Interaktive Kirchenmusik

Von Bettina von Clausewitz |
Der Deutsche Evangelische Kirchentag ist bekannt für seine Experimentierfreude, Kunst und Kultur sind zentral im Programm. Beim diesjährigen fünftägigen Protestantentreffen in Köln wird der Kölner Komponist, Konzertpädagoge und Interaktionskünstler Bernhard König der traditionellen Kirchenmusik eine neue Variante hinzufügen: die experimentelle Gebrauchsmusik.
"Es geht mir sehr stark um das Musik machen. Also mir sind eigentlich die Menschen wichtiger als die Töne - meistens - und von daher verstehe ich 'Komponist' nicht als 'ne einsame Schreibtischtätigkeit, sondern als 'ne kommunikative Angelegenheit im Austausch mit vielen anderen."

Der Komponist Bernhard König bei den Proben zur Musikalischen Spurensuche "Unter den Steinen", ein Stück, das zu Beginn des Kirchentages auf dem Rathausplatz an die Trümmer jüdischen Lebens in Köln erinnert.

Es ist eine von sechs Inszenierungen, die der 40-Jährige im Auftrag der gastgebenden Evangelischen Kirche im Rheinland einstudiert hat. Wie üblich leger in Jeans und T-Shirt hat er monatelang mit Laien und Profis, mit Kindern und Erwachsenen gearbeitet, in der ihm eigenen zugewandten, konzentrierten und motivierenden Art. Das Repertoire reicht von der Schülerkomposition über ein "Signal zum G8-Gipfel", an dem alle im Publikum beteiligt sind, bis zum Papphockertrommeln.

Musik beim Kirchentag soll aktiv erlebbar sein. Dafür hat König eigens das "Netzwerk Neue Töne" gegründet, Raum für Professionalität und Improvisation:

"Der letzte Teil, der ist noch ein bisschen unklar, wie der abläuft. Es wird auf jeden Fall 30 oder 40 oder 50 Mundharmonikas geben, vom Chor, die wahrscheinlich simultan, aber in verschiedenen Varianten diese Melodie hier spielen" (Klavier)

Das ist typisch für Bernhard König: Er arbeitet am liebsten nicht mit fertigen Konzepten und perfekten Ensembles, sondern entwickelt seine Ideen in Teamwork.

"Experimentelle Gebrauchsmusik", so nennt der Kölner Künstler seine Arbeit, die im Grenzbereich von Musik, Theater, Film und Hörspiel angesiedelt ist. Auch privat setzt der Vater zweier Töchter von vier und elf Jahren seine eigenen Akzente: er kommt trotz der vielen Termine ohne Auto aus, nutzt das Handy nur widerwillig und liebt durchaus auch Traditionelles:

"Also wenn ich privat nach Feierabend mit Freunden Kammermusik mache, dann holen wir uns auch den Schumann und den Schubert und den Mendelssohn aus dem Schrank und spielen dann die alten Klassiker und Romantiker, ich liebe diese Musik auch sehr..."

... und so fühlt sich Bernhard König als Allroundtalent der Experimentellen Gebrauchsmusik in allen Genres zu Hause und läst sich inspirieren.

"Also wenn man wirklich hingeht und mit 'ner Schulklasse oder ganz alten Leuten oder mit geistig behinderten Musikerinnen und Musikern zusammen eine Musik zu finden, die deren jeweiligem Potenzial und deren Interesse gerecht wird, dann finde ich das einen ganz aufregenden Prozess immer wieder.

Das heißt meinetwegen - ein Sprecher mit Down Syndrom aus Island hat einen dieser Texte gesprochen und ein Portugiese hat den dann über Kopfhörer gehört und hat das nachgesprochen. Und ein Franzose oder ein Engländer hat das dann noch mal nachgesprochen - (amüsiert) dabei kommt dann ein unsägliches Kauderwelsch raus, was sich aber dann immer mehr in Musik verwandelt und daraus hab ich dann ein Hörspiel gemacht, aus diesen kleinen Sprachpartikeln."

"Della lingua perfetta" - die perfekte Sprache, ein etwas gewöhnungsbedürftiges Hörerlebnis, das 2002 als Konzertmitschnitt im Deutschlandfunk gesendet wurde. Es erzählt vom Traum einer universalen Sprache und dem Gespräch mit Behinderten vor allem aus der "Theaterwerkstatt Bethel".

Musik ist für Bernhard König ein lebenslanger Begleiter, Klassische und Neue Musik zunächst, das Experimentelle hat sich erst im letzten Jahrzehnt entwickelt.

"Ich hab sozusagen zu meiner eigenen Konfirmation (lacht) die Orgel geschlagen. Das hat für mich eine lange Tradition auch. Ich bin da schon relativ verwurzelt in der Kirchenmusik."

Aufgewachsen in der Nähe von Frankfurt am Main, bekommt Bernhard König schon als Fünfjähriger Klavierunterricht, tritt bei "Jugend musiziert" auf und dreht als Schüler einen ersten abendfüllenden Super-8-Film über sein Heimatdorf Dortelweil, den er mit seiner Arbeit als Organist finanziert. Später folgt ein siebenjähriges Kompositionsstudium bei Mauricio Kagel in Köln und 1995 die erfolgreiche Kinderoper "Expedition zur Erde".

"Die Kinderoper 'Expedition zur Erde' markiert im Grunde einen Übergang vom klassischen Verständnis eines Komponisten, der am Schreibtisch sitzt und seine Noten schreibt - wie ich das auch in meinem Kompositionsstudium gelernt habe, hin zu diesen etwas offeneren Formen."

Formen, die Bernhard König seitdem prägen: bei neuen Kompositionen, bei der Arbeit des Kölner Büros für Konzertpädagogik, das er 1998 mit gegründet hat, und jetzt auch beim Kirchentag im "Netzwerk neue Töne". Immer geht es um das Erfinden und gemeinsame Entwickeln von Musik in dialogischen Prozessen, mit vielen Menschen. Wie sich das getrommelt anhören kann, demonstriert er kurzerhand am Papierkorb im Probenraum.

"Lebendiges, kräftiges, schärferes Wort" (Sprechgesang und Trommel dazu)
Eine Mitmachaktion zum Kirchentagmotto, das der ideenreiche Künstler mit Behinderten der Diakonie Michaelshoven einstudiert hat:

"Und wenn man die Leute sieht, wie die das dann singen und Trommeln und sprechen, mit welcher Freude und überschäumenden Vitalität, dann braucht man eigentlich keinen weiteren Kommentar mehr zu dem Sinn und Inhalt des Kirchentagsmottos. (trommelt) 'lebendiges, kräftiges, schärferes Wort' - das müssen die aber machen, ich kann das nicht so schön alleine machen."

Weitere Infos:
www.schraege-musik.de