Interview mit Michael Winterbottom

Wie der Fall Amanda Knox zur Seifenoper wurde

Der "Engel mit den Eisaugen": Die Geschichte der Amanda Knox kommt in die Kinos
Der "Engel mit den Eisaugen": Die Geschichte der Amanda Knox kommt in die Kinos © dpa / picture alliance / Pietro Crocchioni
Moderation: Susanne Burg · 16.05.2015
Hat sie ihre Mitbewohnerin umgebracht oder nicht? Jahrelang geisterte der Fall Amanda Knox durch die Medien. Der britische Regisseur Michael Winterbottom nimmt dies zum Anlass, um in seinem Film "Die Augen des Engels" eine ganz eigene Geschichte zu erzählen.
Susanne Burg: Mister Winterbottom, der Fall Amanda Knox hat uns alle viele Jahre begleitet und verfolgt, wann hatten Sie das erste Mal die Idee, daraus einen Film zu machen?
Michael Winterbottom: Ich habe darüber heute noch mal nachgedacht, das ist genau viereinhalb Jahre her, dass ich nach Rom geflogen bin, und dort traf ich die Journalistin, die diesen Prozess begleitet hat, die auch ein Buch darüber geschrieben hat. Und als ich damals in Rom war, lernte ich auch all ihre Kollegen kennen, all die Journalisten, die seit Jahren über diesen Fall berichtet hatten. Also es ist genau viereinhalb Jahre her.
Burg: Und was in der Berichterstattung hat dazu geführt, dass Sie dachten, das ist aber interessant und könnte ein Film werden?
Winterbottom: Als ich mich mehr mit diesen Journalisten befasste, die seit Jahren an diesem Fall dran waren, viele von ihnen lebten ja in Perugia – das ist zwar eine Studentenstadt, und sie waren dann sehr nah dran, an diesem Studentenleben, auch so ein bisschen selber wie Studenten –, und das war so der Ausgangspunkt für mich. Und ich dachte mir, als ich diese Journalisten kennenlernte, die so cliquenhaft wohnten, das ist durchaus eine Welt, über die es sich lohnt, einen Film zu machen, wenn Menschen so viel Zeit mit nur einem Fall verbringen.
Burg: Im Film werfen Sie jetzt nicht unbedingt ein gutes Licht auf die Medien. Die Journalisten sind abgebrüht und zynisch, ihnen geht's sehr viel um die Geschichte und wie sie die verkaufen können. Im Film führen Sie dann neben den Journalisten noch die Figur des Autors und Filmregisseurs Thomas ein, gespielt von Daniel Brühl. Im Grunde genommen versuchen ja alle, diesen Fall zu ergründen. Alle müssen damit Geld verdienen, auch Thomas – er muss das Drehbuch verkaufen, bekommt Probleme, weil es nicht vorangeht. Was unterscheidet eigentlich Thomas moralisch von den anderen? Auch er stürzt sich ja in gewisser Weise auf diese Geschichte.
Winterbottom: Ich wollte jetzt nicht irgendwie damit ausdrücken, dass Filmemacher bessere Menschen sind als Journalisten. Wir zeigen die Journalisten natürlich als Menschen voller Fehler, als Menschen, die eine Story verkaufen wollen, aber Thomas ist auch voller Fehler. Er nimmt Drogen, er hat eine Affäre mit einer Kollegin, und auch er muss versuchen, diese Geschichte zu verkaufen. Er ist wie die Journalisten, die ich in dem Film darstelle, eben auch ein Mensch voller Fehler.
Das Interessante an Journalisten ist ja: Sie schreiben über die Schwächen der anderen, sie decken Skandale auf und tun aber immer so, als seien sie persönlich besser als alle anderen, und das ist eben einfach nicht der Fall, und das wissen wir natürlich auch. Aber es lastete natürlich auf den Journalisten bei dieser Geschichte ein enormer Druck, und sie waren auch in einem großen Dilemma.
Und Thomas, die Figur des Regisseurs, versucht irgendwann, einen anderen Aspekt mit in den Mittelpunkt zu stellen. Er interessiert sich plötzlich nur noch dafür, dass hier ein Mädchen gestorben ist, dass ein Mädchen ihr Leben verloren hat – eine junge Studentin, die ganz optimistisch nach Italien gegangen ist, die meinte, ihr Leben noch vor sich zu haben, und die nun tot ist, die nun keine Zukunft mehr hat. Und ihre Eltern haben eine Tochter verloren. Das wird dann plötzlich für Thomas in das Zentrum des Filmes gerückt. Und in meinem Film tue ich das ja letztendlich auch.
Die Journalisten aber wiederum – ich muss sie auch ein bisschen verteidigen –, sie waren fast gezwungen, nicht von Meredith, also der Toten zu sprechen, sondern von Amanda Knox, um die eine ganze Seifenoper veranstaltet wurde. Und das ist eben das Problem: Man zwingt Journalisten, gewisse Storys zu schreiben.
Burg: Es ist ja auch interessant, weil Sie als Filmemacher ja auch in gewisser Weise in diesem Dilemma stehen. Genevieve Gaunt spielt Amanda Knox, im Film heißt sie Jessica Fuller, sie ähnelt der Frau, die uns in den Medien immer als Engel mit Eisaugen präsentiert wurde. Wie groß war für Sie die Herausforderung, Bilder zu schaffen, die in unseren Köpfen korrespondieren mit denen aus den Medien, gleichzeitig aber auch diese Bilder zu hinterfragen?
Regisseur Michael Winterbottom und die Schauspielerin Kate Beckinsale bei der Premiere von "Die Augen des Engels" in Toronto
Regisseur Michael Winterbottom und die Schauspielerin Kate Beckinsale bei der Premiere von "Die Augen des Engels" in Toronto© dpa / picture alliance / Warren Toda
Winterbottom: Das ist eine sehr gute Frage. Ich habe ja öfter Filme gemacht, die auf wahren Geschichten beruhten, dann hat man immer das Problem, wenn man sich die Schauspieler aussucht, versucht man eher einen Schauspieler zu finden, der physisch der echten Person ähnelt, oder nimmt man jemanden, der ihr gar nicht ähnlich sieht, aber der es schafft, diese Rolle dennoch so zu verkörpern, dass jeder Zuschauer versteht, um wen es geht?
Letztendlich ist das immer eine sehr subjektive Wahl, die man da fällt, aber wir sind eben auch in einer Fiktion. Und deswegen habe ich die echten Namen verändert, und trotzdem weiß jeder, um wen es geht. Der Fall als solcher ist aber sehr akkurat dargestellt, auch was den Gerichtsfall anbetrifft. Aber wie gesagt, es ist immer eine sehr, sehr schwierige Entscheidung, Leute zu finden, die eben so ähnlich aussehen und trotzdem gute Schauspieler sind.
Burg: Sie fragen ja auch in einigen Ihrer Filme immer wieder nach der Objektivität von Nachrichtenbildern, wie zum Beispiel in dem Film "Welcome to Sarajevo" von 1997. Wie sehr hängt dieses Interesse auch mit Ihrem Beruf als Filmemacher zusammen, und wie hat sich Ihr Interesse und Ihr Blick auf dieses Thema seit 1997 verändert?
Winterbottom: Ich weiß nicht, ob es sich hier nur um die Bilder handelt, da bin ich mir nicht so sicher, aber es gibt sicherlich eine Ähnlichkeit zwischen beiden Filmen. In beiden Filmen geht es um Journalisten, die in irgendeiner Form engagiert sind. In dem Film "Welcome to Sarajevo" war es allerdings eine etwas andere Ausgangssituation, weil sich alle Journalisten damals sehr engagiert haben. Sie haben wirklich dafür plädiert, dass man sich einmischt, dass man aufseiten der Bosnier in den Krieg zieht, um die Serben zu bekämpfen, die den Bosniern eben schlimme Dinge angetan hatten. Und der Film fragte: Warum sitzen wir eigentlich zu Hause und tun gar nichts?
Und hier, im Fall Amanda Knox, geht es eher darum, dass die Journalisten auch sehr leidenschaftlich darüber debattiert haben, ist Amanda Knox nun schuldig oder ist sie unschuldig. Das Problem, was ich nur darin sehe, ist, dass sie immer mehr dazu neigen, darüber wie aus einer Seifenoper zu berichten. Und da, glaube ich, hat sich schon etwas verändert in der Presse seit dem Internet, seitdem man 24 Stunden am Tag Nachrichten konsumiert, und darum ging es mir eben auch: zu zeigen, wie dieser Prozess um Amanda Knox zu einer Seifenoper geworden ist.
Burg: Sie nähern sich dem Film fast mit dem Blick eines Dokumentarfilmers. Bei allen mystischen Momenten, die es in dem Film auch gibt – Albträume zum Beispiel, die Thomas hat –, wie schaffen Sie diesen Naturalismus in Ihren Filmen?
Winterbottom: Also ehrlich gesagt, dieser Film war eigentlich schon sehr geschrieben von seinem Drehbuch her, das war schon alles sehr ausgefeilt und sehr präzise, es gab aber viele verschiedene Elemente, die auch verschiedenste Filmgenres bedient haben, aber der Prozess, der Gerichtsfall als solcher, der sollte dokumentarisch wirken. Wir haben das auch wirklich in Siena an einem echten Gerichtshof mit echten Richtern gedreht.
Andererseits bedient der Film eben auch andere Genres und auch wieder andere Geschichten, und da muss ich mich einfach auf die Schauspieler verlassen, und Daniel Brühl ist einfach ein großer Schauspieler, dem man das auch abnimmt. Und alle wirken einfach so, als sei ich nur zufällig mit der Kamera vorbeigekommen und hätte etwas aufgenommen. Und das ist natürlich schön, danach suche ich, nach dieser Natürlichkeit im Spiel, und dann bist du natürlich als Regisseur ziemlich zufrieden, wenn du das vor deiner Kamera erschaffen kannst.
"Für mich muss eine Geschichte interessant sein"
Burg: Sie haben gerade Siena erwähnt, manche Hörer werden jetzt denken, Moment, aber der Fall war doch in Perugia, Sie haben ihn nach Siena verlegt. Warum die Wahl für diese Stadt, eine sehr mittelalterliche Stadt in der Toskana?
Winterbottom: Wir wollten im Film wirklich weg von Perugia, und wir hatten auch die Namen der Hauptfiguren verändert, und wir wollten klarstellen, das hier ist eine Fiktion, das ist ein Spielfilm, hier handelt es sich nicht um einen Dokumentarfilm über den Amanda-Knox-Fall. Und Thomas beispielsweise, der findet ja dann auch eine sehr interessante Parallele, wie er in Italien ist, nämlich Dante und dessen Liebe zu Beatrice, die eben unerfüllt bleiben muss.
Ich fand es dann ganz spannend, den Film doch in der Toskana anzusiedeln. Abgesehen davon, Siena und Perugia sind beides Städte, die sehr hügelig sind, beide ziemlich labyrinthisch angelegt, und das ist dann auch ein Ort, an dem man sich verlieren kann, der etwas sehr, sehr Schönes, aber auch etwas Melancholisch-Trauriges hat. Das war wichtig für die Figur von Thomas, der sich ja auch irgendwo verloren hat, der in einer tiefen Lebenskrise steckt und der versucht, aus dieser Lebenskrise wieder herauszufinden. Und dafür war eben Siena dann auch der ideale Ort, mit dieser Schönheit und Traurigkeit.
Burg: Wenn man sich Ihr ganzes Werk anschaut, Sie sind unglaublich produktiv, haben Sie sich sehr häufig zwischen den Genres bewegt. Sie haben Western gemacht, beklemmende Science-Fiction-Visionen – "Code 46" oder die wahnsinnig komische Serie "The Trip". Brauchen Sie das, zwischen den Genres hin und her zu springen, damit alle Ihre Regiemuskeln benutzt werden?
Winterbottom: Nun, vielleicht ist das so, aber man macht ja vieles auch nicht wirklich immer bewusst. Für mich muss eine Geschichte interessant sein. Ich frage mich immer, ist sie interessant genug, ist das eine Idee, aus der man einen Film machen kann? Und dann, diese neue Idee hat nicht unbedingt immer etwas mit der vorletzten oder letzten Idee zu tun, und dann kann es eben sein, dass man plötzlich einen Western dreht oder in ein anderes Genre eintaucht. Aber die Genres als solche interessieren mich gar nicht so. Ich möchte eine Geschichte finden, die ich erzählen möchte, die interessant ist, und dann versuche ich, dafür Leute zu überzeugen, mir das Geld zu geben.
Burg: Das Werk, das man jetzt im Kino sehen kann, heißt "Die Augen des Engels". Der Film kommt am Donnerstag in die Kinos, Michael Winterbottom ist der Regisseur. Vielen Dank fürs Gespräch!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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