Internet-Support für die ägyptische und syrische Opposition

Moderation: Matthias Hanselmann · 10.07.2013
Kommunizieren, obwohl das Internet abgeschaltet ist? Der Netzaktivist Stephan Urbach weiß, wie das geht und hat Oppositionellen in Ägypten und Syrien sein Wissen zur Verfügung gestellt - und seinen Internetzugang.
Matthias Hanselmann: Der Netzaktivist Stephan Urbach arbeitet seit 2011 als Referent für die Fraktion der Piraten im Berliner Abgeordnetenhaus. Etwa zu der Zeit schloss er sich mit anderen Online-Aktivisten zu der Gruppe "Telecomix" zusammen. Deren Ziel: oppositionellen Gruppen und Einzelpersonen in Ägypten und Syrien in ihrem Kampf um Demokratie beizustehen, und das vom Computer in Deutschland aus. Ich habe mich vor der Sendung mit Stephan Urbach unterhalten und ihn zunächst gefragt, wer denn genauer hinter "Telecomix" steckte.

Stephan Urbach: Telecomix war eine Gruppe – oder ist –, die ursprünglich in Schweden gegründet worden ist, um Lobbyarbeit im EU-Parlament zu machen gegen Vorratsdatenspeicherung, für Netzfreiheit, solche Dinge, die sich dann im Laufe der Ereignisse in Ägypten zu einer Aktivistengruppe verändert hat, dahin gehend, dass wir in Ägypten, als Mubarak das Netz abgeschaltet hat, dafür gesorgt haben, dass es Möglichkeiten für die Ägypterinnen und Ägypter gibt, sich ins Internet einzuwählen und trotzdem mit der Außenwelt zu kommunizieren. Und dann, in Syrien, haben wir als Gruppe ganz konkret die Zensurmaßnahmen im Internet und auch die Überwachungsmaßnahmen aufgedeckt und Teilen der Syrer dabei geholfen, diese zu umgehen und trotzdem Videos und Bilder und Texte aus dem vom Aufstand geschüttelten Syrien in die Außenwelt zu transportieren.

Hanselmann: Wann und wie haben Sie begonnen, syrische und ägyptische Oppositionelle zu unterstützen, wie lief das?

Urbach: Bei den ägyptischen Oppositionellen war das recht einfach, wir haben uns wie, glaube ich, fast alle Menschen, sehr interessiert die Begebenheiten am Tahrir-Platz angeguckt und haben auch viel mit Menschen vor Ort kommuniziert, was ja möglich war, dank Internet. Und plötzlich war das Netz weg gewesen, das ging halt nicht mehr. Wir wollten aber weiter mit den Menschen vor Ort sprechen, also haben wir nach Möglichkeiten gesucht und auch schnell gefunden, wie man das wieder herstellen kann, indem wir alte Technologie der 80er-Jahre im Endeffekt genommen haben – Einwahlmodems, kennt man noch von früher, klingen wie Faxe, wenn sie sich eingewählt haben –, und haben die Nummer nach Ägypten auch gefaxt für die Menschen dort. Und so hatten wir sozusagen bis zu 300 Leitungen, die benutzt werden können, für Menschen aus Ägypten.

Hanselmann: Wie geht das? Warum funktionieren alte Modems plötzlich wieder einwandfrei, und das ganze Netz ist abgeschaltet? Das müssen Sie mir als Laien erklären.

Urbach: Okay. Sie haben normalerweise, wenn Sie jetzt zu Hause sitzen und sich ins Netz einwählen, haben Sie einen sogenannten Zugangsprovider. Das ist die Stelle oder die Institution, die dafür sorgt, dass von Ihrem Telefonanschluss oder Ihrem DSL-Anschluss die Daten in das Internet gelangen. Wenn jetzt der nicht mehr funktioniert, dann haben Sie die Chance, wie es auch die Ägypter hatten, mit einem alten Modem sich im Ausland einzuwählen, zum Beispiel bei mir zu Hause, und dann von dort ins Internet zu gelangen, über meinen Internetzugang im Endeffekt.

"Wir haben wild dieses Fax mit Einwahlnummern verschickt"
Hanselmann: Also Sie hatten Kontakt zu einzelnen Oppositionellen, denen haben Sie dann diese Nummern gefaxt und … - ist das geheim, was wir gerade besprechen?

Urbach: Nein, das war noch viel spannender: Wir haben eigentlich, da wir keinen Kontakt mehr hatten, keinen direkten, und das Handynetz ja auch noch aus war, haben wir wild einfach dieses Fax mit den Einwahlnummern verschickt an Bibliotheken, Universitäten, Computerläden, Hotels, und haben dann draufgeschrieben: "To whom it may concern", also wen es betrifft, der möge das bitte benutzen.

Hanselmann: Und, das …

Urbach: Es hat funktioniert. Es waren so, ich bin mir nicht mehr sicher, 1.000, 2.000 Faxe, die wir geschickt haben, und die haben wir halt dahin gefaxt.

Hanselmann: Wer konkret hat sich denn dann gemeldet?

Urbach: Es gab einige Menschen, die direkt auf dem Tahrir-Platz saßen, die sich dann gemeldet haben. Die haben über Telefonkabel, die sie auf den Platz gelegt haben, mit uns dann kommuniziert, andere aus allen Ecken Ägyptens. Manche haben sich danach, als das Internet wieder da war, bei uns gemeldet und sich bedankt, dass sie ihren Eltern eine E-Mail schreiben konnten, dass es ihnen gut geht, zum Beispiel. Eine Person hat sich munter US-Serien runtergeladen, das war auch sehr schön, Revolution muss ja auch Spaß machen – das war halt alles sehr, sehr langsam. Sie müssen sich das vorstellen, wie ja wirklich in den 90ern die Geschwindigkeit.

Hanselmann: Wie sah denn Ihre Unterstützung konkret aus? Womit konnten Sie dann diesen Oppositionellen wirklich helfen?

Urbach: Wir konnten Ihnen eine Stimme geben. Also nicht innerhalb Ägyptens, aber wir haben ihnen die Möglichkeit gegeben, außerhalb Ägyptens zu kommunizieren, ungefiltert, ohne Nachrichtenagentur dazwischen. Sie konnten weiter ihre Blogs befüllen, Bilder posten, was auch immer – also wir haben Infrastruktur geschaffen, damit Menschen sprechen können. Das hätte jetzt auch sein können, dass Menschen, die Pro-Mubarak-Propaganda machen, das benutzen, hätte auch passieren können.

Hanselmann: Das ist aber nicht passiert?

Urbach: Das wissen wir nicht. Muss ich ganz klar sagen, wissen wir nicht. Und das ist auch so das Problem, das ich im Nachgang mit der ganzen Sache habe, dass das halt sehr … so Hauptsache Kommunikation, aber es ist egal, wer. Das würde ich heute so nicht mehr machen.

Hanselmann: Warum?

Urbach: Weil ich glaube, das ist – also es ist wichtig, frei zu kommunizieren. Aber ich glaube dennoch, dass es Meinungen gibt, die nicht okay sind, und wo ich persönlich nicht helfen muss, sie zu verbreiten. Und das konnte ich da halt nicht gewährleisten.

Oppositionsgegner gehen gegen Präsident Mursi in Kairo auf die Straße
Oppositionsgegner gehen gegen Präsident Mursi in Kairo auf die Straße.© AFP/Mahmud Khaled
"Es ist nicht planbar, nicht kontrollierbar"
Hanselmann: Also die Idee mit den alten Modems habe ich verstanden, und die war ja ziemlich genial. Dennoch gibt es in Ägypten und Syrien Geheimdienste, gibt es Staatsschutz und ähnliche Institutionen, die natürlich die Oppositionellen überwachen. Wie sicher konnten Sie denn sein, dass diese Telefonleitungen mit ihren Modems nicht von den Geheimdiensten angezapft worden waren?

Urbach: Konnten wir nicht, das ist das Problem mit Geheimdiensten. Geheimdienste arbeiten geheim, und man weiß selten über die Möglichkeiten, die Geheimdienste haben. Wir wussten zum Glück, dass in Ägypten der Geheimdienst, was das Abhören von analogen Datenströmen betrifft, nicht so sonderlich gut ausgestattet ist. In Syrien hingegen war und ist die Netzüberwachung auf hohem technischen Niveau. Das ist westliche Hardware, die da steht, mittlerweile mit iranischen Admins – also die Iraner unterstützen ja das syrische Regime in der Technologie. Wir müssen uns vorstellen, vor zehn Jahren noch war es unglaublich schwer, diese Datenmengen auszuwerten. Heute haben wir die technischen Möglichkeiten, riesige Datenmengen unglaublich schnell, also fast in Echtzeit, auszuwerten und bei bestimmten Schlüsselwörtern Alarm zu schlagen.

Hanselmann: Wie wir gerade in den letzten Tagen ja immer wieder lesen dürfen …

Urbach: Genau, was Prism macht, ist im Endeffekt, was die Syrer auch machen, nur in größer und noch organisierter mit darauf wirklich spezialisierter Hardware.

Hanselmann: Deutschlandradio Kultur, das "Radiofeuilleton", wir sprechen mit Stephan Urbach, der mit der Netzaktivistengruppe Telecomix syrische und ägyptische Oppositionelle aus der Ferne bei ihrer Arbeit unterstützt hat. Herr Urbach, Sie haben vorhin beiläufig erwähnt, Revolutionen müssen auch Spaß machen, aber Revolutionen wie die ägyptische und syrische fordern auch Opfer: Die Geheimdienste und andere Institutionen gehen mit äußerster Brutalität vor. Sind Sie bei Ihrer Arbeit auch manchmal an die Grenzen gestoßen, also gefühlsmäßig?

Urbach: Ja, jeden Tag.

Hanselmann: Wodurch besonders?

Urbach: Gerade während der Arbeit mit Menschen in Syrien, wenn Kontakte erschossen wurden, wenn sie verschwunden sind, das war ziemlich hart, und es ist auch … also ich wünsche die Erfahrung niemanden. Im Endeffekt ist es halt auch genau das nicht, es ist nicht planbar, nicht kontrollierbar …

Hanselmann: Haben Sie ein Beispiel, wo Ihnen Ihre Arbeit ganz besonders schwergefallen ist?

Urbach: Ganz besonders schwer fiel es mir, als wir ein Video zugespielt bekommen haben, wo einer der Menschen, die ich kannte, darauf vom Geheimdienst hingerichtet wurde. Als wir das gesehen haben – der war verschwunden, und wir bekamen auf einmal ein Video, wo dann diese Person drauf zu sehen war.

Hanselmann: Sie mussten dieses Video bearbeiten oder in welcher Form … ?

Urbach: Wir haben Metadaten entfernt, also Informationen über Standorte und Urzeit und solche Sachen, haben ein paar Gesichter verpixelt noch und haben es dann in die Öffentlichkeit raus entlassen.

" Es gab konkrete Drohungen von ausländischen Geheimdiensten"
Hanselmann: Hatten Sie da jemals das Gefühl, das kann ich nicht mehr ertragen?

Urbach: Ja, hatte ich, und das ist der Punkt, wo ich ausgestiegen bin. Also es gibt halt den Punkt, wo ich für mich entschieden habe, ich möchte das nicht mehr, ich kann das nicht mehr …

Hanselmann: War das dieser konkrete Fall des gefilmten Mordes?

Urbach: Das war das i-Tüpfelchen, glaube ich, für mich, das war so … wir haben über ein Vierteljahr lang durchgearbeitet, und ja, dann war irgendwann einfach gut.

Hanselmann: Können eigentlich die Oppositionellen in diesen Ländern ohne Ihre Hilfe auch etwas in der Richtung tun, die Sie beschrieben haben?

Urbach: Ja, ich denke schon, ich denke schon, dass sie das tun können, die Frage ist, ob sie das wollen, ob sie dafür den Kopf in dem Augenblick haben. Weil das letzte, woran ich denken würde, wenn wir jetzt hier in Deutschland irgendwie eine Revolution hätten, wäre: Wie kommuniziere ich nach außen? Und ich glaube auch, dass das immer eine Frage ist natürlich auch des technischen Wissens, und durchaus viele Menschen auf der Welt, die dieses Wissen haben. Die Frage ist, sind sie in dem Augenblick bereit, ihr Wissen dafür einzusetzen. Weil es ist für Menschen in Syrien zum Beispiel sehr, sehr gefährlich das zu tun, also gefährlicher als für mich hier in Deutschland. Ich habe hier eine sehr gute Position, ich bin von dann doch meinem Staat irgendwie beschützt in dem Augenblick, und kann da ganz anders agieren.

Hanselmann: Sind Sie denn jemals Ihrerseits bespitzelt worden, ausgehorcht worden oder vielleicht sogar bedroht von Geheimdiensten?

Urbach: Es gab konkrete Drohungen von Geheimdiensten, also von ausländischen, ja, das ist richtig. Aber das ist halt auch, ich sitze hier in Deutschland, in der Hauptstadt auch noch. Ich bin hier recht sicher gewesen damals.

"Ab wann sind Sanktionen vielleicht doch sinnvoll?"
Hanselmann: Als Pirat haben Sie ja die größtmögliche Freiheit im Netz gefordert, andererseits haben Sie bei dieser Arbeit die Gefahren von großer Transparenz erlebt – Sie haben es ja gerade geschildert. Hat sich Ihre persönliche Einstellung zum Netz grundsätzlich geändert im Lauf der Zeit?

Urbach: Nein, ich halte das Netz nach wie vor für eine der großartigsten Dinge, die uns in den letzten 30 Jahren passiert sind, weil es eine unglaubliche Handlungsraumerweiterung darstellt. Ich muss halt eben nicht mehr vor Ort sein, um Dinge bewirken zu können, aber wir haben in all den Jahren nicht die Debatte geführt, und zwar nirgendwo: Was ist eigentlich Meinungsfreiheit, wohin geht sie, ab wann sind Sanktionen für Dinge, die im Netz passieren, vielleicht doch sinnvoll? Auf der anderen Seite aber führen wir Debatten über Cyberwar auf eine Art und Weise, die so nicht funktioniert, wo dann irgendwelche Tools, die ich brauche, um ein Netzwerk zu administrieren, plötzlich als Hacker-Tools unter Strafe gestellt werden. Wo plötzlich die NATO mein Haus wegbomben darf, weil ich aus Deutschland zum Beispiel irgendwie einen US-Server gehackt habe, zum Beispiel, weil ich dann plötzlich ein regulärer Kombattant bin. Die Regeln des Krieges werden auf den Kopf gestellt gerade wegen dem Internet, und zwar auf eine Art und Weise, die mir zeigt, dass es nur um Machterhalt geht.

Hanselmann: Wie geht es Ihnen eigentlich gerade als ehemaligem Unterstützer der Opposition in Syrien und Ägypten? Die Lage in Ägypten hat sich zugespitzt, heute haben wir eine bürgerkriegsähnliche Situation – juckt es Ihnen in den Fingern, denken Sie nicht manchmal, ich muss wieder Kontakt aufnehmen zur Opposition?

Urbach: Ja, die Frage ist, wer ist denn jetzt noch die Opposition in Syrien?

Hanselmann: Das wollte ich nämlich gleich gerade noch nachschieben.

Urbach: Das ist ja die gute Frage. Am Anfang war das recht offensichtlich, bevor es losging. Und ich bin auch ausgestiegen, bevor es zu unübersichtlich wurde. Mittlerweile hat, glaube ich, jede Seite in Syrien Blut an den Händen, und es gibt keinen Gewinner mehr, es gibt nur noch Verlierer.

Hanselmann: Das heißt, Sie wussten auch damals nicht immer hundertprozentig, wen Sie bei was unterstützen.

Urbach: Bei den Menschen, mit denen ich Kontakt hatte, wusste ich ziemlich genau, was sie tun.

Hanselmann: Okay.

Urbach: Das war schon für mich auch wichtig. Wir haben auch vorher für jede Person, mit der wir Kontakt hatten, eine eigene Lösung gebaut, damit, falls es jemand vom Geheimdienst ist, nicht die anderen auch mit erwischt werden können. Aber im Endeffekt, heute wüsste ich nicht mehr, wen ich unterstützen könnte, reinen Gewissens, einfach weil alle Blut an den Händen haben, und alle Seiten haben verloren und es gibt keine Gewinner mehr in Syrien. Und am meisten von allen leidet die syrische Bevölkerung, die einfach nur in Ruhe ihr Leben leben möchte.

Hanselmann: Vielen Dank, Stephan Urbach, Ex-Pirat und Netzaktivist der Gruppe Telecomix, die syrische und ägyptische Oppositionelle via Internet unterstützt hat.

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