Iris Wolff: "Die Unschärfe der Welt"

    Momentaufnahmen aus einer untergegangenen Welt

    Straßenszene in der rumänischen Stadt Sibiu (Hermannstadt): ein Kind schaut hinaus in den Regen.
    In ihren Romanen schreibt Iris Wolff über ihre rumänische Heimat und über die deutsche Minderheit dort. © picture alliance / AP Photo / Vadim Ghirda
    Moderation: Jörg Plath · 17.10.2020
    Auch das neue Buch von Iris Wolff hat mit Siebenbürgen zu tun, dem Teil Rumäniens, in dem sie geboren wurde. Der Roman erzählt von vier Generationen, die trotz oder gerade wegen der geografischen Entfernung ihren Zusammenhalt bewahren.
    Iris Wolff erzählt einen Teil des 20. Jahrhunderts – die Zeit zwischen der Herrschaft des rumänischen Königs Michael und dem Sturz des Ceaușescu-Regimes – als Familiengeschichte. Schauplatz und Echoraum sind dabei Siebenbürgen und das Banat. "Die Unschärfe der Welt" ist ein Zeitroman in Momentaufnahmen, ein Epochenroman. Aber auch ein Roman, der um Identität kreist, der aus verschiedenen Perspektiven erzählt. Nicht zuletzt ist es, wie die Autorin sagt, "auch ein Roman über das Schreiben und die Rolle der Kunst".
    Auf der Homepage von Iris Wolff steht der Satz: "Man kann sich immer entscheiden, welche Geschichte man erzählen will." Und trotzdem erzählen alle ihre Bücher auf die eine oder andere Weise von Rumänien. Warum ist das so? Iris Wolff, die in Hermannstadt geboren wurde und 1985 als Achtjährige mit ihren Eltern nach Deutschland kam, antwortet so:
    "Ich habe mir die Frage auch gestellt, ob meine Geschichten mich immer an die Orte meiner Herkunft führen werden. Inzwischen habe ich den Verdacht, dass das daran liegt, dass es eine verlorene Welt ist – eine Welt, die es nicht mehr gibt, weil die deutsche Minderheit fast vollständig ausgewandert ist. Indem ich darüber schreibe, betrete ich diese Welt mit Haut und Haaren. Ich stecke noch in dieser Welt drin, kann sie beschreiben und lebendig werden lassen."
    Mit Siebenbürgen sei auch eine Sprache verbunden und ein Weg der Figuren des Romans, der nicht unbedingt ihr eigener sei. Dieser Landstrich sei für sie eine besonders faszinierende Gegend, weil sie das Siebenbürgen vor 1989 noch selbst miterlebt habe. Aber er könne auch für die Gegenwart etwas Wichtiges zeigen:
    "Für mein Aufwachsen war zum Beispiel auch eine gewisse Mehrsprachigkeit und der Umgang mit verschiedenen Kulturen und Nationalitäten ganz selbstverständlich. Deswegen ist es nichts Rückwärtsgewandtes. Jedes gute Buch hat eine Vision für die Gegenwart und die Zukunft."

    Große Freiheit und wahrhaftige Bindung

    In dem Roman "Die Unschärfe der Welt" deckt Iris Wolff auf nur 213 Seiten sage und schreibe vier Generationen ab, die in Hermannstadt, im Banat und in Süddeutschland leben. Der Zusammenhalt dieser Generationen reißt trotz einer gewissen Befremdung nicht ab.
    Bücherherbst 2020 von Deutschlandfunk Kultur: Iris Wolff liest aus ihrem Buch "Die Unschärfe der Welt", Aufzeichnung der Sendung in der Bertelsmann Repräsentanz in Berlin
    Iris Wolff, geboren 1977 in Hermannstadt / Siebenbürgen, veröffentlichte 2017 den Roman "So tun, als ob es regnet".© Deutschlandradio / Christian Kruppa
    "Dadurch, dass die Figuren immer wieder auch Grenzen überwinden und sich in anderen Landschaften und unter anderen Menschen neu beheimaten müssen, wird der Zusammenhalt vielleicht gestärkt", sagt Iris Wolff. "Aber vielleicht liegt es auch daran, dass sie sich eine so große Freiheit geben. Ich bewundere die Leute in diesem Buch, weil sie es wirklich schaffen, sich nicht so viele Bilder von den anderen zu machen, was diese sein müssen. Daraus entsteht vielleicht letztendlich auch eine wahrhaftige Bindung."
    (cre)

    Iris Wolff: "Die Unschärfe der Welt"
    Klett-Cotta, Stuttgart 2020
    213 Seiten, 20 Euro

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