem Kragen, das Gesicht glatt rasiert, erinnert er eher an einen jungen Banker oder Beamten, als an einen Imam.
Albanien hat sich trotz seiner mehrheitlich muslimischen Bevölkerung sehr lange Zeit gelassen, die religiöse Ausbildung selbst in die Hand zu nehmen. So entstanden Machtkämpfe innerhalb der muslimischen Gemeinde. Der Chef wurde 2003 in seinem Büro erschossen.

"Wachsende radikale Szene in Albanien"

Albanien hat eine islamistische Szene bekommen, die immer größer wird, sagt Enri Hide. Er studiert die Radikalisierung in Albanien und auf dem Balkan seit Jahren.
"Wir haben einige Moscheen, etwa in manchen Außenbezirken von Tirana, die klar unter dem Einfluss von radikalen Leuten stehen. Einer der größten Brennpunkte ist der Ort Cërrik, mit einer der am schnellsten wachsenden radikalen Szenen in Albanien. Oder das Dorf Rëmenj zum Beispiel, aus dem gleich neun Kämpfer zum IS gegangen sind. Die jungen Leute sind aber nicht nur in Moscheen radikalisiert worden, auch in anderen Gebäuden, die nicht für religiöse Zwecke genutzt werden."
Insgesamt leben in Albanien, Kosovo, Mazedonien und Bosnien-Herzegowina 8,5 Millionen Muslime.
Ein staatliches Regelwerk für die Arbeit von Glaubensgemeinschaften fehlte lange in all diesen Balkan-Ländern. Zudem schenkten die Regierungen den verschiedenen Islam-Richtungen wie dem erz-konservativen Salafismus und dem dogmatischen Wahabismus sowie dem politischen Islam zu lange zu wenig Aufmerksamkeit.
So konnten Radikale auf dem ganzen Westbalkan Anhänger rekrutieren, auch im kleinen Albanien, wie der Politikwissenschaftler Enri Hide herausfand.
"Zwischen 600 und 900 Kämpfer des sogenannten islamischen Staates in Syrien und im Irak stammen vom West-Balkan. Darin sind Familienangehörige eingeschlossen. Aus Albanien kommen 145 Personen, ebenfalls mit Partnern und Kindern. 45 bis 48 sind zurückgekehrt. 76 sind mit ihren Familien noch dort."

Anwalt von albanischen IS-Kämpfern

Roland Islami ist in Albanien ein bekannter Strafverteidiger, der sich in einer teuren schwarzen Limousine durch die Hauptstadt Tirana kutschieren lässt. Als Anwalt hat er neun Syrien-Rückkehrer vertreten.
Anwalt Roland Islami in seinem Büro am Schreibtisch.
Anwalt Roland Islami, der mehrere IS-Kämpfer vor Gericht verteidigt hat.© Deutschlandradio / Sabine Adler
Anwalt Islami beschreibt die beiden Hauptangeklagten, bei denen es sich um Imame handelt. Der eine, Genci Balla, sei gemäßigt, der andere, Bujar Hysa, das, was man einen Hassprediger nennt, sagt selbst dessen Anwalt.
"Bujar Hysa ist eine Person mit einem hohen kriminellen Potential. Im Gerichtssaal scheute er nicht vor solchen Aussagen zurück wie: "Die Führung des Islamischen Staates wird kommen und aus Albanien einen echten Staat machen." Ende des Zitats. Albanien darf nicht zusehen, wenn jemand solch ein Gedankengut verbreitet. Man musste ihn einsperren, um zu verhindern das sich solche Ideen in Albanien und der muslimischen Gemeinde hier verbreiten."
Die Imame Buja Hysa und Genci Balla wurden zu 18 bzw. 17 Jahren Freiheitsentzug verurteilt. Sechs weitere Angeklagte zu Haftstrafen zwischen 7 und 16 Jahren. Einer der IS-Rückkehrer wurde freigesprochen.
Das Problem der radikalen Imame ist mit dem Gerichtsprozess jedoch längst nicht erledigt. Für die Gehirnwäsche junger Menschen gehen die Radikalen in besonders arme Regionen Albaniens, erklärt der Anwalt Roland Islami, der das von seinem Mandanten erfahren hat.
"Manche Leute, wie die Eltern von Bujar Hysa, schicken ihre Kinder schon seit Anfang der 1990er Jahre zu völlig fremden Personen in den Koranunterricht. Die kommen aus arabischen Ländern, verbreiten jedoch weniger religiöses Wissen als vielmehr ihre politischen Ansichten und arabische Verhaltensregeln. Die Eltern setzen ihre Kinder dem aus, weil sie zugleich ein wenig Geld, Decken oder Lebensmittel bekommen. Das hat etwas mit der Armut zu tun. So war das auch, als Imam Bujat Hysas noch ein Kind war."

Radikalisierung als Flucht aus der Chancenlosigkeit

Der Anti-Terror-Beauftragte des Premierministers, Agron Sojati, sieht hier auch Handlungsbedarf. Man müsse direkt in die Wohnorte der gefährdeten Jungen gehen. Ihre Lehrer und Sozialarbeiter dort besser im Umgang mit radikalisierten Jugendlichen schulen, Fußball-Plätze bauen, Trikots bezahlen, Bücher schenken – das könnte sehr viel mehr bewirken als große Konferenzen in teuren Hotels.
Radikalisierung geschehe häufig als Versuch, Armut und Chancenlosigkeit zu entfliehen.
"Hauptsächlich sind es wirtschaftliche Gründe. 60 Kilometer von Tirana entfernt lebt in einem kleinen Ort eine Gemeinde von Sinti und Roma. Von dort sind allein fünf Personen nach Syrien gegangen, weil man ihnen versprochen hat, dass jeder 1500 Euro bekommt. Tatsächlich bekamen sie 150 Euro. Alle sind zurückgekehrt."
Jetzt würden alle vom Staat überwacht. Aber leider interessiere sich niemand für ihre wirtschaftliche Situation, sagt Sojati, denn diese Männer bräuchten vor allem eine Berufsausbildung, Arbeit, eine Wohnung.
"Eine nationalen Koordinator oder ein nationales Zentrum zu schaffen, löst das Problem natürlich nicht sofort. Wir haben die Dinge immerhin 25 Jahre völlig schleifen lassen. Es braucht jetzt ein paar Jahre, das zu korrigieren."
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