Invasion in Down Under

Von Andreas Stummer |
Ganz Australien leidet unter einer Krötenplage. Die Rohrkröte frisst, was sie ins Maul bekommt und vermehrt sich völlig unkontrolliert. Weit über 100 Millionen Exemplare sollen mittlerweile das Land bevölkern. Ihr Gift kann für Mensch und Tier tödlich sein.
Es ist weit nach Mitternacht, fast ganz Queensland ist bereits im Bett – nur John Doyle nicht. Er schlurft mit Badeschlappen, Taschenlampe und einer Schaufel in der Hand durch seinen Garten am Ortsrand von Mission Beach. Seit die Rohrkröten in der Paarungszeit sind, hat John kein Auge zugetan. Der Lärm raubt ihm den Schlaf. Und damit haben die Kröten ihr Todesurteil unterschrieben.

Zwei der Biester weniger, die übrigen erledigt John eben ein andernmal. Ein schlechtes Gewissen hat er nicht, denn die Rohrkröte gilt in Australien als Pest. Ein Tier, das man besser nie ans Ende der Welt gebracht hätte.

Australien, Ende der 20er: Die Zuckerrohrfarmer in Queensland, im Nordosten des Landes, kämpfen mit einer Käfer-Plage. Die Larven der Insekten fressen die Felder kahl und vernichten die Ernte. Statt mit Chemikalien wollen die Farmer dem Käfer mit einer Kröte auf den Leib rücken: Mit "Bufo marinus", einem Breitmaul, das Jamaica von Ratten und Hawaii von Kakerlaken befreit hat. Aus Honolulu werden 105 der Tiere eingeflogen. Die Zuckerrohr-Farmer taufen sie "Cane Toads, zu Deutsch: "Rohrkröten".

Im Juni 1935 werden die Kröten in den Zuckerrohrfeldern freigesetzt. Ohne Erfolg. Die Kröten fressen alles andere – nur nicht die schädlichen Insekten. Der Zuckerrohrkäfer wird schließlich mit Pestiziden ausgerottet, die Kröten aber überlässt man ihrem Schicksal: Seitdem sind sie zur Landplage geworden. Ein Weibchen kann mehrmals pro Jahr bis zu 35.000 Eier legen, die geschlüpften Kaulquappen sind bereits nach zwölf Monaten geschlechtsreif. Aus den Augen und aus dem Sinn begannen die Rohrkröten die Invasion des fünften Kontinents.

Obwohl in Süd- und Zentralamerika beheimatet hat sich die Rohrkröte problemlos den so unterschiedlichen australischen Bedingungen angepaßt. Sie überlebt in tropischem Regenwald genauso gut wie in trockenen und kühleren Gebieten, in kargem Buschland und selbst in den Vororten von Städten. In Flußläufen und Teichen, Abwasserkanälen, Gärten oder Swimming Pools. Und was der Kröte dabei in die Quere kommt, fällt ihrem schier unstillbaren Appetit zum Opfer.

"Darmanalysen haben gezeigt, dass die Kröten alles fressen, was sich bewegt und klein genug ist, um in ihr Maul zu passen. Frösche, kleine Vögel, Insekten, Echsen, Krabben, Mäuse – einfach alles. Sie schnappen sogar nach hüpfenden Ping-Pong-Bällen. Für den Speisezettel der Kröten gilt: ob es lebt oder nicht – was in ihren Schlund passt, das versuchen sie zu fressen."

Der Zoologe Rob Floyd kennt keine perfektere Freß- und Fortpflanzungsmaschine als die Rohrkröte. Man kann sie gefahrlos anfassen oder aufheben – aber fühlen sie sich bedrängt sondern die Kröten ein giftiges, milchiges Sekret ab. Pharmakologe Bob Endean findet darin einen ganzen Cocktail chemischer Substanzen - vor allem aber Bufotenin, ein hochwirksames Nervengift.

"Die Drüsen, die das Gift produzieren, sitzen unter der Haut in Höhe der Schultern. Es ist ein sehr aggressives Gift. Wenn man es in die Augen bekommt, kann man davon blind werden, Tiere sterben bereits nach wenigen Minuten bei bloßem Kontakt mit der Substanz. Fühlt sich die Kröte angegriffen, spritzt sie das Gift durch zahlreiche Poren über den Drüsen. Und das bis zu einen Meter weit."

Reptilien, Klein-Nagetiere und Vögel: Auf ihrem Eroberungsfeldzug durch Australien dezimieren die Kröten die einheimische Tierwelt. Auch wenn einige Arten inzwischen gelernt haben die Kröten auf den Rücken zu drehen und nur ihre ungiftigen Eingeweide zu fressen, ist kein australisches Tier in der Lage ihren Vormarsch zu stoppen.
Weder Zäune noch Aufklärungskampagnen konnten die Kröten bisher aufhalten. Sie sind nicht territorial und verbreiten sich nach Willkür. Ohne natürliche Feinde sind in 73 Jahren aus etwa 100 Tieren mehr als hundert Millionen geworden. Von Kröten-Forschern, wie Ian Morris, kommen besorgte Unkenrufe.

"Sie haben sich diese Regenzeit doppelt so schnell verbreitet als in der letzten und momentan rücken sie jedes Jahr mehr als 100 Kilometer vor. Unser aller Leben wird sich dadurch gewaltig verändern."

Immer häufiger finden Australiens Ureinwohner im Nordterritorium tote Schildkröten, Warane und selbst Krokodile, die leblos in den trüben Flußläufen treiben – verendet durch Krötengift. Im menschenleeren Norden gilt seit jeher "Fressen und gefressen werden". Seit aber die Rohrkröten dort eingefallen sind, ist auch die traditionelle Nahrung der Aborigines betroffen.

"Zum ersten Mal müssen wir darauf achten, ob das, was wir essen nicht giftig ist. Das kommt davon, wenn man Tiere einführt, die nicht hierher gehören."

Die Rohrkröte ist ein wandelndes Katastrophengebiet. Doch sie ist nicht nur bis in die entlegendsten Gegenden des Kontinents vorgedrungen, sondern auch tief in die nationale Psyche. Vor allem in Queensland. Denn so verhasst die Kröte auch sein mag, so sehr wird sie auch geachtet.

Ein lauer Abend im Garten von David Sondergard in Gordonvale. Im fahlen Schein der Garagenlampe sitzt der Rentner in seinem wackeligen Klappstuhl. Ihm zu Füßen, auf dem kurzgeschorenen Rasen, warten ein halbes Dutzend Rohrkröten geduldig darauf, dass der schwache Lichtkegel Insekten anlockt. David lebt allein, doch wenn er abends draußen sitzt, dann leisten ihm wenigstens die Kröten Gesellschaft.

"Für mich sind das völlig harmlose Tiere und niemand braucht vor ihnen Angst zu haben. Sie als Pest zu bezeichnen und sie zu töten, ist nicht recht. Es gibt noch eine ganze Menge - auch wenn sie früher größer waren. Aber ich mag die Tiere, sie machen mir einfach Freude."

Braun, ein Kilo schwer, warzenübersät und so groß wie ein Kuchenteller: Rohrkröten sind immer dort, wo auch Menschen sind. Bufo marinus sucht zweibeinige Gesellschaft – oft aber ist es auch umgekehrt. Und manchmal, wie bei den Nachbarskindern von Mary Roth, gehören die sonst so verhassten Rohrkröten mit zur lieben Familie.

"Diese beiden Mädchen hatten die Kröten als Haustiere und anstelle von Spielzeugpuppen. Sie machten Kleider für sie, kleine Bettchen und ließen sie in einem Puppenhaus wohnen. Das waren die besten, lebenden Spielzeuge, die sich ein Mädchen wünschen konnte – wenn auch die hässlichsten."

Obwohl sie als Umweltschädling Nummer eins gelten, genießen die Rohrkröten Kultstatus. Sie wurden besungen und in der Volksdichtung verewigt, das Queensland-Rugbyteam und eine Biersorte sind nach ihnen benannt. Vor allem das Gift der Kröten ist, buchstäblich, der Stoff aus dem Legenden sind. Denn was für Tiere tödlich ist, hat beim Menschen eine völlig andere, eine berauschende Wirkung. Das im Gift enthaltene Bufotenin wirkt wie ein LSD-Trip. Weshalb der Besitz von Rohrkröten zur Drogengewinnung strafbar ist. Egal ob tote oder lebendige Tiere.

Der Highway Nr. 1, kurz vor Cairns: Die zweispurige Fahrbahn wimmelt nur so von Kröten, als wären sie mit dem letzten Schauer herabgeregnet. Obwohl Tempo 100 erlaubt ist, fährt Elektriker Max Clark mit seinem klapprigen VW-Bus nur halb so schnell – dafür in Schlangenlinien. Die meisten Autofahrer versuchen den Kröten auf der Fahrbahn auszuweichen. Max aber will Blut sehen.

"Ich weiß, wenn ich wieder eine sauber ins Jenseits befördert habe: Beim Drüberfahren platzt die Kröte mit einem Knall - wie ein Luftballon. Ich töte so viele ich kann, denn unsere einheimischen Tiere können sich gegen sie nicht wehren. Wenn ich die Biester völlig in Australien ausrotten könnte, dann würde ich den Rest meines Lebens nichts anderes tun."

3500 Kilometer weiter südlich, eine Autostunde von Melbourne, arbeitet eine Handvoll Wissenschaftler am gleichen Ziel – nur mit anderen Mitteln. Seuchen-Experte Alex Hyatt versucht mit Hilfe eines genmanipulierten Virus neues Erbgut in die Kröten-Population einzuschleusen. Damit will er verhindern, dass die Tiere überhaupt die Geschlechtsreife erreichen. Sie würden sich nicht mehr fortpflanzen und langsam aussterben. Labor- und Feldversuche waren bisher erfolgreich, doch Regierungsgelder, bemängelt Hyatt, sind knapp.

"Um ihre Ausdehnung zu stoppen, hätte man das Problem der Rohrkröten schon viel früher angehen müssen. Jetzt kann man den Schaden nur noch begrenzen – je nachdem welche Technologie man zur Verfügung hat. Es ist zu spät ihre Verbreitung aufzuhalten, aber nicht, um das Problem zu beseitigen."

Der Kampf gegen Australiens Rohrkröten ist wie das Rennen des Hasen gegen den Igel. Während die Forschung hinterhinkt, sind Abermillionen von Kröten weiter unbeirrt auf dem Vormarsch durch den australischen Kontinent. Nachdem sie sich im Norden festgesetzt haben, ziehen sie jetzt weiter Richtung Westen - in 360.000 Quadratkilometer kaum erschlossene Wildnis. Sollte die Wissenschaft die Invasion der Rohrkröten nicht bald aufhalten, dann hilft auch in Zukunft gegen Australiens größte Landplage wohl nur eines: Ein gezielter Fußtritt.