Iran

Facebook und Steinigungen

Von Matthias Küntzel · 07.11.2013
Er lächelt und ist in den sozialen Medien aktiv: Von dieser Charme-Offensive des iranischen Präsidenten Hassan Rohani lässt sich der Westen einlullen, glaubt der Publizist Matthias Küntzel. Er verweist auf die hohe Zahl von Hinrichtungen in Rohanis kurzer Amtszeit und dessen Ehrgeiz, Iran zum Atomstaat zu machen.
Seit hundert Tagen ist Irans neuer Präsident im Amt - ein Präsident, der anders als sein Vorgänger von Annäherung, Verständigung und Mäßigung spricht, der lächelt, der Englisch beherrscht und der offenkundig sogar Facebook benutzt. Sein Auftreten löst Begeisterung aus: In England wollten 75 Prozent der Leser einer großen Tageszeitung ihm den Friedensnobelpreis verleihen. Nach hundert Tagen lassen sich bei all der Euphorie aber auch die Fehler des Westens im Umgang mit diesem Präsidenten erkennen.

Der Fehler Nummer eins heißt Ignoranz: Man lässt sich von Rohanis Charme-Offensive blenden und übersieht die Scharfrichter-Offensive im Iran selbst. So wurden während der letzten hundert Tage 250 Iranerinnen und Iraner hingerichtet. Am 15. Oktober steinigte man vier Frauen in Teheran, am 26. Oktober wurden 16 inhaftierte Sunniten in einem Racheakt gehenkt.

Damit nicht genug. Am 20. Oktober verurteilte man vier Christen zu je 80 Peitschenhieben, weil sie beim christlichen Abendmahl Wein zu sich nahmen. Am 28. Oktober wurde die Tageszeitung "Bahar" geschlossen, weil sie "islamische Werte" verletzt haben soll. Fast gleichzeitig beschloss das Parlament in Teheran, dass Väter ihre Adoptivtöchter heiraten dürfen, sobald sie 13 sind. Der Westen aber - fasziniert von Rohanis Lächeln - sieht weg.

Fehler Nummer zwei ist das Wunschdenken: Man sieht in Rohanis neuem Auftreten eine Schwäche des Regimes. Unsere Sanktionen, so heißt es, sind derart erfolgreich gewesen, dass Teheran einlenken muss.

Doch von wegen! Denken Sie nur an die Beflissenheit, mit der US-Präsident Barack Obama anlässlich der letzten UN-Vollversammlung um einen Händedruck mit Rohani warb. Dieser schlug den Wunsch seines Kollegen aus und prahlte nach seiner Rückkehr über angeblich "fünf Einladungen", die er schon vor seiner Reise von Obama erhalten und die er alle zurückgewiesen habe.

Das Weiße Haus würde die Sanktionen gerne aussetzen
Washington als Bittsteller, Teheran hingegen selbstbewusst: "Wir können die USA und Israel auf dem diplomatischen Parkett besiegen", hat dieser Tage ein iranischer Parlamentssprecher erklärt. Gleichzeitig haben regimenahe Gruppen einen "Nieder-mit-Amerika"-Wettbewerb gestartet und Preisgelder für die besten antiamerikanischen Kunstwerke ausgesetzt - fest darauf vertrauend, dass Amerika auch diese Zumutung schluckt.

Das neue Selbstbewusstsein bekommen auch die Gesprächspartner Irans bei den Genfer Atomgesprächen zu spüren. Die Weltmächte müssten sich an Iran anpassen, nicht umgekehrt, hatte Außenminister Zarif schon im Vorfeld erklärt. Das Regime aber baut seine Kapazitäten unablässig weiter aus: Derzeit werden jeden Monat 600 neue Zentrifugen mit Turbogeschwindigkeit installiert.

Wie aber reagieren die USA?

Anstatt die Iran-Sanktionen zu verschärfen, setzt das Weiße Haus derzeit alle Hebel in Bewegung, um neue Sanktionsbeschlüsse des amerikanischen Kongresses zu verhindern. Dies aber ist der Fehler Nummer drei: Anbiederung. Teheran fühlt sich gerade deshalb so stark, weil es spürt, dass Washington die Konfrontation mit ihm scheut. Mit jedem einseitigen Entgegenkommen geben Obama und der Westen Positionen preis.

Wer ignorant ist, auf Wunschdenken setzt und Anbiederung praktiziert kann den Atomstreit nur verlieren. Sinnvolle Atomgespräche setzen voraus, dass der Iran die UN-Beschlüsse akzeptiert und seine Uran- und Plutoniumarbeiten - zumindest für die Dauer der Gespräche - stoppt. Weigert sich Teheran, muss die Weltgemeinschaft zeigen, dass sie stärker als die Mullahs ist.

Warum?

Weil ein Regime, das in seiner einen Hand den Gesteinsbrocken hält, mit dem es "Sünderinnen" steinigt, in seiner anderen Hand keinen Atomsprengkopf haben darf. Niemals und auf keinen Fall.
Matthias Küntzel, geboren 1955, ist Politikwissenschaftler, Pädagoge und Publizist in Hamburg. Sein Buch: "Die Deutschen und der Iran. Geschichte und Gegenwart einer verhängnisvollen Freundschaft" erschien 2009 im wjs-Verlag.
Dr. Matthias Küntzel, Politikwissenschaftler, Pädagoge und Publizist
Dr. Matthias Küntzel, Politikwissenschaftler, Pädagoge und Publizist© Privat