Irgendwo zwischen links, linksliberal und grün

Rezensiert von Hartwig Tegeler |
In Robert Gernhardts Theaterstück "Die Toscana-Therapie" geht es um Widersprüchlichkeiten, Selbstlügen und die uneingestandenen Machtattitüden der intellektuellen Klasse der Spät-68er. Das 1987 daraus entstandene Hörspiel liegt nun als Hörbuch vor.
Offen gestanden, um jetzt überhaupt weiter sprechen zu können, wissen Sie, muss ich, wirklich, weil sonst fühle ich mich nicht: Also ich müsste Sie – für die nächsten vier, fünf Minuten - jetzt wirklich duzen: Also Du, weißt Du, wie soll denn das sonst so voll authentisch rüberkommen. Das von damals.

Florian: "Hallo, ich bin der Florian. Und das ist die Sylvia. "
Gerhard: " Hallo! "
Sylvia: "Bist du der Gerhard. Ich bin die Sylvia. Und du bist die Karin. "
Karin: "Hallo! "
Gerhard: "Sie sind Freunde von Dieter? "

Ja, sind sie. - Und ich bin "der" Hartwig. Und "der" Gerhard und "die" Karin verbringen ihren Urlaub im toscanischen Domizil von Dieter, "dem" Dieter, du, weißt du. Alles ist ziemlich linksliberal, intellektuell und – verhalten – der Natur zugeneigt. Verhalten, weil natürlich die Toscana eine unglaubliche Landschaft ist, künstlerisch wertvoll et cetera. Aber so manches Naturvieh kann doch die Idylle torpedieren.

Gerhardt: "Was machst du denn da? "
Karin: "Hör dir das an? "
"Was? "
"Das! "
"Was das? "
"Das da! "
"Das klingt, als werfe jemand einen Stein an einen Baum. "
"Du kannst bei diesem Lärm schlafen?! "
"Nein, sonst wär ich ja nicht wach. Aber vielleicht könntest du diesen Lärm einstellen? "
"Seit wann bin ich eine Zikade und sitze auf einer Zypresse und lärme, lärme, lärme? "

Nächtens. Und tagsüber nervt die heimische Landbevölkerung mit der Arbeit im Olivenhain. Es ist Urlaub!

Karin: "Pflügt der schon wieder? "
Gerhardt: "Sieht nicht so aus.
Sondern?
Ich weiß nicht, was er tut.
Wieso, da ist eindeutig ein Traktor im Gelände. Und ein Traktor heißt, dass Daniello pflügt. Jedenfalls macht er Krach. Er könnte doch einmal in der Woche keinen Krach machen. "

Denn wo – bitte schön, Du, weißt Du – bleibt das bürgerliche Ruhebedürfnis der Metropolenflüchtigen.

Also, lassen wir das mit dem "Du". Es passt nicht mehr in die kühlen Jahre dieses neuen Jahrhunderts – es verweist sprachlich wie milieutypisch einfach weit, weit zurück. Robert Gernhardts DIE TOSCANA-THERAPIE ist zeitlich präzise zu lokalisieren – in den 80er Jahren des vorigen Jahrhunderts nämlich. Und Robert Gernhardt, Mitbegründer der TITANIC, einer von der NEUEN FRANKFURTER SCHULE, der Schriftsteller, der Sprachvirtuose und Satiriker, er analysiert sehr genau die Widersprüchlichkeiten, Selbstlügen und die uneingestandenen Machtattitüden dieser intellektuellen Klasse der Spät-68er, die sich irgendwo zwischen links, linksliberal und grün situiert hatten, und deren Lieblingsreiseziel eben diese wunderschöne Toskana war. Die 80er Jahre, das war die Zeit in der alten BRD, als das Nachrichtenmagazin DER SPIEGEL die Sommerloch-Interviews mit den Vertretern der "Toscana-Fraktion", mit Fischer oder Schröder oder Schily oder Lafontaine – als der noch in der SPD war – immer mit diesen signifikanten Fotos bebilderte, auf denen der Gesprächspartner mit kurzen Hosen vor dem Hintergrund der wunderschönen Toskana-Landschaft zu sehen war und die Welt erklärte. Man war – mit anderen Worten – klug, gebildet, hatte eine aufgeklärte bis revolutionäre Vergangenheit hinter sich, und vor allem das mit dem herrschaftsfreien Diskurs – in Klammern: Jürgen Habermas – hatte man echt verstanden. Und das mit dem Feminismus sowieso. Theoretisch! Vom Anspruch her!

Gerhard: "Ich halte das Foto für ein ungemein gefährliches Medium. "
Sylvia: "Das fand ich jetzt nicht richtig, dass du den ganzen Abwasch gemacht hast. "
Gerhard: "Mit Fotos kann man mittlerweile besser lügen als mit Worten. "
Karin: "Ich hab´ aber Lust gehabt, den Abwasch zu machen. Ich hasse es, wenn man nächsten Morgen alles dreckig rumsteht. "
Gerhard: "Es vermittelt den Eindruck des direkten, nicht vermittelten Realitätstransfers. "
Karin: "Du hättest ihn natürlich auch machen können, ich hätte dich nicht gehindert. "

Konkurrenz, Machtgehabe, sprachliche Luftblasen, die wiederum nur dem anderen eines auswischen wollen: Alle Lügen, Lebenslügen, jedes Betroffenheitsgelaber und intellektuelles Gehabe entlarvt Robert Gernhardt in DIE TOSCANA-THERAPIE mit Vergnügen, Häme und präziser Satire. Die sich hier zwischen intellektuellem Lebensanspruch und banaler Realität hin und her winden, hatten einst den "Muff von 1000 Jahren" unter den Talaren der Macht entlarvt. Aber nun, knapp 20 Jahre später, muffelt es bei ihnen selbst ganz geheuer. Genau wie bei den Konservativen. Autoritäten gab es natürlich schon lange wieder. Dieter, das Gespenst, Hausbesitzer, mein Gott, wenn er entdeckt, dass der Durchlauferhitzer kaputt ist und dass Florian und Sylvia und der versoffene Möchtegernliterat Viktor sich eingenistet haben.

Gerhard: "Dieter. Dieter, wie hatten dich gar nicht so früh erwartet. "
Dieter: "Nicht bin ich hier zu zweifeln, nicht zu richten. Im Gegenteil, ich will die Wogen glätten, und was zu retten ist zu retten. "

Übrigens: Otto Schily, wahrscheinlich Noch-Innenminister, der einst als Anführer der "Toscana-Fraktion" galt, hat gewarnt: Toscana, "Toscana-Fraktion" und dies alles, das sei kein Synonym für Luxus. Es gehe ums einfache Leben. Das sagte er, bevor - nach der Kohl-Ära - dieses politisch-kulturelle Milieu die Berliner Republik zu prägen begann. Keine Ahnung, ob nach dem wahrscheinlichen Wahlausgang bei der wahrscheinlichen Bundestagswahl im Herbst für viele wieder mehr Zeit in der Toscana fürs einfache Leben zur Verfügung steht.

1987 schrieb Robert Gernhardt sein Theaterstück DIE TOSCANA-THERAPIE; 1989 – im Wendejahr – hat Götz Naleppa diese immer wieder saukomische Hörspieladaption inszeniert. Gut anderthalb Jahrzehnte danach – mit dem nahenden Ende des Rot-Grünen Modells – kann der Gernhardtsche Text unter seiner ironisch-satirischen Oberfläche als historische Diagnose gelesen [und gehört] werden – oder auch: als Abgesang auf einen sozialpsychologisch und machtpolitisch erschöpften Zeitgeist.
Robert Gernhard: "Die Toscana-Therapie"
Hörspielbearbeitung und Regie: Götz Naleppa
Mit: Udo Samel, Angelika Thomas, Slyvester Groth, Gerd Wameling u. a.
Produktion: RIAS Berlin 1989
Erschienen (Wiederveröffentlichung): HörVerlag München
Laufzeit 87 Minuten