"Integration muss von den Betroffenen ausgehen"

Umeswaran Arunagirinathan im Gespräch mit Jürgen König · 19.10.2009
Wer nach Deutschland komme und bereit ist, sich zu integrieren, müsse mehr gefördert werden als bisher, findet der Arzt und ehemalige Flüchtling Umeswaran Arunagirinathan: "Integration muss von den Betroffenen ausgehen, das ist der, der zu uns nach Deutschland kommt, aber auch wir als Deutsche müssen bereit sein, dort zu investieren. Weil wir werden jetzt davon keinen Vorteil haben, aber in 20, 30 Jahren haben wir einen Vorteil".
Jürgen König: Brauchen wir ein Integrationsministerium oder brauchen wir es nicht? Dazu sind von der Bundespolitik Signale zu vernehmen: Nein, wir brauchen es nicht. Ganz anderer Meinung ist jemand, der dieses Thema, diesen Vorgang Integration am eigenen Leibe erlebt hat: Umeswaran Arunagirinathan. Aus Sri Lanka musste er flüchten, kam über diverse Umwege mit zwölf Jahren nach Deutschland, schaffte den Sprung aufs Gymnasium, wurde Schulsprecher, studierte nach dem Abitur Medizin, ist heute Kardiologe an einem Hamburger Krankenhaus. Seinen Weg nach Deutschland hat er in dem Buch "Allein auf der Flucht: Wie ein tamilischer Junge nach Deutschland kam" beschrieben, ist im Konkret Literatur Verlag erschienen. Herr Arunagirinathan, schön, dass Sie da sind!

Umeswaran Arunagirinathan: Moin, moin, grüße Sie!

König: Sie schreiben in Ihrem Buch sehr eindringlich von den Mühen Ihres Weges nach Deutschland. Sie beschreiben den Konflikt, später den Krieg zwischen der singhalesischen Regierung und der tamilischen Minderheit, die sich in den Tamil Tigers dann auch bald militarisiert. Als Sie zwölf Jahre alt sind, organisiert die Mutter Ihre Flucht. Sie hat Angst, dass Sie bei einem Angriff getötet werden könnten, Angst auch davor, dass die Tamil Tigers Sie zwangsrekrutieren könnten, also findet sie einen Schlepper, der Ihre Flucht organisiert. Das wird erst als Verwandtenbesuch nach Singapur getarnt, geht dann von dort weiter nach Lagos und dann nach allerlei Umwegen kommen Sie acht Monate später in Deutschland an. Wie haben Sie diese Zeit in Erinnerung heute?

Arunagirinathan: Das war keine schöne Zeit. Im Nachhinein muss ich sagen, es hat mich sehr viel bereichert, was die Kultur betrifft. Ich hab Afrika kennengelernt, ich habe die Menschen vor Ort kennengelernt, ich hab das Elend miterlebt, auch in Afrika, nicht nur auf Sri Lanka im Bürgerkrieg. Ich wurde auch ganz schnell selbstständig. Also ich bin mit zwölf Jahren unterwegs, musste schon in dem Alter selbstständig handeln, und diese Chance bekommt nicht jeder. Und ich hatte einfach das Glück, dass ich reifer wurde und erwachsener.

König: Sie beschreiben, wie Sie kurz vor der Landung in Deutschland Ihren Pass in der Flugzeugtoilette hinunterspülen, wie es die Schlepper befohlen haben, damit die Bundesgrenzschutzbeamten nicht gleich mit dem nächsten Flugzeug wieder nach Hause schicken. Was ist das für ein Gefühl, seinen Pass herunterzuspülen im Klo?

Arunagirinathan: Schlepper geben uns Anweisungen, das sind Gesetze, die wir respektieren müssen. Es gibt keine Diskussion während der Flucht, weil man ist völlig nackig abhängig von diesen Menschen. Und wenn die was sagen, wird das gemacht. Und ich habe derzeit mit zwölf Jahren gar nicht so darüber nachgedacht, was ich da genau gemacht habe. Ich bin davon ausgegangen, das hat wohl seinen Sinn, also habe ich gehandelt. Und jetzt, wo ich älter geworden bin, weiß ich warum, weil man, wenn man mit dem richtigen Namen hier gelandet wäre, hätte man mich dann wieder zurückschicken können.

König: Weil man weiß, wo Sie herkommen und ...

Arunagirinathan: Genau.

König: Sie sind dann nach Hamburg gekommen zu Ihrer Tante und Ihrem Onkel, sind dort aufs Gymnasium gekommen. Wann hatten Sie das erste Mal das Gefühl, ja, irgendwie, die wollen mich hier?

Arunagirinathan: Ja, das kann ich Ihnen ganz genau erzählen. Ich bin in Hamburg angekommen am 11. September 91 bei einem Onkel zu Hause in Hamburg- Mümmelmannsberg. Es gab dort drei Gesamtschulen, und eine von denen, das war in Mümmelmannsberg, die Gesamtschule Mümmelmannsberg, wo man die Möglichkeit hatte, die deutsche Sprache zu lernen. Am Anfang war es sehr schwierig, und irgendwann mal, nach einem halben Jahr, wurde ich in eine Regelklasse eingestuft. Als ich in der neunten Klasse war, da ging's um die Frage nach einem Klassensprecher. Und irgendwie haben die meisten mich vorgeschlagen, als Klassensprecher zu wählen, und zwei, drei Monate später wurde ich dort Schulsprecher. Das hat mich so bestätigt, ich hab mich so zuhause gefühlt ...

König: Aber Sie müssen ja auch vorher schon irgendwie so gehandelt haben, dass man Ihnen dieses Vertrauen aussprach?

Arunagirinathan: Ja, vielleicht weil ich vom Mensch sehr offen bin und neugierig. Wissen Sie, wenn man die Sprache eines Landes nicht beherrscht, weil es für einen schwierig ist und weil man vielleicht die Zeit nicht hatte, das zu beherrschen, dann schenkt man dem Menschen, der einem gegenübersteht, ein Lächeln, und das macht einen sympathisch. Und das war wahrscheinlich bei mir der Fall.

König: Erzählen Sie von Ihren Ämtergängen, von den Ausländerbehörden, Asylanträgen, von diesem ganzen großen Dilemma.

Arunagirinathan: Ich habe, was die Behörden betrifft, keine gute Erfahrung. Ich hab vielleicht, wenn ich mich erinnere, einen netten Menschen erlebt bisher in einer Behörde, in einer Ausländerbehörde. Es ist furchtbar, wenn man ganz neu in einem Land ist – man versucht erst mal, mit diesem Land und Kultur sich zu identifizieren. Bei mir war es teilweise so, dass ich die ganze Flucht auch verarbeiten musste, gleichzeitig für eine Woche Duldung, in einer Riesenschlange morgens um fünf Uhr zu stehen, damit man um acht Uhr drankommt – und das ist, finde ich, furchtbar. Und das war keine gute Zeit.

Ich hatte von der Behörde immer den Eindruck gehabt: Was willst du eigentlich hier in unserem Land? Ich kann Ihnen ein Beispiel nennen: Ich wollte damals in der neunten Klasse arbeiten, und ich hab auch gearbeitet, ich hab geputzt, und es gab noch einen Job, wo ich derzeit 15 D-Mark die Stunde verdienen konnte. Und ich hab diesen Job aufgesucht und musste vorarbeiten, musste aber diesen Job für vier Wochen abgeben, damit die deutschen Arbeitslosen zuerst den Job annehmen können, und erst dann, wenn das übrig bliebe, hätte ich das bekommen können. Und da hatte ich für einen Tag eine Arbeitserlaubnis bekommen. Bin dann hingegangen, hab mit denen gesprochen, was das sein soll. Ich laufe überall, kümmere mich um einen Arbeits ... , und ich muss das noch abgeben.

König: Und was haben die gesagt?

Arunagirinathan: Da wurde ich eingeladen von dem Vorgesetzten der Abteilung, der mir sagte: Was haben Sie eigentlich hier in Deutschland zu suchen? Das kann nicht sein, das kann nicht sein, ein Behördenmitarbeiter mir so einen Spruch loslässt. Wissen Sie, das verhindert die Integration, weil man in dem Moment, wo man von einer offiziellen Einheit, einer Behörde dieses Landes so was zu hören bekommt, ist eine Absage, eine Distanzierung von meiner Person zu diesem Land. Und das war keine gute Erfahrung, genauso wenn wir über die Einbürgerung sprechen.

König: 18 Jahre hat das gedauert.

Arunagirinathan: Es hat furchtbar lange gedauert. Ich war schon sehr früh bereit, ein Deutscher zu sein, abgesehen davon, dass ich die deutsche Sprache nicht so schnell lernen konnte, bin eher naturwissenschaftlich begabt als sprachlich. Ich weiß nur, dass erste Mal, wo ich in Lübeck in der Ausländerbehörde war und ich wollte mich einfach nur informieren, ich wollte Informationen haben zur Einbürgerung. Da hat die Dame mich nicht mal ins Zimmer reingelassen, stellte sie mir die Frage: Was wollen Sie mit Einbürgerung, Sie sind doch ausländischer Student, Sie sind doch zum Studieren hergekommen. Sie hat meine Frage nicht beantwortet, stellt mir eine Frage mit der Bitte: Was haben Sie hier zu suchen?

König: Das Integrationsministerium: Der saarländische Ministerpräsident Peter Müller von der CDU will es, sagt, das sei sinnvoll, Wolfgang Bosbach, Fraktionsvize der Union im Bundestag, sagt, nein, das kommt überhaupt nicht infrage. Was sagen Sie?

Arunagirinathan: Ich halte es für sinnvoll. Dass es ein Ministerium sein muss, darüber kann man diskutieren, das sind finanzielle Fragen. Aber wir brauchen mehr als das, was wir jetzt haben, denn wissen Sie, Menschen, die zu uns nach Deutschland kommen, die bereit sind, sich zu integrieren, aber dessen Weg bis dahin verhindert wird, das darf nicht sein. Da brauchen wir ...

König: Gut, aber wie soll man die immer unterscheiden?

Arunagirinathan: Ja, man fördert, man gibt denen ein Angebot, wer das wahrnimmt. Also wissen Sie, Integration muss ja von sich, von den Betroffenen ausgehen. Also wenn Menschen kommen und die möchte ich gar nicht integrieren, da kann auch ein Integrationsministerium gar nichts machen. Aber ich finde, jeder Mensch, der zu uns nach Deutschland kommt, muss den Willen für Integration zeigen. Jeder muss den Willen haben, der nach Deutschland kommt, die Sprache dieses Landes zu sprechen und zu verstehen. Allein wenn er das schon nicht macht, ist für mich klarer Hinweis, der hat überhaupt keinen Willen. Wir müssen fördern.

Es gibt Menschen, Sie müssen verstehen, es kommen Flüchtlinge zu uns, die erleben traumatische Erlebnisse, das sind introvertierte Menschen, die öffnen sich nicht.

Was das Ministerium für mich machen soll: die Förderung der Sprachkenntnisse und Förderung von Menschen, ausländische Kinder, dass sie bessere Chance bekommen zur Ausbildung, dass man auch einen Anreiz schafft. Das, was man braucht, das heißt, diesen Dialog noch zwischen der Kultur von dem, der da zu uns kommt, und unserer Kultur in unserem Land, auch dafür sorgen, dass dieser Mensch, der kommt, dass er auch unsere Kultur kennenlernt. Wenn er von vornherein das nicht will, dann wird er's nicht schaffen.

König: Sie werden die Debatte um die Äußerungen des Bundesbankvorstands Thilo Sarrazin verfolgt haben, ich vermute, er hat Ihnen aus dem Herzen gesprochen?

Arunagirinathan: Es gibt ja Nicht-Integrationswillige, das müssen nicht Araber und Türken sein, es können auch Sri Lankaner sein, die so sind, und die kenne ich auch. Und da frage ich mich sehr kritisch, was haben die hier in diesem Land zu tun, die mehr Rechte verlangen, aber überhaupt nicht bereit sind, sich in einem gewissen Maß, eine Identifizierung in diesem Land zu haben. Meine Mutter würde sich zum Beispiel auch nicht integrieren lassen, und die hat auch in Deutschland nichts zu suchen, weil sie würde auch eh von sich aus unwohl fühlen.

König: Wie besprechen Sie das mit Ihrer Mutter?

Arunagirinathan: Wir sind sehr offen, ich bin vom Typ her anders als meine Eltern, die sind da in deren Kultur so identifiziert, so drin, die sind auch ältere Menschen, deren Wurzeln ist auch Sri Lanka. Ich kann natürlich einfacher sagen, ich bin als Kind nach Deutschland gekommen, ich habe meine Wurzeln hier. Ich vergleiche das immer mit einem Beispiel eines Baumes, ein kleines Bäumlein, dessen Wurzeln gar nicht so groß sind, der aus Sri Lanka hertransportiert wird.

König: Der wächst hier noch an.

Arunagirinathan: Der wächst noch an. Der Baum, was erwachsen ist, groß ist, der kommt mit seinen gesamten Wurzeln. Wenn er die Wurzeln nicht hat, dann ist er nicht in diesem Land existenzfähig. Auch in den Kliniken, ja, Patienten erlebe ich, die 30, 35 Jahre hier in diesem Land leben und überhaupt nicht verständigen können.

Und wir dürfen dann auch nicht vergessen, wir sprechen ja immer von der Integration Ausländer und Deutschen, das ist auch falsch, weil ich meine, es gibt einen Sri Lankaner, dessen Religion Hinduismus, und ein Türkei, dessen Religion Islam ist, auch die müssen sich untereinander verständigen können. Und die Verständigung geht nur über die deutsche Kultur beziehungsweise deutsche Sprache.

Integration muss von den Betroffenen ausgehen, das ist der, der zu uns nach Deutschland kommt, aber auch wir als Deutsche müssen bereit sein, dort zu investieren. Weil wir werden jetzt davon keinen Vorteil haben, aber in 20, 30 Jahren haben wir einen Vorteil.

Wenn ich mich nicht integriert hätte in diesem Land, wäre ich jetzt auch kein Arzt geworden. Und wir brauchen einfach Fachleute, langfristig. Kurzfristig wird es so sein, dass wir Geld investieren müssen, dafür müssen wir bereit sein, aber langfristig – es ist doch wunderschön, wenn wir in diesem Land Menschen haben, verschiedene Kulturen, die auch verschiedene Sprachen beherrschen, dann ist doch der Dialog international viel breiter und stabiler. Das ist doch das, was wir wollen, das ist doch ein Gewinn für unser Land.

König: Wir brauchen ein Integrationsministerium, sagt der Arzt Umeswaran Arunagirinathan. Seine Lebensgeschichte können Sie nachlesen in dem Buch "Allein auf der Flucht: Wie ein tamilischer Junge nach Deutschland kam", erschienen im Konkret Literatur Verlag. Herr Arunagirinathan, vielen Dank, dass Sie da waren!

Arunagirinathan: Danke schön!