Iphigenie taucht ab

Von Florian Kellermann · 06.08.2006
Balaklawa auf der Krim war bis 1995 militärisches Sperrgebiet. Am Wochenende fand dort ein ungewöhnliches Kunstfestival statt. Ein ehemaliger unterirdischer U-Boot-Hangar der Sowjetarmee war Schauplatz für die Arbeiten 45 junger, experimenteller Künstler. In den Stollen zeigen sie alle Variationen der darstellenden Kunst.
Die romantische Felsenbucht von Balaklawa. Ein Ausflug mit dem Boot macht den Besuchern deutlich, warum sie so berühmt ist: Zwischen zwei überlappenden Landzungen gelegen ist sie vom Meer aus nicht einsehbar. Deshalb errichteten die Römer hier eine Festung, deshalb baute die Sowjetarmee in einem der Felsen einen überdimensionalen U-Boot-Hangar.

Am anderen Ende der Bucht eine Industrielandschaft. Muschel-Kalkstein wird abgebaut, weiterverarbeitet und Tag und Nacht auf Güterzüge verladen.

"Das Faszinierende an Balaklawa ist diese Konzentration von Geschichte, die man hier sehr stark spüren kann. Dass es diese beiden Pole gibt: die römische Festungsanlage auf der einen Seite, den U-Boot-Hangar auf der anderen Seite, den Eingang zum Hangar, den man als deutliches Zeichen und Ausdruck einer bestimmten Periode aus dem kalten Krieg aufnehmen kann. Wenn man sich durch Balaklawa bewegt, ist es so, als ob man in bestimmte Zeitschichten, einsteigt, die man auf einem Spaziergang verbinden kann."

Sebastian Kaiser aus Berlin fasziniert dieser Ort seit seinem ersten Besuch 2000. Über zwei Jahre hinweg bereitete er das Kunstprojekt im U-Boot-Hangar vor, in dem unterirdischen Labyrinth zwischen Torpedo-Lager, Schutzbunker und Trockendock.
Sein Ziel: Balaklawa seine kulturelle Bedeutung in der europäischen Geschichte wiederzugeben. Denn Balaklawa ist auch literarisch ein bedeutsamer Ort: So soll ein Kapitel der Odyssee hier spielen und der U-Boot-Hangar ist in den Fuß des Taurisbergs gegraben. Tauris: der mythologische Schauplatz der Iphigenie-Dramen von Goethe und Euripides.

"Das Problem in vielen osteuropäischen Ländern ist eben, dass es fast keine staatlichen Initiativen gibt, die kulturpolitische Akzente setzen. Das heißt, auch Balaklawa mit seiner Geschichte ist mehr oder weniger dem kommerziellen Alleingang ausgesetzt. Es eröffnet eine Bar nach der anderen, ist ein Yachtklub angesiedelt für die Haute-vole oder die neuen Reichen sowohl aus Russland aber auch aus der Ukraine. Und darin liegt natürlich eine Gefahr, weil man so die kulturellen Möglichkeiten einfach zuschüttet, die so ein Ort hat."

Die Geschichte von Balaklawa und der Krim war deshalb der Mittelpunkt, um den sich die insgesamt 20 Kunstprojekte drehten. Bei ihrem Gang durch die Gewölbe stießen die Besucher abwechselnd auf Installationen, Gesang, Theater, klassische Fotografie und Malerei. Ein Beispiel: das Projekt "Iphigenie underground” der Schweizer Schauspielerin Simona Sbaffi und des russischen Regisseurs Roman Marcholia. In einem ehemaligen Lagerraum für Nuklearwaffen zitierte Sbaffi in vier Sprachen aus dem Iphigenie-Mythos und suchte dabei nach dem, was die europäischen Kulturen verbindet.

Für Osteuropa war das Festival ein bisher einmaliges Projekt, sagt Roman Marcholia aus Moskau, der es gemeinsam mit Sebastian Kaiser organisierte.

"Performance-Projekte gibt es in Kiew und Moskau schon hin und wieder, aber das ist immer noch eine Randerscheinung. Die Kunst in Russland ist traditionell sehr akademisch, wenn man vom kurzen Leuchtfeuer der 20er Jahre absieht. Moderne Kunst, Media-Art, Video-Installationen, Performance, da stehen wir bisher noch stark unter dem Einfluss des Westens. Aber wir sind neugierig und lernen gerne von unseren Kollegen."

Eine Installation des Polen Aleksander Janicki projizierte Details aus dem Hangar überdimensional an eine Tunnelwand und verstärkt hier aufgenommene Töne. Lampen bringen die abblätternden Farbschichten einer Maschine zu skurriler Deutlichkeit. Ein verblichenes, an die Wand gepinseltes Leninzitat sticht aus der Dunkelheit: "Unsere Losung ist nur eine”, heißt es da, "die Kriegskunst auf die rechte Weise zu erlernen!”

Die Künstlerin und Kuratorin aus Moskau Natalija Poloka:
"Eigentlich war alles hier schon fertig. Die langen Korridore des Stollens, die Klänge verändern, schaffen schon ohne den Künstler eine einmalige Atmosphäre. Alles, was hier passiert, ist ein Spiel mit dem Raum. Ein riesiges Loch im Berg, das nur dafür geschaffen wurde, um Torpedos aufs offene Meer hinaus zu bringen."

Die militärische Geschichte des Objekts verarbeitete das Festival nicht nur symbolisch. Die Fotoausstellung eines Künstlers aus Sewastopol zeigte ehemalige Sowjetmilitärs, die hier gedient hatten.

Das Festival wurde von einer Konferenz begleitet. Ihr Thema: Kunst und Wissenschaft auf der Krim im europäischen Zusammenhang. Dabei war auch der Berliner Medientheoretiker Friedrich Kittler, der in seinem Vortrag auf die Militärgeschichte von Balaklawa einging.

"Mein Eindruck von der Krim ist, dass sie deshalb so spannend ist, weil sie aus Kontrasten besteht. Die Krim ist Meer, die Krim ist Sonne, die Krim ist Wald, die Krim ist Stein. Und zwischen allen diesen Urkräften entsteht eine unendliche Wechselwirkung, die sich darin zeigt, dass die Küstenlinie halt so schön wie bei Mandelbrot fraktal geformt ist. Wie Balaklawa: Das Meer geht ins Land hinein, das Land umfängt das Meer. Und so ähnlich ist es auch im Krieg mit seinen Umfassungsschlachten, Bewegungen und Energieaustauschen auf eine grässliche Weise, trotzdem maximale Energieelement der Geschichte."

Das Festival und die Konferenz haben gezeigt, wie viel gesamteuropäisches Erbe es in Osteuropa noch zu entdecken gibt. Zu hoffen wäre, dass die Künstler an ihrem Projekt festhalten und in Balaklawa ein kulturelles Zentrum auf der Krim entsteht.