"Muster" von Mathew Dryhurst

Hörspiel über "Anticipatory Computing"

Mat Dryhurst
Mat Dryhurst © @Suzy Poling
Von Marcus Gammel, Redakteur Klangkunst · 23.07.2015
Steckt hinter der Technik "Anticipatory Computing" auch die Zukunft des Radios? Der amerikanische Medienkünstler Mathew Dryhurst hat die Twitterprofile unserer Follower ausgewertet. Aus Tausenden von Einträgen hat er eine surreale Science-Fiction-Story kompiliert.
Stellen Sie sich vor, Sie schalten das Radio ein und fühlen sich sofort wohl. Die Musik passt genau zu Ihrer Stimmung. Coole Leute erzählen eine spannende Geschichte. Das Thema interessiert Sie brennend. Genau darüber haben Sie in letzter Zeit auch nachgedacht.

Programmtipp: Freitag, 24.7.2015, 0.05 Uhr, Ursendung "MUSTER" von Mathew Dryhurst, Länge: 42'32

Das klingt zwar wie Science Fiction, es ist aber erstaunlich nahe an der heutigen Realität. Große Unternehmen wissen immer genauer, was Ihre Kunden im nächsten Moment wollen. Der Schlüssel dazu ist eine Technik namens "Anticipatory Computing". Mit Hilfe von Algorithmen beobachtet man seine Klientel in den sozialen Netzwerken. Dort geben viele Menschen ihre Vorlieben preis. Dort zeigt sich, was gerade besonders gefragt ist.
Solche Informationen werden möglichst schnell zu einem neuen Angebot verarbeitet. So geschehen zum Beispiel bei der Fernsehserie "House of Cards". Der Erfolg gab Netflix Recht.
Steckt hinter dieser Technik nicht auch die Zukunft des Radios? Das fragte sich der amerikanische Medienkünstler Mathew Dryhurst. Für Deutschlandradio Kultur macht er nun die Probe aufs Exempel. Er hat in den letzten Wochen die Twitterprofile unserer Follower ausgewertet. Aus Zigtausenden von Einträgen hat er die Elemente einer surrealen Science Fiction Story kompiliert.
Mathew Dryhurst: "Zum Beispiel wohnen über 30 Prozent der Menschen, die über das Radioprogramm getwittert haben, in der Gegend von Münster. Deshalb kommt dieses Wort im Hörspiel vor. Münster liegt in Westfalen. Das ist wiederum bekannt für den westfälischen Frieden. So bin ich Assoziationsketten gefolgt und habe mit menschlichen Mitteln und menschlicher Fehlbarkeit eine Geschichte erzeugt, die den Menschen gefallen und gleichzeitig eine Aussage treffen soll."
Münster als Leitmotiv
Aus "MUSTER":
Das Verladen der Fracht wird zum Soundtrack dieses Ereignisses. Eng gepackte quadratische Paletten werden an Bord gezogen. Sie sind von so gewaltigem Ausmaß, dass sie Schatten auf die versammelte Menge werfen. Zusammengehalten mit einer bunten Plane, die im pointillistischen Stil angemalt war, prangt auf jeder Ladung das Wort MÜNSTER in dicken weißen Buchstaben.
Das Wort "Münster" als geheimnisvolles Leitmotiv eines crossmedialen Blockbusters? Das ist wohl nicht ganz ernst gemeint. Tatsächlich möchte Mathew Dryhurst das Anticipatory Computing nicht nur ausprobieren, sondern auch kritisch hinterfragen. Daher auch die etwas holprige Sprache in seinem Hörstück.
Mathew Dryhurst: "Weil ich selbst kein Deutsch spreche, sind alle Elemente durch die verschiedensten Übersetzungsstadien gegangen. Dadurch geht meist der Kontext verloren. Ich weiß erst mal nichts über die einzelnen Autoren, sondern versuche nur, ihre Bausteine in eine neue Form zu bringen. Hinter dieser Herangehensweise steckt ein persönlicher Kommentar. Viele Datensammelprozesse sind sehr ungenau. Das gilt auch für Dinge von politischem Belang. Wenn jemand plötzlich auf einer Flugverbotsliste landet oder aufgrund von Datenströmen systematisch überprüft wird, dann ist da ein beträchtliches Maß an menschlicher Fehlbarkeit im Spiel. Wir bewegen uns in einem sehr prekären Feld, weil alles sehr verschieden interpretierbar ist. Die Computer sind noch nicht schlau genug, um den Kontext eines Schriftstückes richtig zu analysieren."
Die menschliche Fehlbarkeit von Big Data ist aber nicht nur problematisch. Sie erzeugt auch ihre eigene Art von Poesie. Mathew Dryhurst hat dieses Prinzip auf die Spitze getrieben, indem er die Übersetzer und die Stimmen seines Hörstücks über Internet-Portale rekrutierte. So entstand eine ungewöhnliche akustische Szenerie – befremdlich bedrückend, spannend und komisch zugleich.