Isenheimer Flügelaltar wird restauriert

Frischzellenkur für ein bedeutendes Kunstwerk des Mittelalters

Die Holzskulpturen des Isenheimer Altars weisen zum Teil Schäden auf. Das Meisterwerk von M. Gründewald soll für 1,2 Millionen Euro restauriert werden.
Der Isenheimer Altar in Colmar © dpa
Von Vladimir Balzer · 12.09.2018
Der Isenheimer Altar im elsässischen Colmar wird restauriert, ab Mitte September soll er für mehrere Jahre umfassend überarbeitet werden - doch zu besichtigen bleibt er trotzdem.
Näher kann man einem Kunstwerk nicht kommen. Die Restauratorin Juliette Levy klettert kurzerhand über die Absperrungen des Isenheimer Altars im elsässischen Colmar. Von der Ferne sieht man kaum Schäden, sagt sie. Sie macht ein paar Schritte und steht Auge in Auge mit den Holzskulpturen des Altarschreins. Das Herz eines der berühmtesten des Flügelaltare Europas. Hinten in der ehemaligen Klosterkirche des Museum Unterlinden.

500 Jahre altes Lindenholz mit abblätternder Farbe

Juliette Levy zeigt auf Fehlstellen, auf abgeplatzte Farbe, auf graue Stellen wo sich der Staub schon reingefressen hat. Und dann! – jetzt heißt es Atem anhalten – dann!- berührt sie eine der Skulpturen! Oh nein. Warum tut sie das?
Sie beruhigt: Das 500 Jahre alte Lindenholz ist bestens erhalten und viel robuster als man denkt. Das Problem ist die Farbe, die erneuert oder erst einmal freigelegt werden muss. Und der Finger von Jesus. Ausgerechnet der Zeigefinger von Jesus Christus war abgebrochen und ist vor Jahrzehnten mit einer plumpen Schnitzarbeit ersetzt worden. Der Finger wackelt, als die Restauratorin dagegen drückt. Und das ist nur das Sichtbare. Vieles wird sich erst im Laufe der Arbeiten ergeben. Die Restauratoren tasten sich vor. Das betrifft die Skulpturen ebenso wie die Bildtafeln. Und das ist gerade das Interessante, sagt Juliette Levy:
"This is what is very interesting. We don't know exactly what solution we will choose, yet."
Die Arbeit der Restauratoren bleibt in diesen nächsten vier Jahren hinter Plexiglas dabei jederzeit sichtbar, verspricht Museumsdirektorin Pantxika de Paepe. Und das kann auch deswegen interessant sein, ergänzt sie, weil man als Besucher den Werken so deutlich näher kommt als im Normalzustand.

Der Altar zeigt auch den Kampf gegen das "Antoniusfeuer"

Die Skulpturen des Altar-Schreins werden abgenommen und so steht man mit ihnen Auge in Auge, so wie gerade eben mit der Restauratorin. Nur den Finger von Jesus wird man nicht drücken können, versteht sich. Und dann – natürlich – die Bildtafeln. Kreuzigung, Leid, Schmerz. Ein Jesus, der Leiden nicht nur symbolisch andeutet, sondern voller Schmerzen tatsächlich durchlebt.
Matthias Grünewalds berühmtestes Werk zeigt aber auch Kampf: Kampf gegen das sogenannte Antoniusfeuer. Eine Krankheit, die durch einen gefährlichen Pilz im Roggen hervorgerufen wurde. Die Menschen verbrannten geradezu von innen. Sich verengende Blutgefäße, absterbende Gliedmaßen. Heilung? - Keine! Also wurden die Kranken vor den Isenheimer Altar gebracht um dort zu sehen, wie Jesus für sie leidet. Und wenn jetzt die Restaurierung beginnt, stellt sich die Frage: Zeigt man, wie sich das Werk über 500 Jahre verändert hat? Was ist überhaupt das Original? Wenn die dunkle Patina der überkommenen Firniss weg ist, wie hell sollen die Farben leuchten? Fragen, die man allgemein nicht beantworten kann, meint der für die Bildtafeln zuständige Restaurator Anthony Pontabry:
"Bei diesem Altar muss man die Spuren der Geschichte nicht zeigen, denn der allgemeine Zustand ist sehr gut. Hier geht es also nicht darum, dass der Restaurator eine Art Signatur hinterlässt. Anders als bei einem defekten Fresco. Dort müssen die fehlenden Teile so in die Restaurierung intergiert werden, dass die Fehlstellen wie ein Teil des Gesamtwerkes wirken. Hier ist es anders, hier geht es vor allem um die Frage, wie stark muss gereinigt werden. Jedenfalls immer so, dass die natürliche Alterung des Werkes sichtbar bleibt."

Moderne Substanzen für die Restaurierung

Als vor sieben Jahren schon eine Restaurierung begonnen wurde, gab es viel Kritik. Zu schnell habe man die Spuren der Vergangenheit tilgen wollen, zu wenig Diskussion über die Veränderungen des Werks zugelassen. Resultat war ein Stopp der Arbeiten. Heute ist das Restauratorenteam deutlich größer, es wird mehr kommuniziert, es wird ein Crowdfunding geben, die Öffentlichkeit ist diesmal dabei. Vor allem aber: Wo sich die Restauratoren nicht sicher sind, stellen sie die Arbeiten lieber zurück. Wer weiß, welche Techniken zukünftige Generationen nutzen können.
Was noch hinzu kommt, sind die Substanzen, die für die Restaurierung genutzt werden. Sie sind nachhaltiger, sie sind weniger gesundheitsschädlich. Und sie sind viel genauer anpassbar an das vorhandene Material. Da sei viel passiert in den letzten Jahren, schwärmt die Museumsdirektorin Pantxika de Paepe. Eins ist jedenfalls sicher: der Isenheimer Altar wird bald anders wirken.
Und es wird vielleicht noch klarer, dass wir hier vor einem der beeindruckendsten geistlichen Kunstwerke des 16. Jahrhunderts stehen. Und vor einem Jesus-Bild, das bis heute seinesgleichen sucht.
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