Internet-Aktivist Cory Doctorow

Übersetzer zwischen den Sphären

05:42 Minuten
Der kanadische Science-Fiction-Autor Cory Doctorow auf einer Bühne. Im Hintergrund ein auf eine Wand projiziertes überdimensioniertes Megafon.
Lebt ohne Lampenfieber: der kanadische Science-Fiction-Autor Cory Doctorow. © Britta Pedersen/dpa
Von Marcus Richter · 07.05.2019
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Er ist Schriftsteller, Lehrer, Blogger, Aktivist und Ikone: Cory Doctorow. Und außerdem gern gesehener Gast auf digitalpolitischen Konferenzen. Marcus Richter hat das Internet-Urgestein auf der re:publica getroffen.
In einem Stuhlkreis auf einem Stand in einer Halle auf der re:publica sitzt ein Mann Mitte 40, weiß, kurze, dunkle Haare, Jeans, Brille mit dickem schwarzem Rand und einer Stimme, die auch trotz des engen Rings aus Menschen, die um ihn herum sitzen, und des Lärms aus den Hallen gut zu verstehen ist.
Über Cory Doctorow reden funktioniert nur, wenn man auch über die Inhalte redet, mit denen er sich beschäftigt. Deswegen müssen wir hier kurz die Grundlagen klären: Das EU-Parlament hat kürzlich eine sogenannte Urheberrechtsreform beschlossen. Ein Teil davon, der unter dem Schlagwort "Artikel 13" behandelt wird, sagt – ganz grob zusammengefasst –, dass Plattformen für alle Urheberrechtsverstöße haftbar zu machen sind.

Mit Anekdoten antworten

Hauptstreitpunkt ist dabei, dass sie dazu eigentlich sogenannte Uploadfilter einführen müssten. Software, die die Inhalte aller Nutzerinnen und Nutzer noch vor der Veröffentlichung kontrolliert. Die Kritik: Die Uploadfilter einzurichten ist teuer und deshalb für kleine Firmen nicht leistbar, außerdem können die Filter zu Zensurzwecken missbraucht werden.
Aber wer hier ist, der weiß das alles schon. Die Menschen, die Fans, stecken im Stoff und es geht gleich zur Sache. Die Frage nach der Meinung eines anderen Experten beginnt Doctorow mit einer kleinen Anekdote über die gemeinsame Grundschulzeit. Und wenig später geht es darum, ob die Uploadfilter wirklich unvermeidbar seien, die stünden doch gar nicht im neuen Gesetz. Cory Doctorow antwortet mit einer Anekdote:
"Das wäre so, als würde ich den Auftrag erteilen: Bring mir ein großes, charismatisches, vierbeiniges afrikanisches Landsäugetier mit großen Ohren, Rüssel, Schwanz und Stoßzähnen – aber wenn es möglich ist: Bitte keinen Elefanten."

Präzise und schnell

Die Faszination – und dass es die gibt, ist den konzentrierten Zuhörgesichtern der Anwesenden zu entnehmen – entspringt aus der Mischung dieser anekdotenhaftigen Leichtigkeit und der inhaltlichen Tiefe, mit der sich Doctorow in seinem Gebiet bewegt.
Als nachgefragt wird, ob seine Kritik nicht zu einfach sei und zu viel als gegeben voraussetze, erklärt er so präzise und schnell die Zusammenhänge zwischen Marktgegebenheiten und EU-Gesetzgebung, dass einem schwindelig werden kann. Während Doctorow in seinen Büchern – zuletzt in "Walkaway" und gerade aktuell in "Wie man einen Toaster überlistet" - Geschichten erzählt und nebenbei Wissen vermittelt, passiert es hier umgedreht:
Schlag auf Schlag geht es um Technikmonopole, Lobbyismus und die Bewahrung des freien Netzes – und nur zwischendurch gibt es anschauliche Bilder und Anekdoten. Alle hören gespannt zu, haben immer noch eine Frage und niemand bemerkt, dass die Veranstaltung erst eine halbe Stunde später endet, als geplant.

Doctorow ist ein Internet-Urgestein

Auf dem Weg zum nächsten Termin spekuliere ich noch einmal mit Theresa Locker, einer Journalistenkollegin, darüber, was die Faszination von Doctorow ausmacht. Sie sieht zwei Gründe:
"Gute Frage, der hat so was messiasartiges manchmal sogar. Aber ich glaube dieses Uralt-Bloggertum, das ist was, was halt jeder kennt. Schon bevor es Twitter gab, hat man ihn schon gekannt und gelesen, deswegen ist das ein Internet-Urgestein."
Stimmt! Als Autor des Blogs "Boingboing" gibt es ihn schon sehr lange und seine Präsenz ist sehr charismatisch. Dazu kommt: Es hört sich so an, als ginge es ihm nicht nur um die einzelnen Sachthemen, sondern auch um den Entwurf einer Welt ohne Machtmonopole, missbräuchlichen Lobbyismus und Überwachung, aber dafür mit freien Menschen. Man könnte sagen: Er hat eine Vision. Aber wie sieht er sich eigentlich selbst?
"Nicht unbedingt als Diplomat, aber vielleicht als Übersetzer. Ein guter Übersetzer arbeitet nicht mechanisch, er übermittelt auch den Sinn. Ich glaube, ich übersetze zwischen verschiedenen politischen und kulturellen Sphären."

"Der begnadetste Sprecher der netzpolitischen Community"

Dazu ist er als Redner und Schriftsteller und Aktivist besonders geeignet und wird gebraucht - immer wieder auch auf der re:publica. Und das aus gutem Grund, erklärt der Veranstalter Markus Beckedahl:
"Er ist einer der begnadetsten Sprecher, den die netzpolitische Community weltweit hat. Es gibt kaum jemanden, der so prägnant auf den Punkt über komplexe Zusammenhänge sprechen kann und das auch frei."
Ich verabschiede mich von Cory Doctorow, der am heutigen Abend noch einen Vortrag darüber halten wird, was Überwachung, Kapitalismus und Monopolbildung miteinander zu tun haben. Hat er eigentlich vor solchen Vorträgen noch Lampenfieber?
"Nein, Lampenfieber hab' ich niemals, ganz im Gegenteil, das belebt mich! Da muss ich mir überhaupt keine Sorgen drum machen!"
Und auch das ist sicher ein Teil des Erfolges von Cory Doctorow.
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