Intelligent und gewalttätig

06.10.2009
Die Hauptfigur des Romans "Way Out" hat kein Problem, Leute umzubringen, wenn's notwendig ist: Reacher greift ein, wenn er auf eine Ungerechtigkeit stößt. Dann räumt er auf. Das hört sich nach "Masche" an, ist aber ein bestens funktionierendes Erzählprinzip aller 13 Romane von Lee Child.
Überall ist etwas faul auf der Welt. Zumindest überall da, wo Jack Reacher zufällig vorbeikommt. Reacher ist die Hauptfigur in bisher zehn auf Deutsch vorliegenden Romanen des britischen Autors Lee Child.

Reacher war früher bei der US-Militärpolizei und ist jetzt so etwas wie ein freischaffender "Troubleshooter" ohne Auftrag und Mandat. Er treibt sich ohne jeglichen Ballast außer seiner zusammenklappbaren Zahnbürste herum. Geld hat er noch genug auf dem Konto, Kleider kauft er immer wieder neu. Reacher hat kein Problem, Leute umzubringen, wenn's denn notwendig ist. Er ist hochintelligent, kompetent und gewalttätig. Eine Art nicht sehr netter Gutmensch. Reacher greift ein, wenn er auf eine Ungerechtigkeit stößt. Dann räumt er auf. Das hört sich nach "Masche" an, ist aber ein bestens funktionierendes Erzählprinzip aller 13 Romane von Lee Child.

So auch hier, in "Way Out": Reacher wird Zeuge einer gescheiterten Geldübergabe bei etwas, das nach Entführung aussieht. Er will helfen, muss aber bald feststellen, dass er die Schmutzarbeit für den üblen Chef einer Söldnerfirma erledigen soll, der abscheuliche Rachepläne hegt. Was als private Tragödie angefangen hat, bekommt plötzlich aktuelle politische Dimensionen, die Lee Child präzise, knapp und lakonisch in den Text einbaut. Und zwar so, dass sie für den Roman wesentlich werden, nicht nur Beiwerk bleiben.

In "Way Out" führen private Militärfirmen im Namen des Pentagons die wirklich schmutzigen Aktionen aus. Sie operieren in einer von der US-Regierung gewollten quasi rechtsfreien Zone - töten, plündern und morden nach Belieben. Und verdienen viel Geld damit. Wen's erwischt, der hat Pech gehabt - ein Kollateralschaden.

Child beschreibt das Schicksal eines solchen Opfers - ein Soldat, den der Schurke in einem der vielen afrikanischen Schmutzkriege lebend zurückgelassen hat, wird bei lebendigem Leib über Jahre hinweg verstümmelt. Und angesichts dessen ist Reachers Seitenwechsel dann keine Überraschung mehr. Reachers sehr unbehagliche Reflexionen darüber, wann man wen einfach umbringen darf, testet unser Rechtsverständnis aufs Prekärste aus. Bei allem "suspense", der sich gerade in diesem Buch fast unerträglich behutsam aufbaut - Childs Romane stecken voller Implikationen, die man am Anfang verblüfft, dann zunehmend begeistert zur Kenntnis nimmt.

Child arbeitet anti-psychologisch. Reacher scheint eine coole, unbezwingbare, sehr ironische Figur zu sein, aber er entwickelt sich, bezahlt seine Fähigkeit, schnell zu denken und schnell Gewalt anzuwenden, mit zunehmender Einsamkeit und schleichendem sozialen Abstieg. Zufall spielt grundsätzlich eine zentrale Rolle. Damit stellt sich natürlich immer wieder die Sinnfrage - nach Reachers Tun und Handeln, nach dem Sinn menschlichen Trachtens und Treibens sowieso. Aber selten ist diese Frage so ultracool gestellt, so klar in Action umgesetzt worden.

Am Ende des Romans ist Jack Reacher verschwunden. Er hat geholfen und gerettet. Aber damit ist die Welt kein bisschen besser geworden. Wir legen das Buch ungern weg und freuen uns schon auf das nächste Abenteuer.

Besprochen von Thomas Wörtche

Lee Child: Way Out. Roman.
Deutsche Übersetzung von Wulf Bergner
Blanvalet Verlag, München 2009
448 Seiten, 19,95 Euro