Politologe über den Iran

"Die Islamische Republik ist nicht reformierbar"

09:42 Minuten
Proteste und Straßenchaos in Teheran am 21. September 2022.
Der Protest im Iran hält an – doch dass die Machtelite deswegen zerfällt, bezweifelt der Politologe Ali Fathollah-Nejad. © picture alliance / Anadolu Agency / Stringer
Ali Fathollah-Nejad im Gespräch mit Vladimir Balzer · 04.10.2022
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Wohin führen die Proteste im Iran? Der Politologe Ali Fathollah-Nejad glaubt nicht, dass das Regime leicht zu erschüttern ist - auch wenn sich das Lager der Unzufriedenen nun aus allen Schichten und Ethnien speist.
Ob die Proteste im Iran zu einer Revolution führen können, ist dem Politologen Ali Fathollah-Nejad zufolge ungewiss. Er geht eher nicht davon aus, dass die Machtstrukturen bröckeln werden: "Die Islamische Republik ist nicht reformierbar – deswegen gibt es gar nicht so viel Spielraum.“
In der modernen iranischen Geschichte seien die Universitäten immer an vorderster Front im Kampf gegen Diktatur und für Demokratie gewesen, betont der Politikwissenschaftler. Die Ausrichtung der Revolution bei der Absetzung des Schahs 1979 sei vor allem antiamerikanisch gewesen. Heute gehe es vor allem um Menschenrechte: „Die Freilassung von politischen Gefangenen gehört zu den wichtigsten Forderungen – ich glaube, die Studentenbewegung in Iran hat ihre Lehren aus der Geschichte gezogen.“

Arbeitslosigkeit führt zu Abwanderung

Studenten seien in den letzten vier Jahrzehnten die größte und wichtigste gesellschaftliche Basis von Protesten gewesen. Viele Studierende, wie auch die Jugend und die Frauen, seien arbeitslos, aber auch viele Graduierte, die aus der Mittelschicht kämen, drohten zu verarmen. Die einzige Chance in der Islamischen Republik aufzusteigen, sei loyal zum Regime zu sein – oder zu den richtigen Clans zu gehören.
Auch darum gingen mehr als 90 Prozent der Absolventen, etwa der renommierten Sharif-Universität in Teheran, ins Ausland. Dies zeige sehr deutlich, „dass die Leute mit ihren Füßen abstimmen und das Land verlassen“. Die Abwanderung sei mittlerweile auch ökonomisch bedeutend, erläutert Fathollah-Nejad. Nach iranischen Angaben übersteige der Verlust an Humankapital die jährlichen Einnahmen durch die Öleinnahmen.

Quer durch die Gesellschaft

Das Besondere an den aktuellen Protesten ist Fathollah-Nejad zufolge, dass sie Schichten- und Ethnien-übergreifend sind und es eine große Unterstützung durch iranische Prominente gibt: „Diese intersektionelle Allianz ist das, was gefehlt hat in den letzten Jahren.“
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