Irak

"Al-Maliki ist nicht bereit, Politik zu ändern"

Irakische Flüchtlinge fliehen aus der Stadt Mossul, die von der islamistischen Terrorgruppe Isis erobert wurde.
Irakische Flüchtlinge fliehen aus der Stadt Mossul, die von der islamistischen Terrorgruppe Isis erobert wurde. © picture alliance / dpa / Foto: Emrah Yorulmaz/Anadolu Agency
Guido Steinberg im Gespräch mit Ute Welty · 12.06.2014
Immer weiter drängt die islamistische Terrorgruppe Isis im Irak vor. Nach der Stadt Mossul marschieren die Truppen weiter Richtung Bagdad. Guido Steinberg von der Stiftung Wissenschaft und Poltik macht dafür die Politik von Regierungschef Nuri al-Maliki mitverantwortlich.
Ute Welty: Isis, das ist die Göttin der Geburt, der Magie und es ist die Göttin des Todes, und Tod, Verderb bringt auch Isis für den Irak und für Syrien als die wohl radikalste islamistische Gruppe im Nahen Osten. Die Organisation "Islamischer Staat im Irak und in Syrien" zeichnet zuletzt für die Erstürmung von Tikrit und Mossul verantwortlich. Das staatliche irakische Fernsehen berichtet, dass heute über Maßnahmen wie Ausgangssperre oder Medienzensur entschieden werden soll. Das alles beobachtet auch Guido Steinberg von der Stiftung Wissenschaft und Politik mit Sorge, er leitet dort die Forschungsgruppe, die für den Irak und die Region zuständig ist. Guten Morgen, Herr Steinberg!
Guido Steinberg: Guten Morgen, Frau Welty!
Welty: Wer oder was macht Isis aus, wer oder was ist die treibende Kraft?
Steinberg: Isis ist diejenige Organisation, die wir schon einmal kennengelernt haben seit 2004 als die irakische Al-Qaida. Man hat die immer als einen Al-Qaida-Ableger bezeichnet, so als unterstünde die Osama Bin Laden, der damals ja noch in Pakistan saß. Das war allerdings nicht so ganz korrekt, das war eine unabhängig Organisation, und die schickt sich jetzt unter der Führung eines Herrn, der sich al-Badri, also der Baghdada nennt, an, der Al-Qaida den Rang abzulaufen.
Welty: In der Berichterstattung gestern hieß es, Isis sei die Organisation, die sogar Al-Qaida zu radikal erscheint – stimmt das, kann man das so sagen?
Steinberg: Ja, es gab da eine öffentliche Auseinandersetzung über das Internet, über das Fernsehen zwischen dem Isis-Führer al-Badri und dem Al-Qaida-Führer, dem neuen Al-Qaida-Führer, Aiman az-Zawahiri, der in Pakistan vermutet wird. Und am Ende hat Zawahiri entschieden, dass Isis nicht mehr Teil des Al-Qaida-Netzwerkes ist, was die Organisation seit 2004 offiziell war, vor allem weil sie sich seinen strategischen Anweisungen nicht unterstellt hat und unter anderem, weil doch die Vorgehensweise von Isis ihm sehr viel zu brutal war.
Welty: Hängen die beiden Organisationen trotzdem noch zusammen, oder gibt es da tatsächlich mittlerweile eine strikte Grenzziehung?
"Machtkampf in der dschihadistischen Bewegung"
Steinberg: Da gibt es schon seit Jahren eine strikte Grenzziehung. Es gab lange keine Kontakte, und das dürfte schon seit 2008 etwa so gewesen sein. Da gab's nämlich eine Phase, als die Amerikaner glaubten, Isis beziehungsweise Al-Qaida im Irak unter Kontrolle zu bekommen. Die Organisation hatte große Probleme, und damals scheinen schon die Kontakte abgebrochen zu sein. Die wurden jetzt 2012, 2013 wieder aufgenommen, endeten aber im Streit. Möglicherweise gibt es da so etwas Kommunikation, aber letzten Endes haben wir es hier mit einem Machtkampf in der dschihadistischen Bewegung oder innerhalb der Al-Qaida zu tun.
Welty: Wenn heute über Maßnahmen entschieden wird, wie Ausgangssperre oder Medienzensur, ist damit Isis Herr zu werden?
Steinberg: Nein, ganz sicher nicht. Isis ist im Grunde eine schwache Organisation von wahrscheinlich nicht mehr als 10.000 Kämpfern, die Zahlen sind nicht so ganz genau bekannt. Dass der irakische Staat dieses Problems nicht Herr wird, liegt nicht an der Stärke des Gegners, sondern an der eigenen Schwäche. Der Ministerpräsident Maliki hat alles versucht in den letzten Jahren, die Sunniten im Land von der politischen Macht fernzuhalten, und deswegen stehen die im Moment abseits. Die mögen zwar Isis nicht, aber sie hassen die Regierung, und deswegen schauen sie zu, wie Isis vor allem sunnitisch dominierte Städte und Regionen einnimmt, wie beispielsweise Mossul, Tikrit, Falludscha, das alles sind sunnitische Städte.
Welty: Seit einem Jahr spitzt sich ja die Lage im Irak immer weiter zu – heißt das, dass der Einsatz vor allem der Amerikaner umsonst war?
Steinberg: Ja, in gewisser Weise ist da sehr, sehr vieles zunichte gemacht worden, was die Amerikaner dann in den letzten Jahren der Besatzung doch korrigiert haben, als sie ja zumindest in der Lage waren, den Aufstand zu beenden, Al-Qaida im Irak nicht ganz entscheidend zu schwächen. Und die Amerikaner versuchen seit ihrem Abzug Ende 2011 verzweifelt, den Ministerpräsidenten Maliki zu einer Politikänderung zu bewegen. Dazu ist er aber nicht bereit, und das wird sich in den folgenden Wochen erst zeigen, ob sie jetzt vielleicht ein offenes Ohr finden, wenn sie denn vielleicht auch militärisch helfen.
Welty: Was könnte denn al Maliki bewegen, auf die Amerikaner zuzugehen?
"Maliki ist nicht der richtige Mann"
Steinberg: Nun, wenn Maliki selbst fürchtet, die Macht zu verlieren, dann, denke ich, gibt es eine kleine Chance, dass er seine Politik ändert, aber meines Erachtens ist er nicht der richtige Mann für eine solche Politik. Er hat in den letzten Jahren gezeigt, dass er eine strikt schiitische Politik führt und nicht bereit ist, irgendwelche Konkurrenten – seien es Sunniten, Kurden oder Säkularisten – effektiv an der Macht zu beteiligen. Allerdings braucht er im Moment die Hilfe der Amerikaner. Er hat schon die Zusage bekommen vor einiger Zeit, militärisches Gerät geliefert zu bekommen, und ich denke, dass die jetzt versuchen werden, ein letztes Mal vielleicht versuchen werden, ihn zu einer Politikänderung zu bewegen. Ich bin da allerdings etwas skeptisch.
Welty: Das Einzige, was ja bisher geholfen hat gegen den Terror im Land, war massive Militärpräsenz. Als General Petraeus 30.000 zusätzliche Soldaten 2007 in den Irak geschickt hatte, war die Anzahl der Anschläge ja zurückgegangen. Müssen wir uns daran gewöhnen, dass es offenbar nur so geht?
"Petraeus hat einen militärisch-politischen Ansatz vertreten"
Steinberg: Nein, es ist nicht nur die Militärpräsenz damals gewesen. Es ist schon richtig, dass gegen solche Gruppierungen ein militärischer Ansatz richtig ist, aber Petraeus hat einen militärisch-politischen Ansatz vertreten. Und es ist in den USA damals gelungen, große Teile der sunnitischen Bevölkerung zumindest zur Neutralität zu bewegen, zu informieren über die Bewegungen der Terroristen, und das war ein Teil des großen Erfolges. Und es kommt nicht von ungefähr, dass im Moment einige sunnitische Politiker noch lauter nach einem Eingreifen der Amerikaner rufen, als das bei anderen Irakern der Fall ist. Also gerade die Vorgehensweise Petraeus' zeigt, dass man da einen kombinierten Ansatz braucht. Dazu war die irakische Regierung allerdings bisher nicht in der Lage, ich glaube, sie wird das auch in Zukunft nicht sein.
Welty: Klartext zur Lage im Irak von Guido Steinberg von der Stiftung Wissenschaft und Politik. Danke dafür!
Steinberg: Sehr gerne!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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