Interieure mit weiblicher Figur

Von Volkhard App |
Durch das Gesamtwerk von Matisse zieht sich das Sujet "nterieur und weibliche Figur", dem die Kunstsammlung NRW mit internationalen Leihgaben die Ausstellung "Figur Farbe Raum" widmet. Die abgebildeten Frauen räkeln sich auf Chaiselongues, sind in Bücher vertieft, schlafen oder träumen.
Ein spätes Gemälde von Matisse gab den Impuls zu dieser opulenten Ausstellung: ein blauer Tisch mit Früchten und Blumenvase, der Raum rundherum ist zu einer einzigen Fläche geworden - Wände und Boden leuchtend rot mit dynamischen Zickzacklinien, im Türrahmen der Ausschnitt eines Gartens. Die menschliche Figur wird hier repräsentiert durch ein Frauenrelief an der Wand, als Bild im Bild.

Vor rund 40 Jahren wurde dieser die Sinne in Vibration setzende Farbenrausch für Düsseldorf gekauft, ist nach wie vor Blickfang der eigenen Sammlung und regte die Museumsmannschaft an, sich mit vielen internationalen Leihgaben dem Sujet Interieur - weibliche Figur ausführlich zu widmen, denn es zieht sich durch das Gesamtwerk des bedeutenden Malers.

Armin Zweite, Direktor der Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen: " Warum ist das so? Ich kann es auch nicht beantworten. Es ist ein traditionsreiches Thema, vor allem in der französischen Malerei des 19. Jahrhunderts. Und Matisse, ein Revolutionär in vielen Dingen, knüpft an diese Tradition an und führt sie weiter. Die Tradition bleibt gewahrt, wird aber mit modernen Mitteln interpretiert."

Die stilistische Entwicklung von Matisse spiegelt sich gerade in diesem Ausschnitt. Bei der "bretonischen Serviererin" von 1896 sind Figur und Raum noch konventionell gestaltet. Dagegen stellt der Akt "Carmelina" von 1904 mit den vereinfachten Körperformen und den geometrisch betonten Atelier-Gegenständen bereits Aufbruch und Übergang dar.

Dann die Farbexplosion der von Matisse mit ins Leben gerufenen "Wilden", der Fauves: grelle Flächen, die Figuren abstrahiert und locker auf die Leinwand gesetzt. In den Jahren des Experimentierens gelang ihm 1914 mit dem "Porträt der Mademoiselle Yvonne Landsberg" das wohl radikalste Bild: das Gesicht maskenhaft, in die Bildfläche, den angedeuteten Raum, hat der Künstler mit dem Pinselstiel Linien gekratzt. Die Ausstellung führt mit Gemälden, aber auch Zeichnungen, Drucken und Skulpturen, bis in die letzten Lebensjahre, als der an Bett und Rollstuhl gefesselte Matisse aus farbigem Papier Figuren schnitt, zum Beispiel blaue Akte. Eine facettenreiche Schau: nahezu auf jedem Bild variiert der Stil, wird das Verhältnis von Figur und Raum neu ausprobiert.

Kuratorin Pia Müller-Tamm: " Es geht um eine Öffnung des Raumes, um ein Durchlässigmachen. Dazu bringt Matisse ein großes Repertoire ein, die Übergänge zwischen innen und außen finden seine Aufmerksamkeit. Er malt Erker, Fenster, Jalousien, Vorhänge, auch Spiegel und Gegenstände, die sich wie Filter zwischen Raum und Betrachter schieben und so für eine komplexe Struktur sorgen."

Die Teppiche der Interieurs, die Tapetenmuster und Gewänder und auch die üppigen Zimmerpflanzen sorgen für den Matisse-typischen ornamentalen Reiz, nicht nur auf den orientalisch beseelten Gemälden. Aber welchen Charakter haben eigentlich die weiblichen Figuren? Die meisten wirken entrückt, räkeln sich auf Chaiselongues, sind in Bücher vertieft, sie meditieren oder sie schlafen und träumen:

" Die Frauen sind einerseits zentral, andererseits marginal. Sie können zwar auf fast jedem Bild eine weibliche Figur erkennen, aber es sind keine Individualitäten dargestellt. Häufig bleiben sie ohne Gesicht, die Hände sind meist nur flüchtig dargestellt. Es sind in sich versunkene, abgewandte Figuren, die keine Kommunikation mit dem Betrachter aufnehmen, sondern Distanz vermitteln."

Bei vielen Gemälden auch könnte man meinen, die Frauen seien in diesen durch Schönheit und Harmonie beeindruckenden Kompositionen nur Trägerinnen von Farbe und Zierrat.

Armin Zweite: " Mit der Frau ist natürlich ein erotisches Moment verbunden, aber es ist entsexualisiert, entkörperlicht. So fühlt man sich auf der einen Seite animiert, dann aber auch wieder distanziert. Und dieses Wechselspiel kann so nur Matisse ausdrücken."

Jedes Bild will hier einzeln betrachtet sein in der Art, wie Figur und Gegenstände des Raums durch Form und Farbe in Beziehung gesetzt werden. Dabei spielt Matisse mit den im Interieur platzierten Objekten, den ornamentenreichen Teppichen und Kleidern, leidenschaftlich auf andere Kulturen an:

" Er hat Stoffe gesammelt, rumänische und afrikanische. Und er hat zum Schluss sogar Haute Couture gekauft. Er war fasziniert von dem Dekor, den Ornamenten. Er hat auch früh zum Islam geschaut und ist zur großen Ausstellung nach München gereist. Es ist also eine Beschäftigung, die über den europäischen Kontext hinausreicht."

In Düsseldorf bietet man dem Publikum Labsal für die Augen. Allerdings sind die Verantwortlichen mit dem Klischeebild von Matisse in manchen Köpfen gar nicht einverstanden, denn auf das bloß Dekorative wollen sie ihn nicht verkürzt sehen - schließlich hat ihm der Verdacht, ein sonniger Oberflächenmaler zu sein und in der Moderne der letzte Bewohner "Arkadiens", früh schon Kritik eingetragen und die Rezeption in Deutschland bis zum heutigen Tag behindert.

Deshalb sezieren die Ausstellungsmacher vor allem im Katalog das Oeuvre nach Kräften, zeigen hier und da feine Risse im Weltverständnis des Künstlers auf, verweisen auf seine Ambivalenz. Aber kippen lässt sich die lichte Vorstellung von diesem Maler nicht, und beim Gang durch die Schau stellt sich durchaus die Wirkung ein, die er sich 1908 in seinen "Notizen"
erhoffte:

"Ich träume von einer Kunst des Gleichgewichts, der Reinheit, der Ruhe, ohne beunruhigende und sich aufdrängende Gegenstände, von einer Kunst, die für jeden Geistesarbeiter, für den Geschäftsmann so gut wie für den Literaten ein Beruhigungsmittel ist, eine Erholung für das Gehirn, so etwas wie ein guter Lehnstuhl, in dem man sich von physischen Anstrengungen erholen kann."

Service:

Die Ausstellung Henri Matisse: "Figur Farbe Raum" ist in der Kunstsammlung NRW K20 vom 29. Oktober 2005 bis 19. Februar 2006 zu sehen.