Intensivstationen in der Coronakrise

"Wir stehen jetzt an einem Wendepunkt"

09:28 Minuten
Ein Patient liegt in der Intensivstation an einem Beatmungsgerät.
Noch sind in Deutschland etwa 9000 Intensivbetten frei, doch das Pflegepersonal fehlt. © picture alliance / dpa / Peter Kneffel/dpa
Uwe Janssens im Gespräch mit Axel Rahmlow · 02.11.2020
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Der zweite Lockdown hat begonnen, die Betten auf den Intensivstationen werden knapper. Das liege vor allem an einem lange bekannten Personalproblem, sagt Intensivmedizin-Chefarzt Uwe Janssens. Er fordert ein Umschalten in den Notfallbetrieb.
Theater, Kinos und Restaurants sind wieder geschlossen. Bundeskanzlerin Angela Merkel hat die jüngsten Maßnahmen begründet mit den steigenden Infektionszahlen in der Coronakrise – und mit der Anzahl der Betten auf den Intensivstationen.
In den letzten zehn Tagen habe es eine Verdopplung der Intensivpatienten mit Coronadiagnose gegeben, sagte die Kanzlerin. Ab diesem Montag seien das 2061 Menschen in Deutschland. Das laufe auf eine "akute Notlage in den Krankenhäusern" hinaus.
Das Problem ist dabei vor allem ein Personalproblem: Zwar sind in Deutschland derzeit noch etwa 9000 Intensivbetten frei, aber um sie alle belegen zu können, bräuchte es 4000 zusätzliche Intensivpflegekräfte. Was fehlt, sind also vor allem die Menschen, die pflegen und betreuen.

Die nächsten zehn Tage sind entscheidend

Das bestätigt auch Uwe Janssens, Präsident der Deutschen Interdisziplinären Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin. Die Intensivmedizin sei zwar in Deutschland noch nicht überfordert, "wir stehen jetzt aber an einem kritischen Wendepunkt". Die Entwicklung der nächsten zehn Tage sei jetzt besonders wichtig.
Das Personalproblem sei seit Jahren bekannt und liege in der mangelnden Attraktivität von Pflegeberufen begründet, sagt Janssens: "Das sind langfristige Probleme, die gelöst werden müssen."

Nicht vergleichbar mit einer Influenza

Anders als im März oder April würden jetzt deutlich mehr Covid-19-Patienten auf den normalen Stationen liegen: "Das ist ein klares Warnsignal." Denn von diesen Patienten würde ebenfalls ein Teil auf der Intensivstation landen.
Janssens ist seit 30 Jahren in der Intensivmedizin tätig und hat eine vergleichbare Situation in dieser Zeit nicht erlebt: "Das ist sehr, sehr ernst. Die Patienten sind schwerstkrank. Das ist nicht vergleichbar mit einer Influenza oder ähnlichen Dingen. Und die Menge ist es, die uns da tatsächlich an die Grenzen bringt".

Mehr Fachkräfte im Notfallbetrieb

Um die Situation zu bewältigen, müsse in den Kliniken wieder vom Regel- in den Notfallbetrieb umgestellt werden. Dadurch würden nur noch die wirklich notwendigen Eingriffe durchgeführt und weitere Fachkräfte einsetzbar, die an anderer Stelle frei würden – wie etwa Anästhesisten und Anästhesistinnen.
Ein weiterer wichtiger Schritt sei die bereits geplante Umschichtung der Patienten zwischen verschiedenen Regionen. Wenn Orte wie Berlin an ihre Grenzen stoßen würden, könnten Patienten so in andere Regionen verlegt werden, sagt Janssens.
(sed)
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