Ironische Wiedergeburten

30.11.2007
Ein verliebter Geisterpfeifenfisch. Eine spöttische Imperialgarnele. Eine schwatzhafte Kronenqualle und ein eitler Rotlippen Fledermausfisch. Insgesamt sieben betörend schöne Unterwasserwesen beleben Christoph Ransmayrs Bildergeschichte "Damen und Herren unter Wasser".
Damen und Herren sind sie, weil sie alle ein früheres Leben als Mensch schon hinter sich haben. Herr Blueher erzählt ihre Geschichten, ein Großflossen-Riffkalmar, der als Luftwesen jahrzehntelang Bilder behütete. Am meisten liebte er die Weltlandschaften der flämischen Malerei, Gemälde auf denen ein fernes Meer noch nicht zu sehen, aber schon zu ahnen ist.

Das Wasser selbst aber hasste dieser Nichtschwimmer, weil er von heftigen Schweißausbrüchen geplagt wurde und sich stets vor der endgültigen Verflüssigung fürchtete. Nachdem er das erste Erstaunen hinter sich hat, genießt er es nun, nach dem Ende seiner oberirdischen Existenz ins Meer versetzt zu sein. Und er macht es sich zu Aufgabe, nach anderen Verwandelten Ausschau zu halten.

Der Fischfunk hilft ihm dabei. "Vorwärts, blöder Gallertfetzen!" hört Herr Blueher es aus der Tiefe fluchen. Eine Imperialgarnele schimpft so auf die riesige Nacktschnecke, die ihr als Fortbewegungsmittel dient. Die Garnele, Herr Reddish, hat früher als Wasserbettverkäufer an der Oberfläche gelebt. Auf telepathischem Wege teilen sich nun seine Flüche, seine Drohreden und Erinnerungen Herrn Blueher und den anderen Verwandelten mit, Fischfunk eben.

Durch seine Geschichte entdeckt Herr Blueher das Gesetz ihrer Metamorphosen: wer Veränderungen scheute, der wurde in eine neue Gestalt gezwungen. Wer Wasser mied, sich vor Flüssigem ekelte, wer Seen und Meere hasste, der wurde mit Kiemen ausgestattet und in den Ozean versetzt. Alle neuen Wasserwesen folgen diesem Prinzip. Der Wasserbetthändler Herr Reddish fürchtete ein Leben lang das Platzen eines seiner Betten, was prompt in einer Hochzeitsnacht passierte. Die Kronenqualle, Frau Horange, zitterte in ihrem Leben als Schwimmlehrerin beim Gedanken, einer ihrer Schützlinge könnte ertrinken.

Der letzte der sieben, die schweigsame Nacktschnecke Greenfinch, war in seinem Luftleben ein Staudammbaumeister. Er musste Beruhigungsmittel nehmen gegen die Alpträume, in denen er seine Dämme bersten und riesige Flutwellen heranrollen sah. Alle sieben Wiedergeborenen sind nun im Medium ihrer größten Angst erlöst.

Christoph Ransmayr treibt hier ein berückendes Spiel mit dem alten Thema der Verwandlung. Mit den Metamorphosen der antiken Sagenwelt hatte Ransmayr sich schon vor fast 20 Jahren beschäftigt, in seinem Roman "Die letzte Welt", in dem er vom Exil des römischen Dichters Ovid erzählt.

Schon in diesem Buch war es um neue Vergegenwärtigungen der alten Verwandlungsgeschichten gegangen. Mit seinen Wassergeschichten nimmt Christoph Ransmayr das Thema auf eine sehr leichte und witzige Art wieder auf. Die Grausamkeiten der Unterwasserwelt kommen durchaus vor, aber im Mittelpunkt stehen die ironischen Wiedergeburten der sieben Damen und Herren.

Gleichzeitig kommentiert Christoph Ransmayr damit die traumverlorenen Unterwasserfotografien seines Freundes Manfred Wakolbinger. Seine sieben Farbtafeln zeigen die bizarr schimmernde Schönheit der Meeresgeschöpfe, von denen Ransmayr in schönster Gelassenheit erzählt.


Rezensiert von Frank Meyer


Christoph Ransmayr: Damen und Herren unter Wasser. Eine Bildergeschichte nach sieben Farbtafeln von Manfred Wakolbinger
S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2007, 85 Seiten, 16 Euro