Isabel Allende wird 80

Sie kann vom Schreiben nicht lassen

05:47 Minuten
Die chilenische Schriftstellerin Isabel Allende lehnt sich an ein Treppengeländer.
Humor- und phantasievoll und manchmal ein wenig klischeehaft beim Zeichnen ihrer Romanfiguren: Isabel Allende. © imago images/El Mundo/Javi Martinez
Von Tobias Wenzel · 01.08.2022
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Isabel Allendes Bücher haben eine Gesamtauflage von rund 73 Millionen. Damit ist sie die erfolgreichste lebende Schriftstellerin in Lateinamerika. Auf ihre Karriere wies anfangs wenig hin. Nun wird die Autorin 80 und blickt zurück.
In ihrem Buch „Was wir Frauen wollen“ von 2021 behauptet Isabel Allende, sie habe von einer Nacht mit dem spanischen Schauspieler Antonio Banderas geträumt.
Wirklich? „Na ja, da war ich noch etwas jünger. Jetzt denke ich bei Antonio Banderas, er könnte mein Enkelkind sein. Er ist also nicht mehr Teil meiner Fantasien. Aber früher war er das viele Jahre lang“, sagt sie lachend.
Als Journalist muss man aufpassen, bei der chilenischen Autorin nicht die gebotene Distanz zu verlieren. Denn sie antwortet so emotional und ehrlich, dass man leicht glaubt, mit einer guten Freundin zu sprechen.

Schon als Mädchen Feministin

Mit Allende kann man über alles reden. Auch ihre schwierige Kindheit. „Meine früheste Kindheitserinnerung ist wohl die an das Haus meines Großvaters. Es war ein düsteres, hässliches, großes, kaltes Haus mit seltsamen Menschen. Eine Kindheit wie von Ingmar Bergman. Perfekt, um Schriftstellerin zu werden“, erzählt Allende.
In den 1940er-Jahren wuchs Allende in diesem Haus in Santiago de Chile auf. Ihre Mutter war vom Ehemann verlassen worden und musste mit drei kleinen Kindern, mittellos und ohne Ausbildung, ins Elternhaus zurückkehren. Die Benachteiligung ihrer Mutter als Frau ließ Isabel schon als Mädchen feministisch denken.
Unzählige Male stritt sie mit ihrem patriarchalischen Großvater, der Frauen für minderwertig hielt. 1967 gründete Allende mit anderen Frauen eine feministische Zeitschrift und schrieb über Tabuthemen im damaligen Chile wie Abtreibung und Gewalt gegen Frauen.

Humorvoll und übertreibend

Allerdings dichtete Allende bei Interviews einiges dazu: „Deshalb wurde ich von der Zeitschrift beauftragt, solche Reportagen zu schreiben, die viel Phantasie verlangten, in denen ich humorvoll sein und etwas übertreiben durfte. Aber seriöse Interviews hat mich die Redaktion nicht mehr machen lassen. Denn das endete immer damit, dass ich schrieb, was der Interviewpartner gar nicht gesagt hatte.“
1973 putschte das Militär in Chile. Der demokratisch gewählte Präsident Salvador Allende, ein Cousin von Isabel Allendes Vater, wurde dabei getötet. Der Beginn der Diktatur: Isabel Allende hoffte erst noch auf eine Wende zum Guten.
Wieder stritt sie mit ihrem Großvater: „Als er gesehen hat, wie ich Menschen in meinem Haus versteckt, Informationen ins Ausland geschmuggelt habe und Risiken eingegangen bin, war er entsetzt. Da kam wieder der Macho in ihm hoch. Ich erinnere mich, wie er mich an den Armen gepackt, geschüttelt und mir gesagt hat: 'Das ist nicht dein Problem. Du bleibst in deinem Haus und hältst den Mund! Hast du gehört?!'“

Manche sagen, sie sei nur eine "Schreiberin"

In Allendes Welterfolg, dem Roman „Das Geisterhaus“, erkennt man unschwer ihren realen Großvater in der Figur des Esteban Trueba. Das Buch schrieb sie im Exil in Venezuela. Ein Werk des Magischen Realismus, in dem eine Hauptfigur nur kraft ihrer Gedanken die Tasten eines Klaviers anschlägt und mit Geistern kommuniziert.
In Allendes Büchern wirkt hier und da eine Metapher zu kitschig oder eine Figur zu klischeehaft. Aber wie ihr Kollege Roberto Bolaño zu behaupten, Allende sei keine Schriftstellerin, sondern nur eine „Schreiberin“, ist eine Frechheit.
Denn die fantasievolle Autorin ist eine Meisterin darin, generationsübergreifende Geschichten und starke Frauenfiguren zu entwerfen. Sie hat mit dem Buch „Paula“ herzzerreißend den Tod ihrer Tochter verarbeitet und mit „Mein erfundenes Land“ eine berührende Hommage auf Chile verfasst. Allende schreibt empathisch und mit einnehmendem Humor.

Kein romantischer Tod über dem Pazifik

Humor kommt sogar auf, als sie erzählt, wie sie mit einem befreundeten Piloten beschloss, sich eines Tages, bevor sie „abhängige Alte“ würden, das Leben zu nehmen: „Unser Plan war, mit seinem Flugzeug über dem Pazifik zu fliegen, bis uns der Treibstoff ausgeht und keine Rückkehr mehr möglich ist. Das wäre ein romantisches Ende geworden. Aber als er über 80 war, haben sie ihm die Fluglizenz entzogen. Da musste er sein Flugzeug verkaufen.“
Bisher genießt Isabel Allende aber noch ihr Leben in Kalifornien. Mit 77 heiratete sie ein drittes Mal. Sie kann vom Schreiben nicht lassen. Die Diktatur habe sie zur Schriftstellerin gemacht, sagt sie, und das Haus ihres Großvaters, in dem ein Onkel seine riesige Büchersammlung untergebracht hatte, zur Leserin: „Damals hatten wir noch keinen Fernseher. Nie hat mich jemand ins Kino mitgenommen. Ich hatte keine solchen Vergnügungen. Ich bin nach der Schule in dieses düstere Haus zurückgekehrt, in dem man nur eines machen konnte: lesen.“

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