Intellektuellendämmerung
Nicht ohne Schaudern erzählt die Geschichte von den wenigen Augenblicken, in denen Intellektuelle die Macht im Staate okkupiert hatten. Die französische Revolution etwa erlebte ihre schlimmsten Terrorjahre, als der tugendhafte Anwalt Robespierre und der eiskalte Vollstrecker des Umsturzes, St. Juist, Gegner und einstige Mitstreiter auf die Guillotine schickten.
Intellektuelle neigen zur Kompromisslosigkeit, der reine Gedanke macht sie häufig zu Verbündeten des Verbrechens. Wissen neigt zum Hochmut und zur Blindheit gegenüber den eigenen Irrtümern.
Aber es waren ebenfalls Intellektuelle, deren Ideen die Welt veränderten und die Menschen und Völker von finsterem Aberglauben und gesellschaftlicher Unmündigkeit befreiten. Was wären wir ohne Galilei oder Erasmus von Rotterdam, Kant oder Einstein. Die Aufklärung, das geistige Fundament der modernen Zivilisation, war das Werk der europäischen Intellektuellen. Sie erst öffneten das Tor zur Freiheit von Forschung und Denken, die rasch zu den naturwissenschaftlichen Revolutionen überleitete, die auch unsere heutige Welt bestimmen.
Jede Gesellschaft braucht die Einmischung seiner intellektuellen Eliten. Vielleicht ist es nicht ihre Aufgabe zu herrschen. Aber der Politik auf die Finger zu schauen, moralische und geistige Wegweisungen zu geben, zu erklären, dass es neben dem Materiellen noch existentielle Werte gibt, die das Dasein des Individuums nicht weniger bestimmen, als Geld und Macht - eine Gesellschaft, die darüber nicht mehr diskutiert und streitet, verfällt der Lähmung.
Die Menschen in der Bundesrepublik merken längst, dass sich Veränderungen abzeichnen, die tief in ihr persönliches Leben eingreifen. Nichts scheint mehr zu stimmen, was unlängst noch fest stand. Die Arbeitswelt, die sozialen Absicherungen, die der moderne Staat seinen Bürgern durch die Solidargemeinschaft garantierte, die neue, unser Bewusstsein manipulierende Medienwelt, die Rückkehr zum Orwellschen Überwachungsstaat - innerhalb weniger Jahre hat sich unser Alltag revolutioniert, und Unsicherheit und Pessimismus beherrschen unser Denken. In den Talk-Shows schlägt die Stunde der Macher aus Politik und Wirtschaft, die mit ihrer unsäglichen Geschwätzigkeit die Wirklichkeit nicht deuten, sondern vernebeln. Hinter diesem Wust von Redseligkeit der selbsternannten Experten steht eine auffällige Schweigsamkeit der bundesdeutschen Intellektuellen. Es scheint so, als hätten sie nichts mehr zu sagen, als würden sie vor dem Ansturm der Diffamierungen, die über ihre geistigen Vorläufer ausgeschüttet wurden, verschreckt zurückweichen. Wo einst Künstler wie Heinrich Böll, Günter Grass oder Joseph Beuys sich leidenschaftlich und öffentlich einmischten, sie Politik und Gesellschaft mit ihren Mahnungen und Forderungen herausforderten, da herrschen heute Zynismus und eitle Selbstbespiegelung. Die Gutmenschen und Moralisten werden im besten Fall belächelt. In den bürgerlichen Leitartikeln herrscht gute Laune, denn über Mehrwertsteuer und Lohnnebenkosten da wissen wir ja allemal besser Bescheid. Und Neuwahlen sind ohnehin behaglich, wenn die vor dem Scheitern stehen, die nicht in die eigene ideologische Kurzsichtigkeit passen.
Aber wo sind die Stimmen, die sich empören, dass ein alternder Innenminister jeden Abend in den Nachrichten triumphierend ein neues, die Bürgerrechte einschränkendes Sicherheitsgesetz verkündet? Wo treten unsere Autoren, Maler oder Hochschullehrer auf und machen klar, dass der Kapitalismus vor dem Scheitern steht, wenn er nicht den Menschen, sondern nur noch den Aktienbesitzern dient? Wo werfen unsere Intellektuellen ihr Wort in die Waagschale, um von den Schröders, Merkels, Westerwelles oder Fischers zu fordern, dass ihre Wahlprogramme nicht nur Phrasen, sondern politische Inhalte anbieten?
Wir brauchen die Gutmenschen und Moralisten, wir brauchen die Wiederauferstehung der öffentlichen intellektuellen Debatte. Sie muss jenseits der oberflächlichen Beruhigungspillen, mit denen das Volk still gestellt wird, die Fragen diskutieren, die die Zukunft unserer Gesellschaft tatsächlich entscheiden. Das ist in der Regel schmerzhaft, aber unverzichtbar.
Wilhelm von Sternburg, geb. 1939 in Stolp ( Pommern ), war Fernseh-Chefredakteur des Hessischen Rundfunks in Frankfurt/Main. Er lebt jetzt überwiegend in Irland. Sternburg schrieb u. a. Biographien über Konrad Adenauer, Arnold Zweig, Lion Feuchtwanger und Erich Maria Remarque. Zuletzt erschienen von ihm die Bücher ‘Deutsche Republiken. Scheitern und Triumph der Demokratie’ und 'Als Metternich die Zeit anhalten wollte. Unser langer Weg in die Moderne’.
Aber es waren ebenfalls Intellektuelle, deren Ideen die Welt veränderten und die Menschen und Völker von finsterem Aberglauben und gesellschaftlicher Unmündigkeit befreiten. Was wären wir ohne Galilei oder Erasmus von Rotterdam, Kant oder Einstein. Die Aufklärung, das geistige Fundament der modernen Zivilisation, war das Werk der europäischen Intellektuellen. Sie erst öffneten das Tor zur Freiheit von Forschung und Denken, die rasch zu den naturwissenschaftlichen Revolutionen überleitete, die auch unsere heutige Welt bestimmen.
Jede Gesellschaft braucht die Einmischung seiner intellektuellen Eliten. Vielleicht ist es nicht ihre Aufgabe zu herrschen. Aber der Politik auf die Finger zu schauen, moralische und geistige Wegweisungen zu geben, zu erklären, dass es neben dem Materiellen noch existentielle Werte gibt, die das Dasein des Individuums nicht weniger bestimmen, als Geld und Macht - eine Gesellschaft, die darüber nicht mehr diskutiert und streitet, verfällt der Lähmung.
Die Menschen in der Bundesrepublik merken längst, dass sich Veränderungen abzeichnen, die tief in ihr persönliches Leben eingreifen. Nichts scheint mehr zu stimmen, was unlängst noch fest stand. Die Arbeitswelt, die sozialen Absicherungen, die der moderne Staat seinen Bürgern durch die Solidargemeinschaft garantierte, die neue, unser Bewusstsein manipulierende Medienwelt, die Rückkehr zum Orwellschen Überwachungsstaat - innerhalb weniger Jahre hat sich unser Alltag revolutioniert, und Unsicherheit und Pessimismus beherrschen unser Denken. In den Talk-Shows schlägt die Stunde der Macher aus Politik und Wirtschaft, die mit ihrer unsäglichen Geschwätzigkeit die Wirklichkeit nicht deuten, sondern vernebeln. Hinter diesem Wust von Redseligkeit der selbsternannten Experten steht eine auffällige Schweigsamkeit der bundesdeutschen Intellektuellen. Es scheint so, als hätten sie nichts mehr zu sagen, als würden sie vor dem Ansturm der Diffamierungen, die über ihre geistigen Vorläufer ausgeschüttet wurden, verschreckt zurückweichen. Wo einst Künstler wie Heinrich Böll, Günter Grass oder Joseph Beuys sich leidenschaftlich und öffentlich einmischten, sie Politik und Gesellschaft mit ihren Mahnungen und Forderungen herausforderten, da herrschen heute Zynismus und eitle Selbstbespiegelung. Die Gutmenschen und Moralisten werden im besten Fall belächelt. In den bürgerlichen Leitartikeln herrscht gute Laune, denn über Mehrwertsteuer und Lohnnebenkosten da wissen wir ja allemal besser Bescheid. Und Neuwahlen sind ohnehin behaglich, wenn die vor dem Scheitern stehen, die nicht in die eigene ideologische Kurzsichtigkeit passen.
Aber wo sind die Stimmen, die sich empören, dass ein alternder Innenminister jeden Abend in den Nachrichten triumphierend ein neues, die Bürgerrechte einschränkendes Sicherheitsgesetz verkündet? Wo treten unsere Autoren, Maler oder Hochschullehrer auf und machen klar, dass der Kapitalismus vor dem Scheitern steht, wenn er nicht den Menschen, sondern nur noch den Aktienbesitzern dient? Wo werfen unsere Intellektuellen ihr Wort in die Waagschale, um von den Schröders, Merkels, Westerwelles oder Fischers zu fordern, dass ihre Wahlprogramme nicht nur Phrasen, sondern politische Inhalte anbieten?
Wir brauchen die Gutmenschen und Moralisten, wir brauchen die Wiederauferstehung der öffentlichen intellektuellen Debatte. Sie muss jenseits der oberflächlichen Beruhigungspillen, mit denen das Volk still gestellt wird, die Fragen diskutieren, die die Zukunft unserer Gesellschaft tatsächlich entscheiden. Das ist in der Regel schmerzhaft, aber unverzichtbar.
Wilhelm von Sternburg, geb. 1939 in Stolp ( Pommern ), war Fernseh-Chefredakteur des Hessischen Rundfunks in Frankfurt/Main. Er lebt jetzt überwiegend in Irland. Sternburg schrieb u. a. Biographien über Konrad Adenauer, Arnold Zweig, Lion Feuchtwanger und Erich Maria Remarque. Zuletzt erschienen von ihm die Bücher ‘Deutsche Republiken. Scheitern und Triumph der Demokratie’ und 'Als Metternich die Zeit anhalten wollte. Unser langer Weg in die Moderne’.