Integrationspolitik

Unternehmer fordern Bleiberecht für Flüchtlinge mit Jobs

08:09 Minuten
Tedros Gebru steht bei dem Kabelhersteller Lapp zwischen Kabelrollen. Nach seiner Flucht aus Eritrea hat er eine Ausbildung bei Lapp abgeschlossen und arbeitet nun in der Kabelherstellung.
Tedros Gebru hat nach seiner Flucht aus Eritrea eine Ausbildung beim Kabelhersteller Lapp abgeschlossen und ist dort nun angestellt. © picture alliance/dpa/Foto: Sebastian Gollnow
Von Thomas Wagner · 10.09.2018
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Geflüchtete Menschen lernen Deutsch, machen eine Ausbildung, arbeiten in einer Firma, um am Ende zu erfahren, dass sie nicht in Deutschland bleiben können. Immer mehr Unternehmer wehren sich gegen diesen Umgang mit ihren Mitarbeitern.
Obereisenbach, ein Dorf in der Nähe der Stadt Tettnang im Bodensee-Hinterland: Dort hat Vaude seinen Unternehmenssitz – ein führender Hersteller von Rucksäcken, Schlafsäcken und Outdoor-Jacken. Unter den 500 Mitarbeitern befindet sich auch Abdulli Barri, 34 Jahre alt. Er kam vor drei Jahren als Flüchtling aus Gambia nach Deutschland und arbeitet nun als Plastik-Schweißer bei Vaude.
"Es ist sehr wichtig im Leben, selbst Dein eigenes Geld zu verdienen. Wenn Du die Kraft hast zum Arbeiten, ist es besser, wenn Du dann auch arbeitest und Dein Geld selber verdienst. Ich finde, das ist sehr wichtig."
Abdulli wird geschätzt von seinen Kollegen, von seinen Chefs. Sein Geschick ist beachtlich; seine Deutschkenntnisse ebenso. Und dennoch hat er ein Problem:
"Die Situation ist: Ich habe eine Ablehnung bekommen vom Bamf. Jetzt muss ich warten, mit meinem Anwalt."
Job gefunden, Deutsch gelernt, jeden Tag bei der Arbeit. Und trotzdem: Das "Bundesamt für Migration und Flüchtlinge", kurz "BamF", hat seine Fluchtgründe nicht akzeptiert und seinen Asylantrag abgelehnt. Und damit ist Abdulli Barri nicht alleine bei Vaude.
"Heute beschäftigen wir zwölf Geflüchtete. Elf in Festanstellung, einen Auszubildenden. Für sieben der Kollegen schaut es nicht gut aus: Die haben einen Ablehnungsbescheid bekommen."

"Für uns als Arbeitgeber ist das eine echt schwierige Situation"

So Lisa Fiedler, bei Vaude unter anderem für die Integration der Flüchtlinge zuständig. Dass sieben von zwölf im Unternehmen beschäftigte Flüchtlinge nun damit rechnen müssen, alsbald aus Deutschland ausgewiesen werden, obwohl sie gut integriert sind und jeden Tag zur Arbeit kommen, will Lisa Fiedler nicht so recht einleuchten:
"Für uns als Arbeitgeber ist das eine echt schwierige Situation. Weil: Wenn die sieben Mitarbeiter, die von Abschiebung bedroht sind, wirklich ihre Arbeitserlaubnis verlieren oder im schlimmsten Fall abgeschoben werden, dann fehlen uns massiv Arbeitskräfte."
Und mit diesem Problem ist Vaude nicht alleine.
"Herr Rakipowski, was machen Sie jetzt mit diesen Teilen? Diese Teile waschen wir mit Nitrto jetzt. Aha, und Sie waschen das nachher hinten… Ja…"

"Ich bin ein junger Mensch. Da ist es besser, zu arbeiten"

Grünkraut, eine Gemeinde im oberschwäbischen Landkreis Ravensburg: In der Produktionshalle seines Unternehmens "Farbpunkt", das sich auf Oberflächen-Beschichtungen spezialisiert hat, unterhält sich Firmenchef Jürgen Rudeck mit Nead Rakiposwki. Er ist ebenfalls vor drei Jahren aus seiner Heimat Mazedonien nach Deutschland geflüchtet, arbeitet seitdem in Jürgen Rudecks Unternehmen.
"Ich arbeite mit Metall hier, Farbe drauf machen, Waschen. Besser arbeiten – was sollst Du zuhause? Besser arbeiten, ich bin ein junger Mensch. Dann ist es besser, zu arbeiten. Alte Männer können zuhause bleiben!"
Doch obwohl er noch kein alter Mann ist, musste Nead Rakipowski bereits mehrere Wochen zuhause bleiben. Mazedonien gilt als sicheres Herkunftsland. Das bedeutet: Die Anerkennung als Flüchtling ist schwierig; die zunächst ausgestellte Arbeitserlaubnis wurde erst wiederrufen, dann doch verlängert – allerdings nur zeitlich befristet.
Doch nicht nur der Mazedonier muss um seinen Verbleib in Deutschland bangen, sondern auch ein weiterer Flüchtling aus Gambia, den Jürgen Rudeck ebenfalls beschäftigt hatte – und dessen Arbeitserlaubnis bereits erloschen ist.
"Bei Herrn Jakuba, der aus Ghambia kommt, ist es so, dass er kein Originaldokument aus Ghambia vorlegen kann, keine Geburtsurkunde. Das geht aber nicht. Fakt ist, das Ghambia jetzt nachträglich keine Geburtsurkunden mehr ausstellt Der Gesetzgeber sagt dann: Wenn er dieses Dokument nicht beibringt, verliert er seine Arbeitserlaubnis."

"Der arbeitet gut, der integriert sich"

Und über kurz oder lang auch seinen Aufenthaltstitel . Jürgen Rudeck kann all das nicht verstehen.
"Da frage ich mich: Der arbeitet gut, der integriert sich. Das ist der Herr Jakuba. Und gut ist es. Diese Menschen, die hier aus der Arbeit genommen werden, wollen sich integrieren, sind zum Teil schon sehr gut integriert, sprechen Deutsch. Und wir brauchen diese Menschen!"
Wohl wahr. Denn: Gerade Mittelständler im Raum Bodensee-Oberschwaben, wo quasi Vollbeschäftigung herrscht, sind auf jede Arbeitskraft angewiesen. Fällt jemand aus, dürfen Flüchtlinge nicht mehr arbeiten, kostet das die Unternehmen Geld – viel Geld, rechnet Lisa Fiedler von Vaude vor:
"Dadurch, dass ein Teil der Geflüchteten in der Produktion arbeitet, müssen wir im schlimmsten Fall mit einem Produktionsausfall von 250.000 Euro rechnen. Also ich hab hier mal eine Rechnung aufgemacht, was der Steuerzahler bezahlen muss, wenn man Mitarbeitern in Betrieben die Arbeitserlaubnis nicht verlängert."


Zurück im Büro von Jürgen Rudeck in Grünkraut: Auf einer großen, weißen Pin-Wand fügen sich Zahlen zu Tabellen zusammen. Rudeck hat dort nicht nur seine eigenen finanziellen Einbußen als Folge möglicher Arbeitsverbote für die Flüchtlinge aufgelistet.
Eine gefluechtete Frau arbeitet in der Übungswerkstatt für Handwerksausbildung der Initiative Arrivo der Handwerkskammer Berlin.
Eine Frau in einer Ausbildungswerkstatt. Immer lauter werden die Rufe nach qualifizierten Arbeitskräften und einem sogenannten "Spurwechsel". © imago/photothek/Michael Gottschalk
Vielmehr kostet das auch den Steuerzahler ordentlich Geld; die Lohnsteuer, die auch Flüchtlinge zahlen, fällt weg. Zudem müssen die, wenn sie nicht arbeiten dürfen, auch noch von staatlichen Sozialleistungen leben.
"Bei uns hier, in Baden-Württemberg, Bodensee, Oberschwaben sind 2500 Menschen davon betroffen, dass die Arbeitserlaubnis entzogen wird. Das bedeutet, dass aufs Jahr hochgerechnet über 36 Millionen Euro dem Steuerzahler zu Last fallen."
Ob die Rechnung von Jürgen Rudeck so stimmt, sei einmal dahingestellt. Fakt ist aber: Im Raum Bodensee-Oberschwaben rechnen eine ganze Reihe von Mittelständlern ähnlich. Auch bei ihnen drohen Arbeitsverbote für Flüchtlinge.
Die Unternehmen haben sich in der Vereinigung "Bleiberecht" zusammengeschlossen und fordern die Kehrtwende, nämlich eben das "Bleiberecht" für Flüchtlinge mit festen Jobs, den so genannten "Spurwechsel". Auf ein Einwanderungsgesetz, das irgendwann in Zukunft mal kommen soll, wollen sie nicht warten, erläutert Lisa Fiedler von Vaude Tettnang:
"Aus unserer Sicht ist es nicht praktikabel, diese Mitarbeiter, die verlieren wir jetzt... und dann über das Einwanderungsgesetz vielleicht nächstes Jahr holen wir neue Mitarbeiter. Neben dieser langfristigen Lösung brauchen wir jetzt ganz dringend eine kurzfristige Lösung für die Menschen, die jetzt heute schon in Deutschland sind und sich integriert haben und die Sprache sprechen."

Unternehmer fordern kurzfristige Lösung

Unternehmer Jürgen Rudeck aus Grünkraut hat auch schon sehr konkrete Vorstellungen darüber, wie diese "pragmatische Lösung" aussehen könnte. Ein Flüchtling, für den ein "Spurwechsel" infrage komme, müsse ein paar Bedingungen erfüllen:
"Er muss nicht unbedingt wissen, wer der erste Bundespräsident war. Aber er muss ein Umgangsdeutsch lernen. Und er muss zeigen, dass er sich in unsere Gesellschaft einfügt. Er muss sich nicht unterordnen. Er soll sich aber einfügen, anständig verhalten, was die meisten auch machen. Und dann hat er eine Arbeit. Und dann gibt der Arbeitgeber durch den Arbeitsvertrag eine Bürgschaft ab. Das heißt. Ich bin mit diesem Mensch zufrieden. Er arbeitet. Und darf er bleiben und arbeiten."
Wichtig erscheint Jürgen Rudeck auch, dass sich solche Regelungen nicht nur auf so genannte "Fachkräfte" beziehen:
"Wenn man die Politik hört: Die reden immer nur vom Fachkräftemangel. Es mangelt nicht nur an Fachkräften. Es mangelt an allen Mitarbeitern. Wir brauchen nicht nur den Bauingenieur. Wir brauchen auch den, der den Schubkarren schiebt, auf Schwäbisch‚ gsagt."
Beim Outdoor-Hersteller Vaude in Obereisenbach schiebt Abdul Barri zwar keinen Schubkarren, hat sich aber als Fachkraft für das Verschweißen von Plastikelementen nahezu unentbehrlich gemacht. Wie lange er dort noch arbeiten kann, ist unklar; sein Asylantrag ist abgelehnt.
Allerdings mehren sich fast täglich die Stimmen, die Verständnis zeigen für die oberschwäbischen Mittelständler und ihrem Wunsch nach dem "Spurwechsel". Die Hoffnung stirbt zuletzt, meint Abdul Barri:
"Man kann nicht immer wissen, was passiert in Zukunft. Aber wir denken immer positiv. Und denken, das alles gutgeht."
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