Internet der zwei Klassen?

Von Constanze Kurz |
Es ist die größte Auktion ihrer Art weltweit, und sie begann Anfang April: Die versteigerten Mobiltelefon-Frequenzen waren früher zum Teil für den Rundfunk verwendet worden. Da mobile Telefonie, vor allem aber mobile Datenübertragung noch immer ein wachsender Markt ist, werden die neuen Kapazitäten von den vier großen Mobilfunkanbietern geradezu herbeigesehnt.
Dafür lassen sie gern einige Milliarden springen, allerdings weniger als vor zehn Jahren. Damals wurden die UMTS-Lizenzen auktioniert, der Staat nahm über 50 Milliarden Euro ein – gern gesehene Geldberge angesichts des durch die Finanzmarktkrise und das Griechenlandproblem gebeutelten Staatshaushalts. Aktuell endete die Auktion bei knapp 4,4 Milliarden Euro.

Die Bundesnetzagentur hat den Ausbau der Internetversorgung auf dem Land im Blick. So wurde den Bietern vor der Versteigerung auferlegt, dass sie unterversorgte Gebiete erschließen müssen. Das ist auch erklärtes Ziel der Bundesregierung, die bis zum Jahr 2014 drei Viertel aller Haushalte mit schnellem Internet beglücken möchte.

Es stellt sich jedoch die Frage, wie die Inhalte künftig über die neuen Netze transportiert werden. Die sogenannte Netzneutralität gerät damit mehr und mehr in den Fokus der Diskussion. Die Frage wird brisanter, wer die letztendlich alle anderen Medien verschlingenden Informationskanäle des Internets wirklich kontrolliert. Netzneutralität und die Abwesenheit von Zensur werden womöglich über das Fortbestehen der Demokratie entscheiden.

Netzneutralität kann unterschiedlich definiert werden, in ihrem ursprünglichen Sinn bedeutet sie, dass jedes Datenpaket, unabhängig von Inhalt und Ziel, ohne Diskriminierung transportiert wird. Vergleichbar ist das Konzept mit der Briefpost oder Telefongesprächen: Der Inhalt eines Briefes oder eines Telefonats wird nicht betrachtet oder bewertet, sondern vom Anbieter nur transportiert.
Anders ist das bei der Mobiltelefonie: T-Mobile, Tochter der Telekom und größter Mobilfunkanbieter in Deutschland, hat jüngst begonnen, bestimmte Internet-Telefonate zu blockieren.

Das Kalkül ist klar: Sprachtelefonie ist trotz aller Rabatte und Preissenkungen sehr profitabel. Wenn nun die Kunden einfach über die Daten-Flatrate telefonieren, statt brav pro Minute zu zahlen, kommt weniger Profit in die Kasse. Mobiles Internet, so die eindeutige Botschaft an die Kunden, enthält nur, was der Anbieter will, eben nicht alle Dienste des Netzes. Bisher sahen sich weder Politik noch Regulierungsbehörde genötigt, einzugreifen.

Die Zurückhaltung von Regulierer und Politik beim Thema Netzneutralität hat verschiedene Gründe. Technische Komplexität ist nur einer davon. Man will sich sicherlich nicht noch eine Debatte einhandeln, bei der der durchschnittliche Volksvertreter – vorsichtig formuliert – nicht unbedingt mit Sachkenntnis glänzen kann. Der Beirat der Bundesnetzagentur ist zudem mit politischen Mandatsträgern besetzt, die Regulierungsbehörde also alles andere als neutral.

Nicht zu vergessen ist auch, dass der Staat immer noch Mehrheitseigentümer bei Deutschlands größtem Internetanbieter – der Telekom – ist. Und auch die Telekom sieht der aufdämmernden Netzneutralitäts-Debatte schon aufgrund der eigenen kundenunfreundlichen Praxis ihrer Mobilfunktochter nicht mit Freude entgegen. Denn seit 2009 blockiert T-Mobile Telefonate über den Anbieter Skype. Ganz ohne technischen Grund ist also die Internet-Telefonie unbenutzbar. Bei den Kunden stieß das zwar auf wenig Gegenliebe, zu groß ist aber der zu erwartende Zusatzprofit, solange der Regulierer beide Augen zudrückt und die schleichende Einführung eines Mehrklassen-Internets zulässt. Ein Schelm, wer hier an Zufall glaubt.


Constanze Kurz, Diplom-Informatikerin, ist wissenschaftliche Mitarbeiterin der Arbeitsgruppe "Informatik in Bildung und Gesellschaft" an der Humboldt-Universität Berlin sowie Sprecherin des Chaos Computer Clubs. Sie gehört dem Experten-Team der Enquête-Kommission "Internet und digitale Gesellschaft" des Deutschen Bundestags an. Constanze Kurz schreibt eine Kolumne zu Internet-Themen für die Frankfurter Allgemeine Zeitung und ist Herausgeberin des Buchs "1984.exe - Gesellschaftliche, politische und juristische Aspekte moderner Überwachungstechnologien".