"Irgendwie gibt es eine höhere Gerechtigkeit"
Der Schriftsteller Edgar Hilsenrath hat die aufklärende Funktion der Literatur hervorgehoben. "Die Literatur, glaube ich, kann die Welt nicht verändern. Aber sie klärt auf", sagte Hilsenrath, der am 2. April seinen 80. Geburtstag beging. Sein neues Buch "Berlin Endstation" sei ein Roman über seine Rückkehr nach Berlin aus Amerika: "Es ist nicht 100 Prozent autobiographisch, also so 70 Prozent, und der Rest ist Fiktion."
Holger Hettinger: Der Schriftsteller Edgar Hilsenrath ist heute 80 Jahre alt geworden. Er lebt in Berlin. Eine lange, unfreiwillige Reise hat ihn dorthin geführt. 1926 als Kind jüdischer Eltern in Leipzig geboren, 1938 vor den Nationalsozialisten in die Bukowina geflohen, dann in einem jüdischen Ghetto in der Ukraine gefangen, 1944 von den Russen befreit, nach Palästina ausgewandert, dann nach Frankreich und nach Amerika. Seit 1975 lebt er in Berlin. Jetzt ist er am Telefon von Fazit. Ich grüße Sie, Herr Hilsenrath. Alles Gute zum Geburtstag Ihnen.
Edgar Hilsenrath: Danke Ihnen.
Hettinger: Herr Hilsenrath, in wenigen Wochen erscheint Ihr neues Buch, das den Titel hat: "Berlin Endstation". Ist es so gemeint, dass Sie in Berlin so etwas wie Heimat gefunden haben?
Hilsenrath: Also "Berlin Endstation" ist ein Roman über meine Rückkehr nach Berlin aus Amerika. Es ist nicht 100 Prozent autobiographisch, also so 70 Prozent autobiographisch, und der Rest ist Fiktion.
Hettinger: Welche besonderen Erinnerungen und Momente sind denn signifikant für Sie, die Sie hier in diesem Buch literarisch verarbeitet haben?
Hilsenrath: Also ich bin ja in Wirklichkeit '75 nach Berlin zurückgekommen, aber der Roman fängt mit dem Mauerfall an, also '89. Da komme ich zurück, und es sind meine Begegnungen mit Menschen in Berlin und dann Rückblicke in die Vergangenheit, Rückblick an den Krieg und an das Ghetto und an die Flucht und so weiter und dann immer zurück in die Gegenwart.
Hettinger: War das so etwas auch wie die Wiederbegegnung mit einer verlorenen Heimat?
Hilsenrath: Also meine Heimat war ja eigentlich Halle an der Saale. Ich war ja nie in Berlin. Berlin ist meine zweite Heimat.
Hettinger: Hat die Literatur Ihnen auch geholfen, innerlich etwas Fuß zu fassen?
Hilsenrath: Also meine Bindung war vor allem an die deutsche Sprache, weil in der Bukowina - und Bukowina war ehemaliges Österreich, und die Umgangssprache der Bevölkerung war deutsch - in der Bukowina habe ich eigentlich die deutsche Sprache wieder gefunden als meine Sprache.
Hettinger: Sie sind mit vielen Ehrungen bedacht worden, mit dem Alfred-Döblin-Preis, dem Hans-Sahl-Preis und mit vielen anderen Auszeichnungen. In den dazugehörigen Laudationes liest man solche Sätze wie: Einer der wenigen Gerechten, solange es sie gibt, wird die Welt nicht untergehen. Finden Sie sich wieder in solchen Formulierungen?
Hilsenrath: Ja, die Preise haben mir natürlich ein bisschen zu meiner Anerkennung geholfen. Aber meine Bücher waren ja eine Zeit lang in Deutschland verpönt, weil die ja ein Tabu gebrochen haben. Ich habe den Holocaust teilweise grotesk und satirisch behandelt, und habe ein Tabu gebrochen damit. Aber jetzt ist es irgendwie, … die Zeiten haben sich geändert und die Bücher sind jetzt voll akzeptiert.
Hettinger: In Zeichen der political correctness hat man schon so ein bisschen ein beklemmendes Gefühl, wenn man die Schrecklichkeiten des Holocaust in ironischer Brechung, angereichert mit schwarzem Humor, erlebt, so wie das oft in Ihren Büchern geschieht. Ich denke da zum Beispiel an ihr wohl bekanntestes Buch "Der Nazi und der Friseur", also die Geschichte eines Nazischergen, der die Identität eines seiner Opfer annimmt. Das war in der Tat lange Zeit starker Tobak. Sie sagen, die Zeichen haben sich geändert. Was ist denn da passiert, dass die Schilderungen von Ihnen anscheinend jetzt gelassener aufgenommen werden?
Hilsenrath: Ich glaube, es hängt damit zusammen, dass eine neue Generation jetzt da ist, und die mehr Distanz hat zu dem ganzen Geschehen. Die ist weniger befangen, als die erste Generation der Nazi und die zweite.
Hettinger: Ist diese Unbefangenheit für Sie eine positive Qualität?
Hilsenrath: Eine positive, ja. Weil ich habe nicht gerne, wenn man mich als Unikum behandelt, weil ich zufällig Jude bin, sondern ich möchte, dass ich behandelt werde, wie alle anderen Menschen.
Hettinger: Der Literaturbetrieb hat sich ein wenig verschlossen gezeigt Ihnen gegenüber. Was man auch kaum verstehen kann, ist, dass Ihre Bücher eigentlich nicht verfilmt wurden, obwohl diese Geschichten ja so plastisch, so anschaulich sind und so stark, von der Beziehung der Personen untereinander leben, dass es sich quasi anbietet. Warum ist das so?
Hilsenrath: Also wir hatten mehrere Filmangebote. Aber die hatten, die sind immer aus Geldmangel gescheitert. Aber jetzt wird "Der Nazi und Friseur" verfilmt. Und zwar von der großen Firma "X Filme". Und das wird ein internationaler Film. Es wird allerdings zwei, drei Jahre dauern, bis er auf die Bühne kommt.
Hettinger: Wenn man Porträts von Ihnen liest, Artikel, die sich mit Ihnen beschäftigen, dann wird dort immer ganz nachdrücklich betont, Sie seien nie glücklich. Stimmt das?
Hilsenrath: Nie glücklich?
Hettinger: Ja, das kann man oft lesen. Sie seien so der große Nachdenkliche, der große Verschlossene, dem Humor und Glück eigentlich fremd geblieben sind im Leben. Ist das wahr? Ich kann es kaum glauben.
Hilsenrath: Also Humor, ich habe meinen Humor meistens in der Literatur. Privat bin ich eigentlich eher ernst.
Hettinger: Mit Sicherheit natürlich auch Folge Ihres biographischen Weges oder?
Hilsenrath: Also ich hatte als Jugendlicher überhaupt keinen Humor. Den Humor habe ich erst nach dem Krieg bekommen und zwar, weil es die einzige Möglichkeit war, um alle bösen Erinnerungen zu verkraften, durch eine Art Galgenhumor.
Hettinger: Der sich natürlich auch in ironischer Überhöhung durch Ihre Bücher zieht. Im Buch "Das Märchen vom letzten Gedanken" fokussieren Sie den Völkermord an den Armeniern. Und der Held Thovma Khatisian lässt da durchklingen, dass so etwas wie späte Gerechtigkeit den Lauf der Welt ausmacht. Spricht da auch ein bisschen Edgar Hilsenrath daraus?
Hilsenrath: Ja, es ist meine Ansicht, die Welt ist zwar böse aber nicht so böse. Das heißt, die Nazis haben ja auch den Zweiten Weltkrieg verloren. Und irgendwie gibt es eine höhere Gerechtigkeit, aber was sie ausmacht, weiß ich nicht. Ich selber glaube nicht an einen persönlichen Gott. Aber irgendwie werden die Dinge doch gerechter gelöst.
Hettinger: Welche Rolle spielt denn die Literatur an der Herstellung dieser höheren Gerechtigkeit?
Hilsenrath: Die Literatur, glaube ich, kann die Welt nicht verändern. Aber sie klärt auf. Und das ist schon wichtig, dass Leute lesen, und vor allem die wichtigen Bücher lesen.
Hettinger: Ich habe gelesen, dass Sie seit zwei Jahren nicht mehr schreiben. Kann ich daraus schlussfolgern, dass für Sie nun alles aufgeschrieben ist?
Hilsenrath: Also mein letztes Buch ist vor zwei Jahren zu Ende geschrieben worden, kommt auch jetzt raus. Ich habe in den letzten zwei Jahren nichts mehr geschrieben. Aber es kann sein, dass ich wieder schreibe. Aber das dauert immer bei mir.
Hettinger: Der Schriftsteller Edgar Hilsenrath am Telefon von Fazit. Heute ist er 80 Jahre alt geworden. Ich danke Ihnen schön.
Hilsenrath: Bitte.
Edgar Hilsenrath: Danke Ihnen.
Hettinger: Herr Hilsenrath, in wenigen Wochen erscheint Ihr neues Buch, das den Titel hat: "Berlin Endstation". Ist es so gemeint, dass Sie in Berlin so etwas wie Heimat gefunden haben?
Hilsenrath: Also "Berlin Endstation" ist ein Roman über meine Rückkehr nach Berlin aus Amerika. Es ist nicht 100 Prozent autobiographisch, also so 70 Prozent autobiographisch, und der Rest ist Fiktion.
Hettinger: Welche besonderen Erinnerungen und Momente sind denn signifikant für Sie, die Sie hier in diesem Buch literarisch verarbeitet haben?
Hilsenrath: Also ich bin ja in Wirklichkeit '75 nach Berlin zurückgekommen, aber der Roman fängt mit dem Mauerfall an, also '89. Da komme ich zurück, und es sind meine Begegnungen mit Menschen in Berlin und dann Rückblicke in die Vergangenheit, Rückblick an den Krieg und an das Ghetto und an die Flucht und so weiter und dann immer zurück in die Gegenwart.
Hettinger: War das so etwas auch wie die Wiederbegegnung mit einer verlorenen Heimat?
Hilsenrath: Also meine Heimat war ja eigentlich Halle an der Saale. Ich war ja nie in Berlin. Berlin ist meine zweite Heimat.
Hettinger: Hat die Literatur Ihnen auch geholfen, innerlich etwas Fuß zu fassen?
Hilsenrath: Also meine Bindung war vor allem an die deutsche Sprache, weil in der Bukowina - und Bukowina war ehemaliges Österreich, und die Umgangssprache der Bevölkerung war deutsch - in der Bukowina habe ich eigentlich die deutsche Sprache wieder gefunden als meine Sprache.
Hettinger: Sie sind mit vielen Ehrungen bedacht worden, mit dem Alfred-Döblin-Preis, dem Hans-Sahl-Preis und mit vielen anderen Auszeichnungen. In den dazugehörigen Laudationes liest man solche Sätze wie: Einer der wenigen Gerechten, solange es sie gibt, wird die Welt nicht untergehen. Finden Sie sich wieder in solchen Formulierungen?
Hilsenrath: Ja, die Preise haben mir natürlich ein bisschen zu meiner Anerkennung geholfen. Aber meine Bücher waren ja eine Zeit lang in Deutschland verpönt, weil die ja ein Tabu gebrochen haben. Ich habe den Holocaust teilweise grotesk und satirisch behandelt, und habe ein Tabu gebrochen damit. Aber jetzt ist es irgendwie, … die Zeiten haben sich geändert und die Bücher sind jetzt voll akzeptiert.
Hettinger: In Zeichen der political correctness hat man schon so ein bisschen ein beklemmendes Gefühl, wenn man die Schrecklichkeiten des Holocaust in ironischer Brechung, angereichert mit schwarzem Humor, erlebt, so wie das oft in Ihren Büchern geschieht. Ich denke da zum Beispiel an ihr wohl bekanntestes Buch "Der Nazi und der Friseur", also die Geschichte eines Nazischergen, der die Identität eines seiner Opfer annimmt. Das war in der Tat lange Zeit starker Tobak. Sie sagen, die Zeichen haben sich geändert. Was ist denn da passiert, dass die Schilderungen von Ihnen anscheinend jetzt gelassener aufgenommen werden?
Hilsenrath: Ich glaube, es hängt damit zusammen, dass eine neue Generation jetzt da ist, und die mehr Distanz hat zu dem ganzen Geschehen. Die ist weniger befangen, als die erste Generation der Nazi und die zweite.
Hettinger: Ist diese Unbefangenheit für Sie eine positive Qualität?
Hilsenrath: Eine positive, ja. Weil ich habe nicht gerne, wenn man mich als Unikum behandelt, weil ich zufällig Jude bin, sondern ich möchte, dass ich behandelt werde, wie alle anderen Menschen.
Hettinger: Der Literaturbetrieb hat sich ein wenig verschlossen gezeigt Ihnen gegenüber. Was man auch kaum verstehen kann, ist, dass Ihre Bücher eigentlich nicht verfilmt wurden, obwohl diese Geschichten ja so plastisch, so anschaulich sind und so stark, von der Beziehung der Personen untereinander leben, dass es sich quasi anbietet. Warum ist das so?
Hilsenrath: Also wir hatten mehrere Filmangebote. Aber die hatten, die sind immer aus Geldmangel gescheitert. Aber jetzt wird "Der Nazi und Friseur" verfilmt. Und zwar von der großen Firma "X Filme". Und das wird ein internationaler Film. Es wird allerdings zwei, drei Jahre dauern, bis er auf die Bühne kommt.
Hettinger: Wenn man Porträts von Ihnen liest, Artikel, die sich mit Ihnen beschäftigen, dann wird dort immer ganz nachdrücklich betont, Sie seien nie glücklich. Stimmt das?
Hilsenrath: Nie glücklich?
Hettinger: Ja, das kann man oft lesen. Sie seien so der große Nachdenkliche, der große Verschlossene, dem Humor und Glück eigentlich fremd geblieben sind im Leben. Ist das wahr? Ich kann es kaum glauben.
Hilsenrath: Also Humor, ich habe meinen Humor meistens in der Literatur. Privat bin ich eigentlich eher ernst.
Hettinger: Mit Sicherheit natürlich auch Folge Ihres biographischen Weges oder?
Hilsenrath: Also ich hatte als Jugendlicher überhaupt keinen Humor. Den Humor habe ich erst nach dem Krieg bekommen und zwar, weil es die einzige Möglichkeit war, um alle bösen Erinnerungen zu verkraften, durch eine Art Galgenhumor.
Hettinger: Der sich natürlich auch in ironischer Überhöhung durch Ihre Bücher zieht. Im Buch "Das Märchen vom letzten Gedanken" fokussieren Sie den Völkermord an den Armeniern. Und der Held Thovma Khatisian lässt da durchklingen, dass so etwas wie späte Gerechtigkeit den Lauf der Welt ausmacht. Spricht da auch ein bisschen Edgar Hilsenrath daraus?
Hilsenrath: Ja, es ist meine Ansicht, die Welt ist zwar böse aber nicht so böse. Das heißt, die Nazis haben ja auch den Zweiten Weltkrieg verloren. Und irgendwie gibt es eine höhere Gerechtigkeit, aber was sie ausmacht, weiß ich nicht. Ich selber glaube nicht an einen persönlichen Gott. Aber irgendwie werden die Dinge doch gerechter gelöst.
Hettinger: Welche Rolle spielt denn die Literatur an der Herstellung dieser höheren Gerechtigkeit?
Hilsenrath: Die Literatur, glaube ich, kann die Welt nicht verändern. Aber sie klärt auf. Und das ist schon wichtig, dass Leute lesen, und vor allem die wichtigen Bücher lesen.
Hettinger: Ich habe gelesen, dass Sie seit zwei Jahren nicht mehr schreiben. Kann ich daraus schlussfolgern, dass für Sie nun alles aufgeschrieben ist?
Hilsenrath: Also mein letztes Buch ist vor zwei Jahren zu Ende geschrieben worden, kommt auch jetzt raus. Ich habe in den letzten zwei Jahren nichts mehr geschrieben. Aber es kann sein, dass ich wieder schreibe. Aber das dauert immer bei mir.
Hettinger: Der Schriftsteller Edgar Hilsenrath am Telefon von Fazit. Heute ist er 80 Jahre alt geworden. Ich danke Ihnen schön.
Hilsenrath: Bitte.