Irreguläre Kräfte
Das prestigebewusste neue China hat im Vorfeld der Olympischen Spiele vor allem mit zwei spektakulären Bauten gepunktet: dem Pekinger Olympiastadion, bekannt auch als Birds Nest, und dem nahe gelegenen Aquatic-Center, in dem die Schwimmwettbewerbe ausgetragen werden.
Die Urheber des Duos geben an, dass es sich dabei nicht nur um architektonische Abenteuer handele, sondern beide Gebäude im Sinne des Ying-Yang-Prinzips miteinander in Kontakt sind. So korrespondiere der quadratische Grundriss des Schwimmstadions mit dem Oval des Vogelnestes, wobei das Quadrat in der philosophischen Tradition des Ostens für weibliche Zärtlichkeit, das Runde für männliche Stärke stehe.
Bei allem philosophischen Feinsinn für die beiden schon jetzt legendären Großbauten sieht es nun aber so aus, als ob am Ende der ganzen Bauspektakel ein Novum im Zentrum der chinesischen Hauptstadt den beiden Bau-Ikonen noch den Rang abläuft: der CCTV-Tower, die Zentrale für das Staatsfernsehen, deren aberwitzige Form dem Betrachter den Atem nimmt. Im Grunde sind es zwei Türme, die so zueinander geneigt sind, dass sie sich halten, obwohl sie so aussehen, als ob sie jeden Moment in sich zusammenbrächen.
Da sie das nicht tun, scheint die Konstruktion jener gigantischen Mammutschleife so ziemlich allem zu widersprechen, was man bisher über die Statik zu wissen glaubte. Offenbar ist es genau dieses irreguläre Spiel der Kräfte, das den Tower jetzt zum geeigneten Sinnbild für den Zustand des Landes macht. Eine imperiale Quadratur des Kreises, ein Bauwerk kolossalen Widerspruchs, das demonstriert, was dieses China sein will und dadurch zwangsläufig fragt: Was ist es wirklich? Was trägt es? Was lässt es auseinander treiben? Wohin will es? Was wird es sein, wenn die Olympiatouristen wieder über alle Berge sind? Was können die Olympischen Spiele für die politische Zukunft des Landes bewirken? Werden sie – wie vielfach beschworen – zum Katalysator einer neuen chinesischen Freiheit oder eher ein makabres Ferment für den Größenwahn einer Diktatur?
Bei allem Bauboom in Peking haben vor allem kritische chinesische Architekten immer wieder auf die Gefahren der Auslöschung des Stadtgedächtnisses hingewiesen. Wenn sich das Leben der Menschen nur noch am Superlativ der Novi orientiert, fällt die Geschichte ins Loch, wird die um- und umgebaggerte Stadt zur Zentrale des Vergessens. Man muss schon lange laufen, um in einem der wenigen verbliebenen Hutongs das alte Peking aufzuspüren, jenes Biotop der Gassen und Hinterhöfe, Stimmen und Gerüche, der Gesichter der Alten, die vor ihren Häusern sitzen. Sie sind es zuerst, die wie Scharniere den Blick in eine vielfach mit Tabu belegte Vergangenheit zulassen.
Olympische Spiele sind seit jeher große Umwälzmaschinen – von Glanz und Geld. Die Spiele in Peking werden ein Olympia neuen Typus zwischen Sein und Schein, ein Megafest der Wunschannahmen, Klischees und gediegenen Illusionen, eine bizarre Mischung aus Trickkiste und Selbstbedienungsladen. Ein vorläufiger Kulminationspunkt von Kommerz, Betrug und Machtgewissheit. Peking 2008 wird uns einen Eindruck davon geben, dass wir Spiele so nicht mehr weiterspielen können. Genau darin scheint seine Funktion zu liegen.
Wofür die architektonischen Symbole der chinesischen Hauptstadt stehen werden, hängt davon ab, wie sich das Land in den nächsten 20 Jahren entwickelt. Wenn der Machtanspruch der Kommunisten überwunden wird, sind sie prädestiniert zu Ikonen des Anfangs. Versinkt China im ökologischen und sozialen Chaos, werden sie zu Denkmälern politischen Irrsinns.
Ines Geipel, 1960 in Dresden geboren, war Leistungssportlerin und wurde Anfang der Achtzigerjahre Mitglied der Leichtathletik-Nationalmannschaft der DDR. Nach einigen Jahren gab sie ihre Sportlerinnen-Karriere auf und studierte Germanistik in Jena, 1989 floh sie in die Bundesrepublik, studierte in Darmstadt Philosophie. Heute lebt Ines Geipel in Berlin und Darmstadt. Sie ist Professorin für Verssprache an der Hochschule für Theaterkunst Ernst Busch in Berlin und unterrichtet an der Hochschule für Film und Fernsehen in Babelsberg. Sie arbeitet zugleich am von ihr gegründeten Archiv für unterdrückte DDR-Literatur. Veröffentlichungen: „Die Welt ist eine Schachtel. Vier Autorinnen in der frühen DDR“ (Hg.); „Das Heft“; „Verlorene Spiele. Journal eines Doping-Prozesses“; „Dann fiel auf einmal der Himmel um“; „Für heute reicht’s. Amok in Erfurt“.
Bei allem philosophischen Feinsinn für die beiden schon jetzt legendären Großbauten sieht es nun aber so aus, als ob am Ende der ganzen Bauspektakel ein Novum im Zentrum der chinesischen Hauptstadt den beiden Bau-Ikonen noch den Rang abläuft: der CCTV-Tower, die Zentrale für das Staatsfernsehen, deren aberwitzige Form dem Betrachter den Atem nimmt. Im Grunde sind es zwei Türme, die so zueinander geneigt sind, dass sie sich halten, obwohl sie so aussehen, als ob sie jeden Moment in sich zusammenbrächen.
Da sie das nicht tun, scheint die Konstruktion jener gigantischen Mammutschleife so ziemlich allem zu widersprechen, was man bisher über die Statik zu wissen glaubte. Offenbar ist es genau dieses irreguläre Spiel der Kräfte, das den Tower jetzt zum geeigneten Sinnbild für den Zustand des Landes macht. Eine imperiale Quadratur des Kreises, ein Bauwerk kolossalen Widerspruchs, das demonstriert, was dieses China sein will und dadurch zwangsläufig fragt: Was ist es wirklich? Was trägt es? Was lässt es auseinander treiben? Wohin will es? Was wird es sein, wenn die Olympiatouristen wieder über alle Berge sind? Was können die Olympischen Spiele für die politische Zukunft des Landes bewirken? Werden sie – wie vielfach beschworen – zum Katalysator einer neuen chinesischen Freiheit oder eher ein makabres Ferment für den Größenwahn einer Diktatur?
Bei allem Bauboom in Peking haben vor allem kritische chinesische Architekten immer wieder auf die Gefahren der Auslöschung des Stadtgedächtnisses hingewiesen. Wenn sich das Leben der Menschen nur noch am Superlativ der Novi orientiert, fällt die Geschichte ins Loch, wird die um- und umgebaggerte Stadt zur Zentrale des Vergessens. Man muss schon lange laufen, um in einem der wenigen verbliebenen Hutongs das alte Peking aufzuspüren, jenes Biotop der Gassen und Hinterhöfe, Stimmen und Gerüche, der Gesichter der Alten, die vor ihren Häusern sitzen. Sie sind es zuerst, die wie Scharniere den Blick in eine vielfach mit Tabu belegte Vergangenheit zulassen.
Olympische Spiele sind seit jeher große Umwälzmaschinen – von Glanz und Geld. Die Spiele in Peking werden ein Olympia neuen Typus zwischen Sein und Schein, ein Megafest der Wunschannahmen, Klischees und gediegenen Illusionen, eine bizarre Mischung aus Trickkiste und Selbstbedienungsladen. Ein vorläufiger Kulminationspunkt von Kommerz, Betrug und Machtgewissheit. Peking 2008 wird uns einen Eindruck davon geben, dass wir Spiele so nicht mehr weiterspielen können. Genau darin scheint seine Funktion zu liegen.
Wofür die architektonischen Symbole der chinesischen Hauptstadt stehen werden, hängt davon ab, wie sich das Land in den nächsten 20 Jahren entwickelt. Wenn der Machtanspruch der Kommunisten überwunden wird, sind sie prädestiniert zu Ikonen des Anfangs. Versinkt China im ökologischen und sozialen Chaos, werden sie zu Denkmälern politischen Irrsinns.
Ines Geipel, 1960 in Dresden geboren, war Leistungssportlerin und wurde Anfang der Achtzigerjahre Mitglied der Leichtathletik-Nationalmannschaft der DDR. Nach einigen Jahren gab sie ihre Sportlerinnen-Karriere auf und studierte Germanistik in Jena, 1989 floh sie in die Bundesrepublik, studierte in Darmstadt Philosophie. Heute lebt Ines Geipel in Berlin und Darmstadt. Sie ist Professorin für Verssprache an der Hochschule für Theaterkunst Ernst Busch in Berlin und unterrichtet an der Hochschule für Film und Fernsehen in Babelsberg. Sie arbeitet zugleich am von ihr gegründeten Archiv für unterdrückte DDR-Literatur. Veröffentlichungen: „Die Welt ist eine Schachtel. Vier Autorinnen in der frühen DDR“ (Hg.); „Das Heft“; „Verlorene Spiele. Journal eines Doping-Prozesses“; „Dann fiel auf einmal der Himmel um“; „Für heute reicht’s. Amok in Erfurt“.