Helena Adler: "Fretten"

Krawall in der Provinz

10:21 Minuten
Autorin Helena Adler am Donnerstag, 16. Juli 2020, im Rahmen der Eröffnung des Literaturfestivals "O-Töne" im Wiener Museumsquartier.
Helena Adler schreibt über ihre Kindheit und ist sich unsicher: War sie schlecht, war sie gut? "Sie war unumstritten beides." © picture alliance / Herbert Neubauer / APA / picturedesk.com
Helena Adler im Gespräch mit Andrea Gerk · 14.09.2022
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In Helena Adlers neuem Roman "Fretten" ist das Landleben alles andere als pittoresk: Eine Bande von Jugendlichen wütet durch die Landschaft. Adler beschreibt eine Sprachlosigkeit, dessen Wurzeln sie in historischen Traumata sieht.
Landleben? Klingt erst mal nach Natur, Ruhe und Gelassenheit. Doch in Helena Adlers dritten Roman "Fretten" ist dieses Landleben keine Idylle, sondern eher das Gegenteil. Die Protagonistin ist die jüngste Tochter des Pleitebauern und Teil einer Bande, die die benachbarte Stadt einnimmt, den Schlachthof plündert und Drogen schmuggelt.

Sich mühevoll plagen

Brutal und beengend war dieses Landleben bereits in Adlers letztem Roman "Die Infantin trägt den Scheitel links". Nun wütet eine Bande durch die Landschaft. Auch wenn die "Infantin"-Hauptfigur erneut in "Fretten" auftaucht, sei ihr neuer Roman keine Fortsetzung, sagt Adler: "Für mich sind das zwei selbständige Dinge, auch wenn die gemeinsame Schnittmenge - etwa was den Beginn des Romans betrifft - nicht zu leugnen ist."
Es sei die Ambivalenz, die ihr bei der Darstellung des Lebens auf dem Land wichtig sei, so Adler: "Ich weiß bis heute nicht: War meine Kindheit schlecht, war sie gut? Sie war unumstritten beides. Das darzustellen war mein Anliegen."
"Fretten - das bedeutet so etwas wie 'sich wund reiben, sich mühevoll abplagen'. Ich denke, das passt ganz gut zu unserer Zeit und auch zu meinem Leben", erläutert die Autorin den Titel des Romans. Sie habe ihn gewählt, weil auch ihr eigenes Leben mit viel Mühsal und Plackerei verbunden gewesen sei, und weil genau das auch ihre Figuren in "Fretten" tun: sich plagen.

Schimpfen und lästern

Eine Erklärung für dieses Plagen und die teilweise harte Gangart in den Familien auf dem Land sieht Helena Adler in der Geschichte der älteren Generationen: "Die meisten Großväter waren im Krieg, und da gibt es viel zu viel, das nicht verarbeitet wurde." Das werde dann an die nächste Generation weitergegeben.
Eine Folge sei auch Sprachlosigkeit, es werde zwar geschimpft und gelästert, doch so richtig gesprochen werde eben nicht. Diese Sprachlosigkeit sei Beleg dafür, "dass man diese Traumata mit sich trägt und nicht verarbeitet hat", betont die Schriftstellerin - bis hinein in die junge Generation in ihrem neuen Roman.
(sru)
Helena Adler: "Fretten"
Jung und Jung, Salzburg 2022,
192 Seiten, 22 Euro

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