Interreligiöse Beziehungen

Von Carsten Hueck · 17.01.2009
Bereits seit den Siebzigerjahren beschäftigt sich der Theologe Martin H. Jung mit interreligiösen Beziehungen. Nun hat er mit "Christen und Juden - Die Geschichte ihrer Beziehungen" eine umfassende Studie vorgelegt.
Martin H. Jung: "Außerordentlich spannend sind auf jeden Fall die Anfänge, die ersten Jahrzehnte und Jahrhunderte. Die alte Kirche, die frühe Christenheit, das Christentum in der Antike, als sich die Wege trennten und die Feindschaft entstand. Diese Periode ist sicherlich mit am interessantesten."

Mit dieser frühen Phase beginnt Martin H. Jung seine Darstellung jüdisch-christlicher Beziehungen. Er zeigt auf, wie das Christentum in seinen Anfängen als innerjüdische Sekte betrachtet wurde. Wie die zunehmende Einbeziehung von Heiden in die Gemeinden zur Trennung von Judentum und Christentum führte, wie Kontroversen später in Feindschaft mündeten. Die Machtverhältnisse zwischen den Konfessionen waren ungleich. Juden mussten sich für ihren Glauben und ihre Lebensart verteidigen.

Martin H. Jung: "Bei den großen Religionsgesprächen war es immer so, dass die Juden in einer Zwangs- und Verteidigungsposition waren. Sie wurden gezwungen zu erscheinen. Sie waren angegriffen, mussten sich verteidigen. Es ging um die Frage, ob der Talmud eingezogen werden soll. Es ging um die Problematik, ob Juden Christus und die Christen lästerten und verachteten und im Hintergrund stand im Mittelalter bei diesen Gesprächen in Anführungszeichen eben christlicherseits immer auch der Missionsgedanke, der Anspruch letztlich die Juden überzeugen und für das Christentum gewinnen zu müssen."

Entscheidend geprägt, so der Osnabrücker Theologe und Kirchenhistoriker, wurde das christlich-jüdische Verhältnis durch Martin Luther.

Martin H. Jung: "Er hatte einfach eine riesige Durchschlagkraft und von daher war Luther mit seinen späten judentumsfeindlichen Äußerungen eben von der Wirkungsgeschichte her katastrophal. Ein Sachverhalt, der von der Lutherforschung immer wieder auch vertuscht wurde. Aber die Quellen zeigen eindeutig, es wurde in Deutschland mit Luther argumentiert, wenn man die Vertreibung von jüdischen Gemeinden forderte.

Und die Linie geht ja leider bis in die Nazizeit, wo sich die Nazis ja auch, ihre Position verteidigend, darauf berufen haben, dass ja nun auch Martin Luther nichts anderes gefordert habe, nämlich - und das hat Luther wirklich verlangt - Synagogenverbrennung, Zwangsarbeit, Vertreibung. Nicht Vernichtung, wohlgemerkt, nicht Vernichtung. Aber Synagogenverbrennung, Zwangsarbeit, Vertreibung hat Luther gefordert."

Ein Vorzug des Buches besteht darin , dass der Autor aber auch dezidiert von wechselseitiger, positiver Beeinflussung zwischen Juden- und Christentum berichtet.

Martin H. Jung: ""Das ist so ein Phänomen, das sich die Forschung immer wieder neu auf das Thema Antijudaismus - Antisemitismus stürzt, also immer wieder nur die negative Seite behandelt, während diese positiven Ansätze, die Lichtblicke eben viel seltener in Augenschein genommen wurden."

Martin H. Jung würdigt beispielsweise judenfreundliche, für Toleranz plädierende Stimmen innerhalb des Humanismus. Ausdrücklich erwähnt er Reuchlin und dessen Interesse für die Kabbala. Aber auch wie das Reformjudentum sich vom Protestantismus beeinflussen ließ oder der Zionismus vom christlichen Chiliasmus.

Martin H. Jung: "Weniger bekannt sind die Dinge, die ich auch versucht habe darzulegen in meinem Buch, dass selbst der Zionismus, die Besiedlung Palästinas letztlich christliche Vorläufer hatte, an die die Juden angeknüpft haben, auf die man gerne zurückgriff, aber später sozusagen ein Schwamm darüber gebreitet hat und eben so getan hat, als ob der Zionismus sozusagen eine eigengeborene Sache war. Aber Zionismus war eben nicht nur verknüpft mit dem Nationalismus europäischer Völker, eine jüdische Entsprechung zum Nationalismus europäischer Völker, sondern der Zionismus war eben auch verknüpft mit dem christlichen

Chiliasmus, mit der christlichen Erwartung einer Zukunft des Reiches Gottes gerade im heiligen Land, gerade in Palästina, was schon im frühen 19. Jahrhundert viele Christen
motiviert hat, dort hinzugehen, dort Häuser zu bauen, dort Siedlungen anzulegen und eben
zu hoffen, dass auch die Juden zurück kommen und siehe da, sie kommen, und
man kommt am Anfang ja auch gut miteinander klar."

Jung resümiert, dass vor allem in den letzten Jahrzehnten tatsächlich ein jüdisch-
christlicher Dialog entstanden ist.

Martin H. Jung: "Ich denke, die Geschichte der christlich-jüdischen Beziehungen in den letzten 50 oder 60 Jahren, also beginnend mit den ersten Jahren nach der nationalsozialistischern Epoche, diese Zeitspanne ist ein beeindruckendes Beispiel dafür, wie sich in Kirche und Theologie Dinge verändern können. Und wie sehr auch Impulse, die zunächst nur von wenigen einzelnen ausgehen, mittel-und langfristig doch die Wahrnehmungen aller verändern können. Ich denke der christlich-jüdische Dialog hat eine großartige Erfolgsgeschichte."

Ausdrücklich erwähnt der Autor die Leistung einzelner Pioniere: des Schweizer Theologen Karl Barth, des Berliner Neutestamentlers Peter von der Osten-Sacken oder auch den dogmatischen Neuentwurf christlicher Theologie durch Friedrich Wilhelm Marquardt.

Auf knapp 300 Seiten informiert Martin H. Jungs Studie dankenswert übersichtlich über die Entwicklung einer Beziehung, die sich auch in ihren zahlreichen theologischen Verästelungen keineswegs frei oder selbstverständlich gestaltet.

Die einzelnen Kapitel hat der Autor mit weiterführenden Literaturangaben versehen. Sie ermöglichen dem interessierten Leser, jeden der zahlreichen Einzelaspekte weiter zu vertiefen. Dieses gut lesbare Ergebnis einer vorurteilslosen Forschungsarbeit analysiert, informiert und erhellt die vielfältigen Schichten des jüdisch-christlichen Verhältnisses. Ein Gewinn für jeden Juden- und jeden Christenmenschen.

Martin H. Jung: Christen und Juden
Die Geschichte ihrer Beziehungen. Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt 2008. 302 Seiten, 59,90 Euro.