Irland vor dem EU-Referendum

Moderation: Jörg Degenhardt · 11.06.2008
Am Donnerstag stimmen 4,3 Millionen Bürger Irlands über den EU-Reformvertrag ab. Irland ist das einzige Mitgliedsland in der EU, das mittels Referendum über den Staatenpakt entscheidet. Der Ausgang ist ungewiss, ein knappes Nein möglich. Sollten die Iren den vorliegenden Vertrag ablehnen, muss die EU dem Land eine zweite Chance zur Abstimmung einräumen, schlägt der Europa-Politiker Jo Leinen (SPD) vor.
Jörg Degenhardt: Gleich sein erstes Spiel ist ein Finale. Zwar geht es jetzt nicht um Fußball, sondern um Europa – genauer gesagt um Irland. Erst seit rund einem Monat ist Brian Cowen irischer Premierminister. In der ersten politischen Schlacht seiner Amtszeit geht es um nichts weniger als um die Zukunft der Europäischen Union, denn seine Landsleute stimmen morgen über den Vertrag von Lissabon ab, der die gescheiterte EU-Verfassung ersetzen soll. Sollten die EU-Gegner gewinnen – und das könnte passieren -, wäre das für ihn eine herbe Niederlage: innenpolitisch und im Kreis der europäischen Staats- und Regierungschefs. Aber so weit ist es noch nicht.
Jo Leinen ist der Vorsitzende des Verfassungsschutzausschusses des EU-Parlaments. Der SPD-Politiker ist jetzt bei uns am Telefon. Guten Morgen Herr Leinen!

Jo Leinen: Guten Morgen, Herr Degenhardt.

Jörg Degenhardt: Irland hat ja viel von Europa profitiert. Wird das letztlich den Vertrag von Lissabon retten, sprich werden die EU-Befürworter am Ende doch die Nase vorn haben?

Jo Leinen: Die Partner in der EU haben in der Tat viel Unterstützung und Solidarität für Irland gegeben. Irland ist ja seit 35 Jahren Mitglied in der EU. Man kann jetzt auch umgekehrt erwarten, dass Irland Loyalität gegenüber den anderen Ländern in der EU zeigt, das heißt, diesen Europavertrag nicht blockiert. Das ist die Erwartung und alles andere wäre eine Riesenenttäuschung.

Jörg Degenhardt: Haben Sie denn eine Erklärung für die Euroskepsis der Neinstimmer?

Jo Leinen: Es gibt bei Referenden zu Europaverträgen immer ein hohes Risikopotenzial. Erstens ist die Kommunikationspolitik über Europa nach wie vor eine Katastrophe. Die Menschen werden nicht kontinuierlich informiert und fühlen sich auch irgendwie nicht beteiligt. Zweitens wird bei so einem Referendum immer alles in einen Topf geworfen. Also alle Fragen, die gerade anliegen, kommen auf die Agenda und da ist es sehr leicht, eine Koalition des "Nein" zu bekommen. Alle die sich irgendwie unwohl fühlen, wollen der Politik einen Denkzettel geben und bei Europa ist es besonders leicht, weil es den Menschen manchmal auch etwas weiter weg erscheint. Das macht es auch in Irland so unsicher, wie das morgen da ausgeht.

Jörg Degenhardt: Nun kann man doch aber die Sorgen der Neinstimmer nicht vom Tisch wischen. Wenn ich zum Beispiel an die irischen Bauern denke, die Nachteile fürchten durch EU-Zusagen bei den Welthandelsgesprächen.

Jo Leinen: Die Bauern haben über Jahrzehnte enorm profitiert. Die Hälfte des EU-Haushalts sind Agrarsubventionen. Und wir erleben ja gerade in den letzten Monaten einen enormen Wandel in der Agrarpolitik, in der Agrarversorgung. Wir sehen, dass alles teuerer wird. Das heißt die Nachfrage ist erheblich gestiegen und die Bauern haben auch bessere Bedingungen, zu produzieren und zu verkaufen. Also das hängt nicht an dem Lissabon-Vertrag, der jetzt auf dem Tisch liegt, sondern wie Sie sagen, an der Welthandelsrunde. Das eine kann mit dem anderen gar nicht verknüpft werden, weil mit dem Lissabon-Vertrag geht es darum, die EU demokratischer zu machen und sie angesichts der jetzt 27 Mitgliedsstaaten auch handlungsfähig zu machen. Darum geht es!

Jörg Degenhardt: Wie ist das mit der niedrigen Unternehmenssteuer, der ja Irland zahlreiche Arbeitsplätze verdankt? Da gibt es die Sorge, dass es sich damit erledigt hat, wenn der Lissabon-Vertrag kommt.

Jo Leinen: In dem Lissabon-Vertrag ist die Steuerpolitik nach wie vor eine Politik, die einstimmig beschlossen werden kann. Irland hätte auch hier ein Veto, wenn es nicht mitmachen will. Es gibt keine Möglichkeit, Steuerharmonisierung durchzuführen, ohne dass alle 27 "Ja" sagen. Wobei es auch richtig ist, dass in einem Binnenmarkt Steueroasen ein Anachronismus sind. Wir haben lange gebraucht, die Zinsbesteuerung aneinander anzupassen oder ein System zu finden, wie Zinsen besteuert werden. Irgendwie gibt es auch ein, zwei andere relevante Steuern, die auf den Tisch müssen, worüber geredet werden muss.

Jörg Degenhardt: Die Iren haben schon einmal einen Vertrag, nämlich den von Nizza, gekippt. Was würde ein Nein jetzt, sprich morgen bei der Abstimmung, bedeuten?

Jo Leinen: Es würde die EU in eine Krise stürzen. Es würde die Europapolitik belasten. Vieles wird nicht vorangehen. Wir würden auch gegenüber den großen Akteuren in der Welt verlieren. China, Indien, auch Russland, auch die USA warten nicht, dass Europa sich einigt und klar ist, welchen Kurs es einnehmen will. Also Europa würde verlieren, auch die Menschen in Europa. Man kann das nicht wollen!
Wenn alle anderen ratifizieren, wenn also 26 Länder ratifizieren und nur ein Land nein sagt, dann kann es gar nicht anders sein, als dass dieses Land noch mal gefragt wird, ist das wirklich euer letztes Wort. Irland hat ja schon mal Nein gesagt beim Nizza-Vertrag und ist gefragt worden, was ist euer Problem? Man hat dann klar gestellt: Irland ist ein neutrales Land, braucht nicht an Militäroperationen teilzunehmen. Und bei der zweiten Abstimmung haben dann 70 Prozent Ja gesagt. So ein Szenario muss ich mir jetzt auch vorstellen. Wenn Irland Nein sagt, kann das nicht das Ende des neuen Vertrages sein, sondern das Land wird noch mal befragt: was ist euer Problem, wie können wir euch helfen? Und dann: letztendlich hilft es nichts. Da Irland in der Verfassung eine Volksabstimmung erfordert, müsste tatsächlich die Bevölkerung ein zweites Mal gefragt werden.

Jörg Degenhardt: Nur Herr Leinen, damit ich Sie richtig verstanden habe. Bei einem möglichen Nein morgen in Irland sind Sie dafür, dass der Ratifizierungsprozess in den anderen Ländern erst mal fortgesetzt wird?

Jo Leinen: Ja, sicher! Wir haben bereits zwei Drittel der Länder, die ratifiziert haben. 18 haben bereits Ja gesagt. Sechs weitere wollen noch vor der Sommerpause Ja sagen. Wir wären also bei 24 Ländern, die bereits diesen Vertrag gut finden. Drei Länder fehlen noch. Darunter dann das irische Nein, wenn wir mal davon ausgehen, das geht schief morgen. Es fehlen dann nur noch Schweden und die tschechische Republik. Auch dort ist das Ja wahrscheinlich. Es kann gar nicht sein, dass 26 Ja sagen und einer sagt Nein und die 26 werden in ihrem politischen Willen blockiert, Europa weiter zu einigen. Juristisch ist das alles schwierig, aber politisch kann ich mir nicht vorstellen, dass dies das Ende des Lissabon-Vertrages wäre.

Jörg Degenhardt: Vielen Dank für das Gespräch vor der Abstimmung morgen in Irland. – Das war Jo Leinen. Er ist der Vorsitzende des Verfassungsausschusses des EU-Parlaments und die nicht ganz optimale Telefonleitung bitten wir zu entschuldigen.